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Annekathrin Bürger Annekathrin Bürger: Von der Zeit, die war und bleibt

Von Christian Eger 02.04.2007, 17:43

Halle/MZ. - Annekathrin Rammelt, 18 Jahre jung und gerade durchgefallen an der Schauspielschule, ist kein Berliner, sondern ein Dessauer Mädchen, das sein Geld im Malsaal des Bernburger Theaters verdient. Dessen Schauspiel wird von Hermann Preil geleitet, der im Duo mit dem Komiker Rolf Herricht eine Berühmtheit werden soll. Eine Berühmtheit ist Annekathrin Rammelt nicht. Sie gelangt gar nicht erst bis zum Regisseur Gerhard Klein, sondern wird im Warteraum von dessen Assistenten Heiner Carow aussortiert. Im Vorübergehen.

Wenige Wochen darauf sieht das Defa-Team, das noch immer keine Uschi hat, Annekathrin Rammelt mit neuen Augen: beim Verspeisen eines Schnitzels in der HO-Gaststätte "Frieden" am Strand des Ostseebades Göhren. "Die ist zu dick und sächselt", muss sie hören. Dann geht alles ganz schnell. Erste Fotos, Probeaufnahmen. "Der Spiegel" meldet: "Anonyme Ost-Uschi" gefunden. 1956 hat der Film Premiere, in dem Annekathrin Rammelt die Herzdame des von Ulrich Thein gespielten Helden gibt. Da heißt Annekathrin schon nicht mehr Rammelt. Auf Plakaten geht der Name gar nicht. Also nennt sie sich nach ihrer Großmutter väterlicherseits, der Leipziger Kunstmalerin Käthe Rammelt-Bürger. Dieser Satz hat fortan Markenqualität: "Die ist zu dick und sächselt". Ihn in eigener Sache zu zitieren, zeugt von jenem ironie-begabten, gern verspielten, bis zur Kumpelhaftigkeit unprätentiösen Wesen, das die Schauspielerin und Zeitgenossin Annekathrin Bürger auszeichnet, die heute 70 Jahre alt wird.

An Rolf Röhmers Seite

Der Casting-Satz steht am Beginn des Klappentextes, der die Autobiografie der Bürger vorstellt: "Der Rest, der bleibt". Ein auf sprechende Weise Kultur-, Zeit- und Alltagsgeschichte einfangendes Buch, das die Schauspielerin gemeinsam mit der Journalistin Kerstin Decker verfasst hat. Die Bürger liefert - typographisch abgesetzt - Dokumente und Erinnerungen, die Journalistin bringt das Erlebte in eine feuilletonistisch federnde Prosa.

Das Lebensbuch der Annekathrin Bürger ist auch ein Buch über ihren 2000 im Alter von 64 Jahren gestorbenen Ehemann, den Schauspieler Rolf Römer, der ein ostdeutscher Easy Rider war. Ein Ausnahmetalent, dessen bester Film "Jahrgang '45" 1965 von der SED-Zensur kassiert wurde, der als Hauptdarsteller in den Defa-Indianerfilmen sowie als Regisseur und Schauspieler von so phantastisch-boulevardesken Streifen wie "Mit mir nicht, Madam!" (1969) und "Hostess" (1975) - beide mit Annekathrin Bürger - DDR-Filmgeschichte schrieb. Römer, der schon mal barfuß über einen Mercedes hinwegspazierte: Viel zu lässig für die Defa-Chefs, die ihn folgerichtig auf ein Schattenplätzchen verwiesen.

Es ist auch ein Buch über den Künstler Heinz Rammelt (1912-2004), der Bürgers Vater war: ein begnadeter, buchstäblich zirkusreifer Tiermaler, der in den 30er Jahren auf dem Weg war, ein deutscher Walt Disney zu werden. Ein Anti-Nazi im Wehrmachtskittel, der nur knapp dem Urteil "Tod durch Erschießen" entging. Ein Mann, der wusste, was Kindern gut tat. In erster Ehe mit Bürgers Mutter, einer Tänzerin, verheiratet, schließt er 1944 eine zweite, diesmal glückliche Ehe. So führt die Kindheit der in Berlin geborenen Annekathrin vom Westberliner Kudamm weg über Rathenow, Bernburg nach Dessau, weil diese Stadt eine direkte Bahnlinie nach Berlin besitzt. Von dort aus geht Annekathrin Bürger ihren Weg: 1955 zum Film, dann Schauspielstudium an der Filmhochschule, Deutsches Theater, von 1960 bis 1963 mit Rolf Römer Sturm-und-Drang-Jahre am Theater Senftenberg, Fernseh-Ensemble dann und vier Jahrzehnte Volksbühne. Nebenbei Defa- und TV-Filme, etwa 90 insgesamt.

Witz und Lebendigkeit

Man liest die Biografie der Bürger mit so viel Staunen und auch Rührung, wie man in der DDR verbotene Filme und Bücher heute zur Kenntnis nimmt, zuletzt Werner Bräunigs Roman "Rummelplatz". Wieviel Witz, Phantasie und Lebendigkeit ist in der Bürger-Generation auch ausgebremst worden. Die 1960 um die 20 waren, wurden in Schach gehalten von den alten Männern mit ihren drohend-autoritären Antifa-Biografien. So protestiert Annekathrin Bürger gemeinsam mit Rolf Römer im Gespräch mit Erich Honecker 1977 gegen die Hatz auf Kollegen in Folge der Biermann-Ausbürgerung: Die Schilderung der Begegnung ist lesebuchreif; bewirkt hat sie gar nichts, außer die sittliche Loyalitätsfalle für das Paar noch weiter zu öffnen.

Von den 60er Jahren an wird die Bürger immer öfter auch als Sängerin in Musicals ("My Fair Lady", 1966 in Dessau) und Chansonsprogrammen populär. Und sie bewirkt einiges wie nebenbei: Dass Charlotte von Mahlsdorf ihre Gründerzeit-Antiquitäten durch die DDR bringen kann, dass das barocke Dresdner Bürger-Palais nicht abgerissen wird. Tapferkeit vor dem Freund, das wäre eine Annekathrin-Bürger-Formel. Der erste weibliche Filmstar der DDR. Und eigentlich der einzige seines Formates, der diesen Staat nicht verließ. Zu welchem Preis, das ist nachzulesen. "Der Rest, der bleibt"? Neben einem Dutzend sehenswerter Filme gehört nun dieses Buch dazu.