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Umstrittener Rohstoff Palmöl: Ohne den umstrittenen Rohstoff geht es nicht

Von Stefan Sauer 29.08.2016, 13:33
Palmöl-Plantagen im indonesischen Regenwald
Palmöl-Plantagen im indonesischen Regenwald RTL II

Berlin - Es steckt in Shampoo, Seife und Arzneien, in Pizza, Brot und Schokolade. Für Chemie-Unternehmen und in der Bioenergiegewinnung ist der Stoff kaum mehr wegzudenken, für Hersteller von Futtermitteln und Industriereinigern gilt dasselbe.  Weltweit wurden 2015 rund 60 Millionen Tonnen des Alleskönners produziert, auf einer Gesamtfläche halb so groß wie Deutschland, Tendenz steigend. Palmöl ist überall.

Und fast überall umstritten. Denn für die Plantagen wurden und werden in großem Stil Tropenwälder abgeholzt, an die Stelle der artenreichsten Lebensräume des Planeten treten öde, mit Pestiziden behandelte Monokulturen. Zum Sinnbild der geschundenen Natur ist der Orang Utan geworden, der auf der südostasiatischen Insel Borneo vor dem Aussterben steht. Nicht ausschließlich, aber auch des Palmöls wegen.

Seit Jahren wird der Raubbau scharf kritisiert

Wenig verwunderlich kritisieren Umweltverbände und Naturschutzorganisationen den vom Palmöl verursachten Raubbau seit Jahren scharf. Im Juni 2015 rief die französische Umweltministerin Segoléne Royal gar zu einem Boykott des Nussaufstrichs Nutella wegen dessen hohem Palmölanteil auf.

Zwar gelang es Hersteller Ferrero unter Hinweis auf die nachhaltige Herstellung des verwendeten Öls, die Attacke abzuwehren. Royal entschuldigte sich, nachdem selbst Greenpeace hatte verlauten lassen, ein Nutella-Boykott trage nichts zur Lösung bei. Vom Tisch war das Problem damit aber ebenso wenig wie die Frage, ob - ungeachtet des süßen Brotaufstrichs - ein Verzicht auf Palmöl nicht doch sinnvoll und angezeigt sei.

Palmöl auch in Deutschland weit verbreitet

Der World Wide Fund for Nature (WWF) nahm den Vorgang zum Anlass,  eine Studie zu möglichen Alternativen der Palmöl-Verwendung in Auftrag zu geben, die der WWF am heutigen Dienstag unter dem Titel „Auf der Ölspur“- Berechnungen zu einer palmölfreien Welt“ veröffentlicht. In der 90-seitigen Abhandlung gehen die Autoren Steffen Noleppa und Matti Cartsburg  von der Berliner Agrarpolitik-Beratung Agripol der Frage nach, wie und mit welchen Folgen der deutsche sowie der globale Palmölbedarf durch andere pflanzliche Öle gedeckt werden könnte.

Schon die schiere Menge des verbrauchten Palmöls macht deutlich, dass eine Ersatzbeschaffung  kein profanes Unterfangen wäre: In Deutschland werden laut Studie jährlich etwa 1,8 Millionen Tonnen des Öls eingeführt, wovon etwa 40 Prozent in der Nahrungs- und Futtermittelherstellung, 41 Prozent zur Bioenergie-Erzeugung und 17 Prozent für industrielle Zwecke verwendet werden.  Etwa ein Viertel der Menge gelangt in bereits verarbeitetem Zustand über die Grenze,  als Bestandteil von Kosmetika, Kartoffel-Chips oder Haushaltsreiniger.

Palmöl ist extrem vielseitig

Dass Palmöl sich in so vielen unterschiedlichen Erzeugnissen findet, ist seiner Vielseitigkeit zu verdanken: Bei Zimmertemperatur härtet es – mit Ausnahme von Kokosfett – wie keine anderes Pflanzenöl aus, weshalb es etwa in der Schokoladen,  Seifen- und Kerzenherstellung verwendet wird. Die chemische Zusammensetzung macht es für die Erzeugung biobasierter Tenside in Wasch-, Reinigungs- und Pflegmittelmitteln besonders geeignet. Darüber hinaus  kommt es in der Farb-, Schmieröl- und Kunststoff-Herstellung zum Einsatz.

In geringen Anteilen enthalten zudem Biokraftstoffe Palmölprodukte,  ein weitaus größerer Anteil wird in Biomasse-Heizkraftwerken verstromt. Für die Lebensmittelindustrie spielt das Öl in der Produktion von Margarine, Backwaren, Fertigpizzen, Eis und Schokolade eine herausragende Rolle. Bei alledem hat Palmöl aus Sicht der Hersteller gegenüber anderen Pflanzenölen einen unschätzbaren Vorteil: Es ist konkurrenzlos billig. 

Allerdings hat der WWF in der Untersuchung der Alternativen zum Palmöl den Kostenaspekt außen vor gelassen. Im Vordergrund stand die Frage, durch welche Ölpflanzen das Palmprodukt ersetzbar wäre, wo sie angebaut werden könnten und welche Flächen dies in Anspruch nehmen würde. Wollte etwa die Bundesrepublik gänzlich auf Palmöl verzichten und den heimischen Rapsanbau entsprechend ausweiten, wäre eine zusätzliche Agrarfläche von der doppelten Größe Mallorcas notwendig – eine ehe unrealistische Option. 

Alternativen würden für den Anbau noch größere Flächen in Anspruch nehmen

Würde der globale Palmöl-Konsum – die Rede ist von immerhin einem Drittel des weltweiten Pflanzenölbedarfs – auf Soja, Raps, Kokos und Co. umgestellt, stiege der Flächenverbrauch noch weitaus drastischer. Mit durchschnittlich  3,3 Tonnen Öl pro Hektar und Jahr  ist die Ölpalme nämlich bei weitem ertragreicher als alle anderen Pflanzen. Raps, Sonnenblumen und Kokospalmen bringen es auf 0,7 Tonnen pro Hektar, Soja auf 04 Tonnen. Man müsste die globale  Anbaufläche also in etwa verfünffachen, um die Palmöl-Ernte zu ersetzen.

Soja und Kokos aber wachsen in den gleichen Regionen wie die Ölpalme, die Ausweitung ihrer Anbauflächen würden mithin tropische Wälder ebenfalls und womöglich noch stärker in Mitleidenschaft ziehen. Das käme einer Teufelsaustreibung mit dem Beelzebub gleich. Damit nicht genug, würden durch den zusätzlichen Flächenverbrauch nach Berechnungen der Studienautoren Noleppa und Cartsburg 300 Millionen Tonnen des klimaschädlichen Gases  Co2 freigesetzt, das im Boden gebunden ist. Das entspricht etwa 40 Prozent des gesamten deutschen Co2-Ausstoßes im Jahr 2015.

Fazit der Studie: Kein Palmöl ist auch keine Lösung.

Eine deutliche Reduzierung des Verbrauches ist nach Ansicht des WWF aber unerlässlich. Die Industrie müsse sich verpflichten, nur noch zertifiziertes – und damit zumindest ein wenig unschädlicheres  -Palmöl zu verwenden. Derzeit liegt der zertifizierte Anteil in Deutschland bei 40 Prozent. Die Bundesregierung müsse überdies die Verwendung von Palmölprodukten zur Bioenergiegewinnung untersagen.  Eine Pflanzenölabgabe hält Ilka Petersen vom WWF-Deutschland für geeignet,  Verbraucher zum Verzicht  oder zumindest zu bewussterem Konsumverhalten anhalten.