Neues Verfahren gegen millionenfaches Töten Neues Verfahren gegen millionenfaches Töten: Kükenschreddern ab 2017 überflüssig?

Leipzig - Wenn Bundesminister Forschungseinrichtungen besuchen, dann geht es meist um Imagepflege - für die Wissenschaftler und den Politiker. Dass die Inhalte einzelner Forschungsprojekte im Fokus stehen, ist eher die Ausnahme. Eine solche fand am Montag an der Universität Leipzig statt: Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CDU) besuchte die Tiermedizinerin Maria-Elisabeth Krautwald-Junghanns und ihr Team, um sich über ein Verfahren zu informieren, das eine Geschlechterbestimmung von Eiern ermöglicht. Schmidt will das Töten von männlichen Eintagsküken beenden. Seine „Tierwohlinitiative“ soll vorankommen, doch dazu müssen die Leipziger Forscher erfolgreich arbeiten.
45 Millionen männliche Küken getötet
Jedes Jahr werden in Deutschland 45 Millionen männliche Küken getötet. Dies resultiert aus „Züchtungserfolgen“. Früher war bei den Hühnern die Rollenverteilung noch klar. Brathähnchen und Legehennen waren Brüder und Schwestern, die einen gaben Fleisch, die Hennen produzierten Eier. Doch durch Züchtungen gibt es seit den 50er Jahren Legerassen und Mastrassen. Bei den Mastrassen gibt es bei den Küken keine Unterschiede. Männchen wie Weibchen werden gemeinsam gemästet, bis sie nach fünf Wochen ihr Schlachtgewicht erreichen. Bei der Legerasse ist das anders: Die Hühner sind so etwas wie drahtige Marathonläufer. Die Hennen produzieren mehr als 300 Eier im Jahr. Das Problem: Die männlichen Legehühner haben für die Unternehmen keinen wirtschaftlichen Wert, weil sie weder Eier noch genügend Fleisch liefern. Sie werden ein oder zwei Tage nach dem Schlüpfen mit Kohlendioxid betäubt und getötet. Anschließend gehen sie als Tierfutter in Zoos und Tierhandlungen. Tierschützer laufen gegen diese Praxis seit Jahren Sturm. Die Eierproduzenten sehen diese Praxis als alternativlos.
Im Moment werden die Küken in den Brütereien nach dem Schlüpfen von Hand sortiert. Hoch qualifizierte Mitarbeiter können die Geschlechter anhand von Farbe, Federn und Kloaken unterscheiden und sortieren die männlichen Tiere aus, wie der Zentralverband Deutsche Geflügelwirtschaft erklärt. Die Minihennen werden aufgezogen. Die männlichen Tiere werden laut Verband fast ausschließlich mit Kohlendioxid vergast. Zudem sei das Zerkleinern im Häcksler erlaubt.
Statt nach dem Schlüpfen nach 21 Tagen können die Forscher der Universität Leipzig schon nach 72 Stunden das Geschlecht im Ei bestimmen. Dazu fräst ein Laser ein Loch von etwa einem Zentimeter Durchmesser in die Kalkhülle. Für die spektroskopische Analyse müsse keine Probe entnommen werden, erklärt die Teamleiterin Prof. Maria Krautwurst-Junghanns. Stattdessen werde die molekulare Struktur im Blut sichtbar gemacht, das bei Vögeln DNA-Informationen enthält. Binnen Sekunden wirft die Technik einen Kurvenverlauf aus, der das Geschlecht verrät. Nur die Eier mit weiblichen Küken werden mit Pflastern versehen und ausgebrütet.
Seit zehn Jahren forschen die Leipziger an den Grundlangen. Laut Bundesagrarminister Schmidt könnte ab Mai mit dem Umsetzen der Laborergebnisse in die Praxis begonnen werden. Dazu müssen Maschinen entwickelt werden, die im Großeinsatz tauglich sind. Nach einer Testphase sollen 2017 alle deutschen Brütereien das Verfahren nutzen.
Die Geflügelwirtschaft begrüßt prinzipiell die Methode der Geschlechterbestimmung im Ei. Sie scheine am besten geeignet zu sein, weil sie die Tiere schone, erklärt der Zentralverband. Eine Herausforderung sei die große Öffnung in den Eiern, durch die im Brutprozess mehr Keime in das Ei gelangen könnten. Die Forscher wollen das Verfahren weiter verfeinern, sagte Wissenschaftler Gerald Steiner. Die Schlupfrate liege unter Praxisbedingungen bisher noch 10 bis 15 Prozent niedriger als ohne Geschlechtertest.
Seriöse Abschätzungen zu den Kosten der Geschlechterbestimmung im Ei gibt es laut Branchenverband noch nicht, da die Automatisierung noch in der Entwicklung ist. Rudolf Preisinger, Geschäftsführer eines führenden deutschen Geflügelzüchters, der mit den Forschern zusammenarbeitet, rechnet mit einem geringen Mehrpreis für die Eier. Er schätzt, dass auf jede Brüterei etwa Mehrkosten von einer halben Million Euro zukommen.
Aus Sicht von Bundesagrarminister Schmidt bleibt ihnen nichts anderes übrig. Wenn die Bestimmung im Ei angewendet werden könne, sei sie eine Alternative zur Kükentötung. Damit greife automatisch das Tierschutzgesetz.
Die Geflügelzüchter befürchten das. Das Töten männlicher Eintagsküken spiele bisher nur im deutschsprachigen Raum eine Rolle, erklärt Thomas Janning vom Zentralverband Deutsche Geflügelwirtschaft. „Wir fordern eine europäische Lösung, da wir befürchten, ein nationaler Alleingang würde vor allem zu einer Produktionsverlagerung ins Ausland führen.“ Die Niedersächsische Geflügelwirtschaft fordert laut einem Bericht der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ für den Ausstieg aus der Kükentötung Finanzhilfen von Bund und Ländern. Sonst könnten vor allem kleine Brütereien die Anschaffung nicht finanzieren.
Das sollen nun die Leipziger Wissenschaftler ändern. In den vergangenen Jahren haben sie ein Verfahren entwickelt, das eine Geschlechtserkennung bereits vor dem Schlüpfen ermöglicht. „In die Eier wird mittels eines Lasers ein kleines Loch gemacht. Dadurch werden die Gefäße mit Blutzellen sichtbar. In diesen Blutzellen können wir berührungsfrei mit dem sogenannten Raman-Spektroskop die Unterschiede in den DNA zwischen männlich und weiblich sehen“, sagt Krautwald-Junghanns der MZ. Seit 2008 fördert der Bund das Projekt.
Bis Ende 2016 sollen nun ein Prototyp-Gerät gebaut werden, so die Wissenschaftlerin, das das Geschlecht im nur drei Tage bebrüteten Ei bestimmt und die Eier anschließend sortiert. Die männlichen Eier könnten zwar nicht mehr gegessen werden, jedoch in der Industrie etwa zur Herstellung von Fischfutter dienen. „Wir wollen ein praxistaugliches Gerät entwickeln, das schnell, kostengünstig und präzise arbeitet“, sagt Krautwald-Junghanns. Weniger als zehn Sekunden solle die Prüfung eines Eies dauern. Eine Herausforderung sei, dass etwa die Eierschalendicke unterschiedlich ist. Dies müsse bei der automatisierten Prüfung berücksichtigt werden. Um Probleme zu lösen, haben die Leipziger Wissenschaftler sich auch Sachverstand aus der Industrie mit ins Boot geholt. Seit Jahren arbeitet der große Zuchtbetrieb Lohmann im Projekt mit. Das Dresdner Unternehmen Evonta soll den Prototyp bauen.
"Bis 2017 kein Kükenschreddern mehr"
Agrarminister Schmidt hat einen ehrgeizigen Fahrplan. „Mein Ziel ist, dass wir bis 2017 kein Kükenschreddern mehr haben werden“, sagte er am Montag. Eine neue gesetzliche Regelung, damit die Bestimmung im Ei bei den Legehennenproduzenten auch eingesetzt wird, ist nach Angaben des Agrarministers nicht nötig. Sobald es ein Verfahren gebe, dass das Töten der Küken überflüssig mache, greife das Tierschutzgesetz. Der Bauernverband Sachsen-Anhalt begrüßt die Leipziger Forschung. „Bis zur Praxisreife ist aber noch erheblicher Forschungsbedarf notwendig“, teilte der Verband mit.
Mehreren Bundesländern geht das nicht schnell genug. So kündigte Nordrhein-Westfalens Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) an, über den Bundesrat schnellstmöglich das Kükentöten zu verbieten. Er warf Schmidt vor, sich hinter Absichtsbekundungen und Forschungsvorhaben zu verstecken. Ähnliche Töne kommen aus Niedersachsen. Allerdings ist Remmel mit einem Alleingang eines Kükentötungsverbotes in NRW schon auf die Nase gefallen. Das Verwaltungsgericht Minden untersagte im Februar ein Tötungsverbot, da es für die Erzeuger keine andere wirtschaftliche Möglichkeit gebe. Ansonsten werde die Legehennen-Haltung aus Deutschland abwandern. (red)