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Letzter Ausweg Insolvenz Warum immer mehr Bürger zahlungsunfähig sind

Während viele Firmen bislang stabil durch die Pandemie kommen, sind immer mehr Bürger zahlungsunfähig. Warum das nicht nur an Corona liegt.

Von Max Hunger 17.05.2021, 06:00
In Sachsen-Anhalt steigt die Zahl der Privatinsolvenzen. 
In Sachsen-Anhalt steigt die Zahl der Privatinsolvenzen.  (Foto: Alexander Heinl, dpa)

Halle (Saale) - Das Konto ist leer, die Rechnungen stapeln sich: Die Zahl überschuldeter Bürger ist in Sachsen-Anhalt rapide gestiegen. Laut Statistischem Landesamt gingen bei den Amtsgerichten im März 380 Anträge auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ein. Das ist ein Drittel mehr als im Vormonat und mehr als doppelt so viel wie im Januar. Über 90 Prozent der Schuldner waren laut Statistik Verbraucher oder ehemalige Selbstständige. Bei den Firmen waren die Pleiten indes rückläufig. Aktuellere Zahlen liegen noch nicht vor, laut Schuldnerberatern setzt sich der Trend jedoch fort.

Nach Angaben von Juristen und Beratungsstellen hat der Pleitenanstieg mehrere Gründe: Ein gekürztes Gehalt durch Kurzarbeit oder die Schließung des eigenen Geschäftes führe in der Pandemie bei mehr Menschen zu Geldsorgen, sagte Elke Neuendorf von der Schuldnerberatung der Landesverbraucherzentrale. Derzeit erhalte sie bis zu zwölf Anfragen am Tag zur Eröffnung eines Pfändungsschutzkontos - üblich seien zwei. Die Konten sind eine Vorbereitung auf eine drohende Privatinsolvenz. „Wir merken, dass die Menschen mehr Probleme haben“, sagte Neuendorf.

Corona-Krise sorgt bei vielen Menschen für Geldprobleme

Auch Schuldnerberaterin Petra Mewes aus Helbra (Mansfeld-Südharz) spürt die langfristigen Folgen der Corona-Krise: Sie erhält derzeit ein Drittel mehr Anfragen als im vergangenen Jahr. Häufig seien unter den Schuldnern Gastronomen oder kleine Händler, die bereits vor der Pandemie rote Zahlen geschrieben hätten. „Viele Selbstständige haben auch private Schulden“, sagte Mewes.

Für viele Schuldner sei die Pandemie das Zünglein an der Waage, sagte auch DRK-Insolvenzberaterin Claudia Lübke aus Weißenfels (Burgenlandkreis). Auslöser für Insolvenzen seien häufig Scheidungen, Arbeitslosigkeit, Krankheit oder die Überforderung mit Krediten. „Die Corona-Pandemie ist nicht der Hauptauslöser, verschärft aber bei bestimmten Personengruppen die Situation“, sagte Lübke.

Ein weiterer Grund für den Pleitenschub ist offenbar eine Gesetzesänderung: Mit einer Reform hatte das Bundesjustizministerium im Januar das Verfahren der Restschuldbefreiung von sechs auf drei Jahre verkürzt. In diesem Zeitraum nach einer Insolvenz gelten für die Schuldner besondere Pflichten. So müssen sie etwa pfändbare Einkommensanteile abtreten und Heirat oder Umzug dem Insolvenzverwalter melden. Anschließend sind sie schuldenfrei. Aufgrund der Verkürzung entschieden sich aktuell mehr Menschen für einen Insolvenzantrag, sagte Ulrich Bauer, Direktor des Amtsgerichts Dessau-Roßlau. Laut Bauer werden hier seit Jahresbeginn doppelt so viele Insolvenzverfahren pro Monat verhandelt wie noch im Vorjahr. „Viele haben bisher ihre Anträge zurückgehalten“, sagte Ulrich.

Trotz Corona bisher kein Anstieg der Firmeninsolvenzen

Laut Werner Budtke, Amtsgerichtssprecher in Halle, könnte ein weiterer Nachholeffekt Grund für einen Anstieg sein. Während der Pandemie seien die Insolvenzen bislang auch rückläufig gewesen, weil Beratungsstellen zum Teil geschlossen hatten. „Die Zahlen steigen jetzt wieder leicht an“, sagte Budtke.

Bei den Firmen ist indes weiterhin keine Corona-Pleitewelle in Sicht: Laut Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung in München ist sie durch die Aussetzung der Pflicht zur Anmeldung einer Insolvenz und die Wirtschaftshilfen des Bundes und der Länder verhindert worden. Die Bundesregierung hatte die Aussetzung der Antragspflicht für Unternehmen zuletzt erneut bis zum 30. April verlängert. „Durch das bloße Aussetzen werden die Folgen der Krise nur zeitlich verschoben“, mahnte jedoch Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser. (mz)