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Tourismus in Europa Tourismus in Europa: Die Russen bleiben weg

Von Thorsten Knuf 19.01.2015, 05:37

Berlin - Das Hotel Kulm im Schweizerischen Nobel-Skiort St. Moritz ist nach eigener Darstellung „nicht irgendein Luxushotel“. Seit mehr als 150 Jahren beherbergt das Fünf-Sterne-Superior-Haus im Engadin die Reichen, Schönen und Berühmten dieser Welt. Natürlich hat der Glanz seinen Preis: Wer jetzt im Januar im Kulm absteigen will, muss für das einfachste Zimmer umgerechnet mindestens 400 Euro pro Nacht bezahlen.

Man kann für die Winterferien aber auch Arrangements buchen: Das „Ski-Special“ mit sieben Übernachtungen ist ab etwa 2 800 Euro zu haben. Das „Spa-Special“ mit drei Übernachtungen und Verwöhnprogramm wiederum schlägt mit mindestens 1 300 Euro zu Buche.

Keine Warteliste mehr

Anlässlich des russisch-orthodoxen Weihnachtsfestes Anfang Januar hatte Hotelier Heinz Hunkeler auch etwas Besonderes für seine russischen Gäste im Angebot: Einen Dinner-Abend inklusive musikalischer Untermalung für 600 Schweizer Franken pro Person. Wer im Kulm logiert und speist, muss normalerweise nicht aufs Geld achten. Doch zeigte sich bei dieser Gelegenheit, dass das Geschäft mit russischen Urlaubern selbst im Luxus-Segment mühselig geworden ist. Bei Hunkeler hört sich das dann so an: „Im Gegensatz zu den vergangenen Jahren gab es nun keine Warteliste.“

Es gibt in Europa Tausende von Hotelbetreibern, Einzelhändlern und Dienstleistern, die liebend gern vergleichbare Sorgen hätten. Der grundsätzliche Befund in der Tourismusbranche aber ist immer derselbe. Egal ob in St. Moritz, Garmisch, Baden-Baden, Berlin, Nizza oder Antalya: Den russischen Kunden sitzt das Geld nicht mehr so locker wie in der Vergangenheit – sofern sie überhaupt noch kommen.

Zwar fallen russische Touristen bei weitem nicht so stark ins Gewicht wie etwa deutsche oder britische. Dafür gaben etliche russische Urlauber bisher im Ausland ihr Geld mit vollen Händen aus. Jetzt bewegen sich die Einbußen bei Übernachtungen und Umsätzen oft im hohen einstelligen, wenn nicht sogar zweistelligen Bereich.

Ursache dafür sind die Krise der russischen Wirtschaft und die Folgen des Ukraine-Konflikts. Wegen der rückläufigen Rohöl-Preise und der Sanktionen rechnet die Regierung in Moskau für 2015 mit einer Rezession. Vor allem Angehörigen der Mittelschicht fehlt inzwischen oft schlicht das Geld für Auslandsreisen.

Sotschi oder eigene Datscha

Hinzu kommt der dramatische Verfall des Rubels: Im Verlauf des vergangenen Jahres verlor die russische Währung gegenüber Euro und Dollar rund die Hälfte ihres Wertes. Entsprechend teurer sind Hotelzimmer, Restaurantbesuche und Einkäufe im Westen für die Russen geworden, die keine eigenen Devisenvermögen haben.

Auch die politischen Spannungen im Zuge der Ukraine-Krise spielen mitunter eine Rolle bei der Reiseplanung. Und zwar gleichermaßen für den steinreichen Oligarchen wie für den einfachen Bürger, der versucht, mit harter Arbeit und Sparsamkeit sein Stück vom Glück abzubekommen. Viele Russen fühlen sich im Westen unerwünscht oder werden sogar vom Arbeitgeber angehalten, nicht ins Ausland zu fahren. So wird der Urlaub im Schwarzmeer-Badeort Sotschi oder auf der eigenen Datscha schnell zum patriotischen Akt.

Laut russischer Vereinigung der Tourismusanbieter sank 2014 die Zahl der Auslandsreisenden um bis zu 50 Prozent. In Russland gingen massenhaft Reise-Unternehmen Pleite. Die verbleibenden Anbieter fahren ihr Angebot zum Teil drastisch zurück. So berichtet ein Sprecher des Reisekonzerns Tui, dass die Russland-Tochter des Unternehmens jetzt in der Ski-Saison ihre Kapazitäten in Westeuropa um bis zu ein Drittel reduziert habe.

Betroffen seien davon insbesondere Wintersport-Orte in Österreich und der Schweiz. Doch auch in deutschen Ski-Orten wie Garmisch-Partenkirchen sind derzeit deutlich weniger Russen anzutreffen als vor einem Jahr.

Auch Berlin betroffen

Ähnlich sieht es bei den Städtereisen aus. Beispiel Berlin, das bei russischen Shopping-Touristen beliebt ist und ansonsten im Fremdenverkehr von einem Rekord zum anderem eilt: Laut Vermarktungsgesellschaft Visit Berlin ging im November die Zahl der russischen Gäste im Vergleich zum Vorjahresmonat um fast 13 Prozent zurück, die Zahl der Übernachtungen dieser Gruppe um sieben Prozent.

Das macht sich natürlich auch im Einzelhandel bemerkbar. „Wir merken das vor allem am Textilumsatz“, heißt es beim Einzelhandelsverband. Teilweise klagten Geschäfte über zweistellige Einbußen. 14 000 russische Übernachtungsgäste wurden im November in Berlin registriert. Zum Vergleich: Die Briten kamen als größte Touristen-Gruppe auf das Dreifache.

So bleibt der europäischen Tourismus-Branche nur das Prinzip Hoffnung. So sagt etwa die Chefin der Deutschen Zentrale für Tourismus, Petra Hedorfer, sie sei überzeugt, dass der russische Reisemarkt „mittelfristig wieder an die sehr gute Entwicklung vergangener Jahre“ anknüpfen wird. Ob „mittelfristig“ aber zwei, fünf oder noch mehr Jahren bedeutet, vermag natürlich niemand zu sagen. (mz)