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Ehrliches Blech Max Knobloch Nachf GmbH: Die älteste Briefkastenfirma in Deutschland existiert im sächsischen Döbeln

Von Hendrik Lasch 13.04.2016, 06:11
Firmenchef Thomas Kolbe zeigt eines der Briefkasten-Modelle, das sein Unternehmen in Döbeln herstellt.
Firmenchef Thomas Kolbe zeigt eines der Briefkasten-Modelle, das sein Unternehmen in Döbeln herstellt. Hendrik Lasch

Döbeln - Es gibt Berufe, mit deren Beliebtheit ist es nicht weit her. Versicherungsvertreter? Legt man dem Nachwuchs nicht eben ans Herz. Müllmann? Eher unpopulär. Auch Politiker haben zu ihrer Berufswahl einiges zu erklären. Und dass man Chef einer Briefkastenfirma ist, behält man derzeit auch besser für sich, oder? Ach was, sagt Thomas Kolbe. „Es gibt keine schlechte PR“, tönt er und lächelt: „Vielleicht kommt mancher Kunde ja dadurch erst auf Gedanken.“ Ganz schön abgebrüht, der Mann!

Thomas Kolbe ist Chef einer Briefkastenfirma - und zwar der ältesten in Deutschland. Wer ihn im sächsischen Döbeln besucht, steht zunächst vor einem Briefkasten ohne Namensschild. Dabei handelt es sich um ein edles Modell: matt poliertes Blech, extra Zeitungsfach, Milchglas um einen edel glänzenden Klingelknopf. Wem der Kasten gehört, wird aber nicht preisgegeben. Klar, denkt man: Ist ja auch eine Briefkastenfirma. Diskretion ist in diesem Gewerbe fast alles.

Gründung vor 147 Jahren

Allerdings: Sollten sich doch mal Fahnder in die Waldheimer Straße verirren, müssten sie nicht lange rätseln, wer sich da niedergelassen hat. Auf Schildern und Bannern gibt sich die Briefkastenfirma „Max Knobloch Nachf. GmbH“ freimütig zu erkennen. Ganz so weit ist es mit der Geheimniskrämerei also nicht her. Stolz teilt die Firma sogar mit, dass sie schon Preise erhalten hat - und dass sie diesen schon seit 1869 nachgeht. Der Gast staunt: Briefkastenfirma seit 147 Jahren - und immer noch munter im Geschäft! Liegen die Behörden hier im Tiefschlaf?

In diesen Tagen redet alle Welt von Panama. Von dubiosen Firmen, in denen die Reichen, Schönen und Ausgebufften dieser Welt ihr Geld vor dem Fiskus und vielleicht auch ihrer Gattin verstecken. Geredet wird auch von heißen Enthüllungen, die Journalisten wie Zeitungsleser elektrisieren und Finanzpolitikern Zornesfalten auf die Stirn treiben. Von Verboten ist die Rede, von entschlossenen Maßnahmen, für die es nun aber wirklich mal an der Zeit sei. Die „Panama Papers“ sorgen weltweit für Wirbel. Von Döbeln redet keiner. Das soll sich ändern. Hier ist sie: Die Geschichte der ältesten Briefkastenfirma in Deutschland.

Wobei eingestanden sei: Investigativ ist an dieser Recherche eigentlich nichts. Wenn es um Fragen zum Geschäft geht, genügt ein Anruf, und Thomas Kolbe nimmt sich Zeit. Er ist einer der „Nachfahren“ aus dem Firmennamen: Enkel jener Frau, die einst den Sohn von Firmenmitgründer Max Knobloch hatte heiraten wollen, nach dessen Tod im Jahr 1945 aber nur Anteile an der Firma erbte. Kolbes Eltern hielten der Firma auch die Treue, nachdem sie 1972 verstaatlicht worden war; nach Ende der DDR machten sie diese wieder zum Familienbetrieb. Kolbe, der Psychologie studiert und Krankenpfleger gelernt hat, bevor er sich mit einem BWL-Studium dem Geschäft näherte, stieg 2001 in selbiges ein. Über sein Leben als Chef einer Briefkastenfirma redet der 44-Jährige frank und frei, und unter Klarname sowieso. Hat er keine Sorge, dass seine Offenheit dem Geschäft schaden könntet?

Die Coolness erklärt sich vielleicht daraus, dass Kolbe in der unverfänglicheren der beiden Sparten des Briefkastenfirmenwesens tätig, dass er gewissermaßen „nur“ der Zulieferer ist. Bei ihm und seinen 130 Leuten geht es um Metall statt um Finanzen, hier kann man höchstens am Blech sparen, nicht bei den Steuern. Aus Döbeln kommt das Zubehör für Briefkastenfirmen, das sie auch in der abgefeimtesten Bank oder Anwaltskanzlei handwerklich nicht auf die Reihe bekommen: der Kasten. Aus Metall, mit Tür, Schloss und Einwurfklappe sowie, falls gewünscht, mit Namensschild.

Klingt übersichtlich, ist es aber nicht. Wer in Kolbes Showroom steht, ahnt, dass Steuerflüchtlingen bei der Wahl des Briefkastens mindestens ebenso der Kopf raucht wie beim Durchlesen des Steuerfluchtvertrags. Was da das Kleingedruckte, ist bei Max Knobloch die Vielfalt. Darf es ein Aufputzmodell sein, eines zur Montage am Zaun oder in der Wand? Edelstahl oder Plexiglas? Mit Zeitungsfach oder ohne? Soll die Hausnummer integriert sein, und falls ja: Soll sie leuchten oder nicht? Die Verwirrung steigt mit jeder Seite im Katalog. Was also empfiehlt der Chef dem Käufer? Dezent oder auffällig? Frisch poliert oder leicht verbeult?

„Ich würde denken: vor allem groß“, sagt Kolbe, der das passende Modell parat hat: „Big Boy“, eine edle Kiste, die gegen Vandalismus und schlechtes Wetter (Tropenregen vielleicht?) geschützt ist und 23 Liter Post fasst. Das Modell könne „bequem die Urlaubspost von zwei Wochen aufnehmen“, heißt es im Werbeprospekt. Urlaubspost, ja, klar: „Oh wie schön ist Panama ...“

Vielleicht aber wünscht man sich in Döbeln tatsächlich, dass in den Kisten eher bunte Karten aus Palma de Mallorca landen als angebliche „Geschäftspost“ nach Panama. Es stellt sich nämlich heraus, dass Briefkastenfirmen gar nicht zu den gern gesehenen Kunden der sächsischen Briefkastenfirma zählen, ja, dass man deren fragwürdiges Tun gründlich missbilligt.

„Bei uns gilt das Ideal des ehrlichen Kaufmanns“, sagt Kolbe, der sein Geld zur Genossenschaftsbank trägt, statt auf dessen Vermehrung in Übersee zu hoffen. Auch den Briefkasten für sein privates Haus habe er gekauft und nicht in der Firma mitgenommen - „worüber mancher den Kopf schüttelt“, räumt er ein. Ist der Ehrliche der Dumme? „Gier macht viele skrupellos“, sagt Thomas Kolbe.

Dass aber mancher mit großem Namen sein Vermögen in dunklen Kanälen versickern lässt und ihm dabei von Banken auch noch bereitwillig geholfen wird, während in mittelständischen Betrieben wie dem seinen die Steuerprüfer regelmäßig zu Gast sind und jeden Cent umdrehen - das empfindet er als höchst ungerecht. Kolbe ist höflich; er lässt sich nicht zu Schimpftiraden hinreißen. Dass er Steuerbetrug aber „extrem kritisch“ sieht, gibt er gern zu Protokoll. Wobei er von Betrug nicht spricht, sondern eher von „gewissen unvorstellbaren Handlungen“. Was diese allerdings nur um so schmutziger erscheinen lässt...

An Gebäuden Pflicht

Wenn aber Briefkastenfirmen als Kunden nicht gern gesehen sind - wer kauft die Kisten dann? Alle, sagt Kolbe - zumindest alle, die ein Haus besitzen. Sie müssen sogar. Briefkästen sind „Pflichtbestandteil eines Gebäudes“. Über gestalterische und funktionale Qualitäten sagt derlei Pflicht zwar noch nichts; ein Spaziergang in einer Reihenhaussiedlung macht schnell klar, dass auch der Briefkastensektor verbreitet einer ästhetischen Wüste gleicht.

„Da stehen Häuser für 300 000 Euro, vor denen an einem Holzpfahl ein Discounterkasten für 19,99 hängt“, sagt Kolbe. Bei „Max Knobloch“ gibt es schlichte, solide und preiswerte Modelle, es gibt aber auch die Ferraris unter den Posteinwurfkisten. Ein Modell, für das dem Unternehmen 2013 ein „Red Dot Design Award“ verliehen wurde, lässt äußerlich zunächst das zentrale Gestaltungselement vermissen: den Einwurfschlitz. Der enthüllt sich erst, wenn das knallrote Gehäuse nach vorn gezogen wird. Liegt der Brief in der Kiste, gleitet es sanft in die Ausgangsposition zurück.

Nicht nur dieser Kasten zeigt, dass Briefkästen lediglich auf den ersten Blick ein „triviales Produkt“ sind, wie Kolbe formuliert. Die Kästen hängen spätestens seit den Fünfzigerjahren nicht mehr an Wohnungs-, sondern an Haustüren. In der Bundesrepublik zahlte die Bundespost zeitweise sogar zehn Mark für den hausinternen Umzug, der die Wege für Zusteller verkürzen und damit Zeit und Geld sparen sollte. Damit wurde der Briefkasten zur Visitenkarte eines Hauses, für die nun auch Designer ihrem Affen Zucker gaben. Bei „Max Knobloch“ einen individuellen Briefkasten zu bestellen, dauert zwar nicht ganz so lange wie die Konfiguration des Familienautos; Möglichkeiten aber gibt es sehr, sehr viele.

Auch funktional geht bei den Kästen gerade mächtig die Post ab. Klappe auf, Brief rein, fertig? Das war mal. Und wenn Kolbe sagt, es handle sich „ja nicht um Biotechnologie, sondern nur um konventionelle Blechbearbeitung, wenn auch mit computergesteuerten Maschinen“, dann stellt er sein Licht womöglich etwas unter den Scheffel. Vor Jahren galt Hightech in der Branche noch als spleenig; ein Modell, das die eingeworfenen Briefe automatisch öffnete, einscannte und per eingebautem Fax an den Empfänger schickte, wurde belächelt. Inzwischen ist nichts mehr unmöglich. Ein in die Kastenfront integrierter digitaler Notizblock? Eine SMS oder Mail an den Empfänger, ob sich der Weg zum Briefkasten lohnt? In Zeiten, in denen der Kühlschrank selbstständig Einkaufszettel schreibt, ist auch bei den Briefkästen fast nichts mehr undenkbar: „Medial existieren diese Trends“, sagt Kolbe. Und in der Wirklichkeit? „Der Markt erwacht.“

Ursprünge im 16. Jahrhundert

Munter geworden ist er bereits, wenn es um Inhalte geht. In einen historischen Blechkasten aus den frühen Jahren von „Max Knobloch“, der in einer Vitrine im Firmengebäude steht, passte höchstens ein klein gefaltetes Liebes-Billett. Derzeit aber mausert sich der Kasten, dessen hölzerne Vorformen angeblich im 16. Jahrhundert in den Kirchen von Florenz hingen und zur Übermittlung von Nachrichten an die Regierung gedient haben sollen, zu einer „Übergabestation“ für alles Erdenkliche: Briefe und Zeitungen, aber auch Pakete, Brötchen, Lebensmittel, Medikamente. Die Boxen können in Hausfluren und in Vorgärten stehen, aber auch bei Firmen, die es den Mitarbeitern ermöglichen wollen, Pakete in den Betrieb liefern zu lassen, statt auf die Gunst zufällig anwesender Nachbarn zu hoffen.

Für einen Buchladen in Ravensburg hat „Max Knobloch“ eine Anlage entwickelt, die wie ein Riegel aus Briefkästen aussieht, bei der es sich aber um eine „Buy Local Box“ handelt. Einzelhändler können ihren Kunden darin Waren hinterlegen, die diese abends mit einem per SMS zugestellten Zahlencode abholen - was für den örtlichen Handel und die Umwelt besser ist als ein Kauf beim Online-Händler.

Was nur eine Frage aufwirft: Heißen die Steuersparmodelle in Panama und anderswo also bald „Übergabestationsfirmen“? Das müsste mal investigativ recherchiert werden. (mz)