25. Juni 2009 25. Juni 2009: Tod des King of Pop sorgt für Entsetzen

HALLE/MZ. - Am Morgen nach seiner letzten Nacht war er wieder dort, wohin er all die Jahre hatte zurückkehren wollen. Ganz oben auf dem Thron des Königs der Popmusik, ein Gottkaiser aller Hitparaden, das Dauerthema aller Nachrichtensender und Klatschmagazine. Was Michael Jackson fast ein Jahrzehnt lang mit keiner Platte und keiner Single mehr gelungen war, schafft der laut Guiness-Buch "erfolgreichste Unterhaltungskünstler aller Zeiten" im Moment des Abschieds von der Lebensbühne: Neun der zehn am meisten verkauften Alben beim Internethändler Amazon waren am Freitagnachmittag Michael-Jackson-CDs.
Der Anlauf bis dahin war ein langer, langer Abschied. So schnell das im Städtchen Gary im US-Bundesstaat Indiana geborene achte von zehn Kindern des Kranführers Joseph Jackson und der Verkäuferin Katherine Jackson Karriere machte, so quälend langsam zerstörte der zwischen Allmachtswahn und Selbsthass zerrissene Künstler sich und seinen Ruf. Am Ende blieb ein von Kummer und zahllosen misslungenen Schönheitsoperationen gezeichnetes Gespenst, das einem Alien in einer Rüstung aus silbernem Schlauchboot-Gummi mehr glich als einem lebenden Menschen.
Dabei war es nicht zuletzt das Unirdische, das aus dem Frontmann der Familien-Combo Jackson Five, die mit der harten Knute von Joe Jackson in die Hitparaden geprügelt wurde, einen Weltstar machte. 1971 hatte Jackson im zarten Alter von 13 Jahren seine Solo-Karriere gestartet, doch wie die erste Single "Got To Be There" wurden auch die nächsten Jackson-Werke nur zu überschaubaren Kassenknüllern. Erst als der Produzent Quincy Jones dem inzwischen 20-Jährigen für das Album "Off The Wall" ein Soundkostüm aus Diskobeats, Funk-Gitarren und Kicksgesang schneidert, prasselt es Platinplatten und weltweite Hits. Michael Jackson ist zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Mit MTV bricht gerade das Zeitalter des Musikvideos an - das Fernsehen wird zur Bühne für Jacksons Moonwalk, seine aufwendig choreografierten Tänze und die exaltierten Kostüme. "Beat it", "Billie Jean" und die sieben Stücke des Nachfolgealbums "Thriller" katapultieren den gerade 24-Jährigen dann in eine eigene Umlaufbahn. Sechs Top-Ten-Hits sorgen für mehr als 60 Millionen verkaufte Schallplatten, Jackson bekommt rund 80 Platinauszeichnungen und Grammys im Dutzend, er spielt in ausverkauften Stadien, kassiert Millionen und neben ihm sind alle anderen Stars nur kleine funzelnde Sternchen.
Die 80er Jahre beherrscht er, ohne je das Gewand der Kunstfigur "Jacko" auszuziehen. Er singt mit Stars wie Paul McCartney und Stevie Wonder im Duett, kauft eine Ranch, die er zum Peter-Pan-Traumland umbaut, schreibt das Live-Aid-Lied "We are the World" und veröffentlicht mit "Bad" ein Album, das den Erfolg von "Thriller" noch zu übertreffen vermag. Sony bietet Jackson einen 15-Jahres-Vertrag für 900 Millionen Dollar an. Er unterschreibt und liefert mit dem Hit-Album "Dangerous" postwendend den Beweis, dass er jeden Cent wert ist.
Hinter der Jackson-Maske aber steckt nur ein einsamer Jäger nach Liebe und Vertrauen. "Wirst Du für mich da sein", fragt er in "Will You Be There", "wirst Du schimpfen, wenn ich mich falsch verhalte?". Schließlich, singt Jackson, "bin ich auch nur ein Mensch". Meist aber übertönt Getöse die Selbstzweifel. Immer pompöser und bizarrer werden die Inszenierungen der öffentlichen Auftritte des Pop-Gottes, dessen Gesicht vor aller Augen zu zerfallen scheint. Der Affe, der ihn als Gefährte begleitet, lenkt davon nur unzureichend ab. 1993 behauptet der Vater eines Jungen, der auf Jacksons Neverland-Ranch gewohnt hatte, der Star habe seinen Sohn missbraucht. Jackson zahlt 20 Millionen, um einen Prozess zu verhindern, und heiratet gleich noch Lisa Marie Presley, die Tochter des "King". Der Kuss, den beide sich im Fernsehen geben, um Gerüchte aus der Welt zu schaffen, es handele sich bei der Ehe nur um einen PR-Gag, sieht aus, als würden sich zwei Holzfiguren küssen müssen.
Der Imageschaden ist irreparabel. Denis Schönke aus Halle, bis dahin als Jackson-Double gut gebucht, hängt Hut und Glitzerjacke an den Nagel. "Ich wurde auf der Bühne ausgebuht und als Kinderschänder beschimpft", beschreibt er.
Kein Popstar hat den Verfall seiner Welt ehrlicher verkörpert als Michael Jackson, der seine späten Tage als Mischung aus Drama und Komödie inszeniert. Riesige Statuen lässt er aufstellen, um für die Hit-CD "HIStory" zu werben, die schon ein Dokument seines Scheiterns ist. Die teuerste Werbekampagne aller Zeiten reicht gerade, dem "King Of Pop" einen einzigen Nummer-Eins-Hit zu organisieren.
Der Mann, der bei "Billy Jean" noch kühn E-Moll und E-Dur in einem Atemzug besungen hatte, wird zum Kasper der "Klasse von 1958", zu der neben ihm noch die beinahe ebenso erfolgreichen Madonna und Prince gehören. Jetzt heiratet Michael Jackson, der inzwischen nur noch mit Gesichtsmaske auftritt, eine Krankenschwester. Sie soll ihm die Kinder schenken, mit denen er seine eigene, nie erlebte Kindheit nachspielen kann. Statt im Kulturteil ist das Jahrhunderttalent Stammgast in den Schmuddelecken: Mal droht ihm die Pleite, mal ermittelt wieder ein Staatsanwalt wegen Kindesmissbrauch gegen ihn, mal wird spekuliert, wer denn wohl die Mutter seines dritten Kindes Prince Michael II sein könne.
Auch bei seinem einzigen Auftritt in Ostdeutschland ist Michael Jackson ein Ein-Mann-Wanderzirkus. Hatte der 30-Jährige 1988 bei einem Konzert in Westberlin noch die gesamte DDR-Staatssicherheit aufgeschreckt, weil sich die deutsche demokratische Jugend auf der Ostseite der Mauer sammelte, um zuzuhören, sind es neun Jahre später die Sicherheitsmannschaften des erratischen Eigenbrödlers selbst, die Leipzig zu einem Heerlager aus Sicherheitszäunen machen, über dem Megaphone schallend zum disziplinierten Stillsitzen ermahnen.
60 000 begeistert der aus der Ferne immer noch an den Moonwalker der großen Tage erinnernde Exzentriker, auch wenn er nur noch mit Playback-Unterstützung singen kann. Der letzte linkische Winker in den Leipziger Nachthimmel ist ein Abschied für immer: Die 50 Konzerte in London, die Jackson im März angekündigt hatte, um das "größte Comeback aller Zeiten" zu feiern, waren schneller ausverkauft als jemals eine Konzertserie zuvor. Doch stattfinden werden sie nun nicht mehr.
