Prüfung bei Boehringer Ingelheim Prüfung bei Boehringer Ingelheim : Streit um Blutgerinnungshemmer Pradaxa

Für den deutschen Pharmahersteller Boehringer Ingelheim zählt Pradaxa zu den Bestellern. Allein in Deutschland setzt das Unternehmen pro Jahr mehr als 100 Millionen Euro mit dem Arzneimittel um, das die Blutgerinnung hemmt und vor allem zur Vorbeugung von Schlaganfällen und Thrombosen sowie nach dem Einsetzen künstlicher Knie- und Hüftgelenke verschrieben wird.
Der Pharmakonzern wirbt mit gewichtigen Vorteilen, die das Mittel mit dem Wirkstoff Dabigatranetexilat gegenüber dem herkömmlichen Gerinnungshemmer Marcumar habe: Pradaxa sei deutlich wirksamer und führe viel seltener zu Blutungen als das fast 40 Jahre alte Vorgängerpräparat, erläutert eine Sprecherin. Das Boehringer-Medikament habe seit seiner Zulassung 2008 Hochrechnungen zufolge bereits 150.000 Schlaganfälle verhindert. Vor allem aber sei - anders als bei Macrumar - eine ärztliche Blutkontrolle von Patienten, die das Arzneimittel dauerhaft einnehmen, nicht notwendig. Fazit: „Pradaxa ist wirksam, bequem und sicher.“
„Nicht besser, risikoreicher und teurer“
Letzteres wird allerdings wird von namhaften Pharmakologen bestritten. „Pradaxa wirkt nicht besser, ist aber in jedem Fall risikoreicher als Macrumar und zudem deutlich teurer“, sagt Peter Schönhöfer, langjähriger Direktor des Instituts für Klinische Pharmakologie am Klinikum Bremen, dieser Zeitung. Das Gleiche gelte auch für den Gerinnungshemmer Xarelto von Bayer, der zwar andere Inhaltsstoffe enthalte, aber in gleicher Weise wirke. Auch Xarelto werde mit der Aussage beworben, ärztliche Kontrollen seien nicht notwendig.
„Dabei ist genau das falsch, denn die Präparate weisen von Patient zu Patient eine sehr unterschiedliche Bioverfügbarkeit auf“, betont Schönhöfer. Das bedeutet: Bei gleicher Dosis werden im Körper der Patienten unterschiedliche Mengen wirksam, die von der Konstitution des einzelnen abhängen. In der Folge komme es vereinzelt zu extremen Überdosierungen, die schwerwiegende, teils tödliche Blutungen nach sich zögen.
Ein Nachweis für solche Risiken gelang einem Bericht des Handelsblatts zufolge bereits 2011 in den USA. Danach soll der US-Wissenschaftler Paul Reilly Pradaxa-Werte in der Blutspiegelkonzentration von Patienten festgestellt haben, die trotz vorschriftsmäßiger Einnahme bis zum fünffachen über der empfohlenen Höchstmenge lagen. Diese Befunde seien Boehringer Ingelheim auch bekannt gewesen, denn schließlich sei Reilly für das Unternehmen tätig gewesen.
Boehringer Ingelheim weist die Vorwürfe zurück
Für den Bremer Pharmakologen Gerd Glaeske ist klar: „Die Werbeaussage, dass eine Messung des Wirkspiegels im Blut nicht notwendig ist, ist nicht zu halten.“ Notwendig seien nun insbesondere Studien, um Sicherheit und Wirkung von Pradaxa mit dem bisherigen Standard Macrumar zu vergleichen, sagte er dieser Zeitung.
Boehringer Ingelheim weist die Vorwürfe zurück. „Pradaxa ist sicher. Wir haben alle relevanten Informationen und Studiendaten den Zulassungsbehörden in den USA und der EU vollständig und frühzeitig zur Verfügung gestellt.“, sagt Boehringer-Sprecherin Maria Isabel Rodriguez. Überdies habe Boehringer ein Gegenmittel entwickelt, das im Falle eines Falles Blutungen rasch stoppen könne. Dieses Gegenmittel sei im Oktober von der FDA und Ende November auch von der EMA zugelassen worden. Marcumar sei demgegenüber weitaus riskanter, ein Gegenmittel gebe es nicht.
Prozesse
Mittlerweile beschäftigt der Streit auch die Justiz im In- und Ausland. In den USA wurde bereit ein Prozess mit Sammelklagen angestrengt, den Boehringer allerdings mit einem außergerichtlichen Vergleich und einer Zahlung von 650 000 US-Dollar beilegen konnte. „Mit der Zahlung ist keinerlei Schuldeingeständnis verknüpft, wir wollten nur ein langwieriges Gerichtsverfahren vermeiden“, sagt Rodriguez. Bei der Staatsanwaltschaft Mainz ging im Sommer eine Strafanzeige gegen Boehringer ein, allerdings bisher ohne greifbares Ergebnis.
Die Prüfung, ob sich ein Anfangsverdacht verfolgbarer strafbarer Handlungen ergibt, sei noch nicht abgeschlossen, teilt die Leitende Oberstaatsanwältin Andrea Kelle auf Anfrage mit. Ein Ermittlungsverfahren habe man noch nicht eingeleitet. Die „im Raum stehenden rechtlichen Fragestellungen“ seien „relativ komplex“.