Wirtschaftswachstum in Sachsen-Anhalt Wirtschaftswachstum in Sachsen-Anhalt: Warum wir Deutschlands Schlusslicht sind

Halle (Saale) - Sachsen-Anhalt liegt beim Wirtschaftswachstum im vergangenen Jahr im Vergleich zu den anderen Bundesländern an letzter Stelle. Das Bruttoinlandsprodukt nahm nur um 0,4 Prozent zu. Wirtschaftsminister Hartmut Möllring (CDU) erklärte das vor allem mit Sonderfaktoren wie dem zeitweiligen Produktionsstopp der umsatzstarken Total-Raffinierie in Leuna und dem Rückgang der Erwerbstätigkeit. Eine Entgegnung von Prof. Oliver Holtemöller, Vize-Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), dessen Schwerpunkt der Osten Deutschlands ist.
Die jüngsten Zahlen zum Wirtschaftswachstum in den Bundesländern sind ernüchternd. Von einem weiteren Aufholprozess der ostdeutschen Bundesländer gegenüber dem Westen ist nichts zu sehen. Sachsen-Anhalt trägt mit einer Zunahme des Bruttoinlandsprodukts um 0,4 Prozent im Jahr 2014 sogar die rote Laterne. Selbst wenn man es gut meint und Sonderfaktoren wie den Ausfall der Produktion in der Mineralölbranche aufgrund größerer Wartungsarbeiten herausrechnet, ändert sich daran wenig; Sachsen-Anhalt bliebe selbst dann auf dem letzten oder vorletzten Platz. Im Jahr davor war Sachsen-Anhalt zweitletzter vor dem Saarland.
Auch das Niveau der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist vergleichsweise niedrig. Das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner liegt bei 70 Prozent des Bundesdurchschnitts; das wirtschaftsschwächste westdeutsche Bundesland, Schleswig-Holstein, kommt auf 83 Prozent. Schaut man auf andere Indikatoren wie etwa die Arbeitslosenquote oder die Produktivität, wird das Bild für das Niveau nicht besser. Ähnlich wie die anderen ostdeutschen Bundesländer holt Sachsen-Anhalt bei der Produktivität zwar noch gegenüber dem Westen auf, aber die ungünstige Demographie (Alterung und Schrumpfung) lässt das Wachstum insgesamt hinter dem Westen zurückbleiben.
Warum ist die wirtschaftliche Entwicklung in Sachsen-Anhalt so schwach? Es gibt dafür - neben der gegebenen Demographie - drei Gründe, auf die das Land Einfluss hat: 1. zu wenig Investitionen in Bildung und Forschung; 2. zu wenig Internationalität; 3. zu wenig Innovation.
Die Teilhabechancen auf dem Arbeitsmarkt werden im Wesentlichen durch die individuelle Qualifikation bestimmt, und die Wege gabeln sich im frühkindlichen Alter. Wenn das Land sich nicht intensiver um die Förderung im frühkindlichen Bereich kümmert, verspielt es die bedeutendste Chance, die wirtschaftliche Lage nachhaltig zu verbessern. Der Wohlstand in Deutschland basiert zu einem guten Teil auf der internationalen Ausrichtung der Wirtschaft. Auch hier liegt Sachsen-Anhalt weit zurück; der Anteil der Auslandsumsätze an den Gesamtumsätzen im Verarbeitenden Gewerbe liegt mit etwa 30 Prozent weit unter dem Bundesdurchschnitt von 45 Prozent. Selbst in Schleswig-Holstein, dem Land mit dem niedrigsten Exportanteil unter den westdeutschen Bundesländern, machen die Auslandsumsätze 40 Prozent an den Gesamtumsätzen aus, in Hessen, Bayern, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Berlin und Bremen sind es jeweils über 50 Prozent.
Wie das Verhältnis der Ausgaben für Forschung und Entwicklung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt in Sachsen-Anhalt im Vergleich zu den übrigen Bundesländern ist, lesen Sie auf der nächsten Seite.
Erschwerend ist ferner, dass die teilweise offen zutage tretende Fremdenfeindlichkeit ein negativer Standortfaktor ist; in Sachsen-Anhalt kommen auf 1.000 Einwohner zwölfmal so viele rechtsextreme Straftaten wie beispielsweise in Hessen, und es sind auch mehr als in den anderen ostdeutschen Bundesländern.
Produktivitätsfortschritt basiert auf Innovation, und Innovationen erfordern Forschung und Entwicklung. Bei den Forschungs- und Entwicklungsausgaben in Relation zum Bruttoinlandsprodukt nahm Sachsen-Anhalt 2012 mit knapp 1,5 Prozent den letzten Platz unter den 16 Bundesländern ein (neuere Angaben liegen noch nicht vor).
Unter diesen Voraussetzungen ist es unwahrscheinlich, dass Sachsen-Anhalt beim Wirtschaftswachstum zu den wirtschaftsstarken Bundesländern aufschließen kann - schon allein aufgrund der ungünstigen Demographie.
Die gute Nachricht ist, dass die Landespolitik drei Hebel in der Hand hat, um die mittelfristigen wirtschaftlichen Perspektiven des Landes zu verbessern: Humankapital (Bildung und Forschung), Internationalisierung und Innovationen. Das hört sich fast so an wie die i3-Initiative des Landes, die auf Innovationen, Investitionen und Internationalisierung ausgerichtet ist. Die Strategie des Landes nimmt zwar einige wichtige Aspekte auf, bietet aber eine Reihe von Ansatzpunkten für Verbesserung. Die gegenwärtige Strategie orientiert sich zu sehr an Sachkapital und Technologie und zu wenig an Humankapital, Kreativität und Weltoffenheit. (mz)
