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100. Geburtstag 100. Geburtstag: Wie Georges Simenon zum Autor von Weltrang wurde

12.02.2003, 11:52

Brüssel/dpa. - Georges Simenon ist verblüfft. Der furchtlose Gernegroß hat, kaum 20 Jahre alt, seine Meisterin gefunden. «Sie sind zu literarisch», erklärt ihm Colette, die große Dame des französischen Romans. Nein, die Märchen des schriftstellernden Debütanten sind nichts für ihre tägliche Rubrik «Mille et un matin» (Tausendundein Morgen) in der Pariser Zeitung «Le Matin». Colette möchte etwas Anderes von Simenon: «Keine Literatur! Lassen Sie alles Literarische weg, und es ist in Ordnung.»

Simenon beherzigt den Rat. «Ich habe versucht, so einfach wie möglich zu sein», sagt der Vielschreiber einige Jahrzehnte und gut 300 Romane nach dieser Arbeitsanweisung. Und tatsächlich hat der Tipp sichtbare Folgen: «Schonungslos verjagte er die Umstandswörter aus seinen Kapiteln», analysiert der Simenon-Biograf Pierre Assouline den Stil jenes Mannes, der heute - ein Jahrhundert nach seiner Geburt im belgischen Lüttich am 13. Februar 1903 - als Erfinder des Kommissars Maigret weltberühmt ist.

Der 13. Februar 1903 fällt auf einen Freitag und Henriette Simenon ist eine abergläubische Frau. «Seine Mutter brachte Georges im Zeichen der Lüge zur Welt», bemerkt Assouline deshalb: Statt die Niederkunft kurz nach Mitternacht zu akzeptieren, lässt die Mutter als Geburtsdatum den 12. Februar um 23.30 Uhr eintragen. Schon bald nimmt dieses neue Leben eine Geschwindigkeit auf, die so gar nicht zur kleinbürgerlichen Existenz der Eltern passen mag.

Mit 15 verlässt Georges Simenon die Schule, arbeitet als Reporter für die Lütticher Lokalzeitung «Gazette de Liège». Vier Jahre später kommt er an einem regnerischen Dezembertag nach Paris - mit nichts als einem Kleiderbündel, einem Pappkoffer sowie dem festen Willen, als Autor seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Wie ein Besessener produziert Simenon billige Serienromane und strebt zugleich nach Höherem. Er heiratet sein erste Frau und beginnt eine Affäre mit der noch völlig unbekannten Tänzerin Josephine Baker. Er bereist Frankreich, durchquert Afrika, bricht zum Nordmeer auf - und ersehnt doch immer ein beschauliches Leben in der Provinz.

Die Debatte um sein zweideutiges Verhältnis zu Nazi-Deutschland sitzt Simenon in den USA aus. Seine geschäftlichen Ziele behält er auch dort klar im Blick. Selbst dem angesehenen Verlagshaus Gallimard kehrt er den Rücken, als es anderswo mehr zu verdienen gibt. Unbarmherzig hat der Verleger Arthème Fayard den jungen Simenon zur Ablieferung seiner populären Romane getrieben: «70 Wörter pro Minute, 80 Seiten am Tag!» Nun, wo er mit Maigret berühmt geworden ist, setzt Simenon seinen Erfolg auch in klingende Münze um.

«Ich glaube, nur die Bibel ist mehr übersetzt worden als das Werk von Simenon», sagt Krimi-Kenner Alain Devalck, in Brüssel Inhaber des einzigen Spezial-Buchladens für Kriminalromane in Belgien. Übersetzt, gelesen und verfilmt: Jean Renoir, Bertrand Tavernier, Claude Chabrol und andere drehen mehr als 50 Filme nach den Romanen Simenons. Der Regisseur Federico Fellini indes schreibt Briefe. Bis zum Tode Simenons am 4. September 1989 versichern sich die beiden Freunde zwei Jahrzehnte lang ihre gegenseitige Wertschätzung.

Auch 23 Jahre nach dem Todestag haben Simenons Romane nichts von ihrem Reiz verloren: «Sie sind heute noch sehr lesbar - das ist Teil seines Stils», meint Buchhändler Devalck. Deshalb griffen auch Ausländer für eine erste Lektüre in französischer Sprache gerne zu den Büchern des Belgiers. Es klingt wie eine späte Bestätigung für den Rat, den Simenon selbst auf dem Höhepunkt seiner Karriere nie vergessen hat: «Ich bin Colette dafür zu Dank verpflichtet.»