Kinder der Krise Kinder der Krise: Millennials sind rund 40 Prozent ärmer als ihre Eltern

Frankreichs 39jähriger Präsident Emmanuel Macron gilt als jung-dynamisch. Bei der französischen Jugend deutlich beliebter ist allerdings der Sozialist Jean-Luc Mélenchon. Mélenchon ist 65. In den US-Vorwahlen 2016 gewann der für amerikanische Verhältnisse linksradikale Demokrat Bernie Sanders unter den jungen Amerikanern mehr Stimmen als Hillary Clinton und Donald Trump zusammen. Sanders ist 75. Und in Großbritannien ist der 68-jährige Labour-Führer Jeremy Corbyn der Mann der Unter-35-Jährigen. „Warum verfallen so viele Junge den alten Sozialisten?“, fragt die New York Times. Das dürfte mit ihrer ökonomischen Situation zusammenhängen. Sie sind die Kinder der Krise.
Man nennt sie Generation Y oder Millennials - jene, die zwischen 1980 und der Jahrtausendwende geboren wurden. Ihr Arbeitsleben und ihre Finanzen unterscheiden sich deutlich von vorangegangenen Generationen. Ihnen hat der Internationale Währungsfonds (IWF) eine eigene Analyse gewidmet. „Millennials in den entwickelten Industriestaaten begannen ihr Berufsleben während des schlimmsten globalen Abschwungs seit der Großen Depression“, so der IWF. Und sie haben mit einer ganzen Reihe von Risiken zu kämpfen: unsichere Einkommen, unsichere Jobs, unsichere Altersvorsorge. Unsicheres Leben.
Laut IWF-Berechnungen profitierten frühere Generationen in den Industrieländern von einem wesentlich besseren gesamtwirtschaftlichen Umfeld. Auch wenn die Wirtschaftskrise überstanden scheint, bleibt das Wachstum doch weit hinter den Raten vergangener Jahrzehnte zurück. Das Gespenst der „säkularen Stagnation“ geht um. Zwar sinkt die Arbeitslosigkeit. Doch die Lohnentwicklung bleibt überraschend schwach. Nach Berechnungen der Resolution Foundation verdienen zum Beispiel 30-Jährige Briten heute im Jahr 12.500 Pfund weniger als Menschen im gleichen Alter eine Generation zuvor.
40 Prozent geringeres Vermögen
Das macht sich beim Aufbau von Vermögen bemerkbar. Im Durchschnitt hat die Generation Y in den entwickelten Ökonomien ein 40 Prozent geringeres Vermögen als die Baby Boomer oder die Generation X zu ihrer Zeit, errechnet der IWF. Ein Grund dafür sei, dass die jungen Menschen heute seltener Immobilien erwerben können als früher.
Gleichzeitig kommen auf sie höhere Kosten für Bildung zu, insbesondere in Ländern wie den Vereinigten Staaten. Als Folge „starten Millennials ihr Berufsleben mit wesentlich höheren Schulden als junge Erwachsene früherer Generationen“, stellt der IWF fest. Das verschärft ein weiteres Problem der Jungen: die Sicherung des Alters. „Die Renten-Landschaft hat sich dramatisch geändert, seit die in den Sechzigern Geborenen ihr Berufsleben begannen“, so der Fonds. Die meisten Staaten hätten die Rentenleistungen gekürzt. Folge: drohende Altersarmut.
Die Unsicherheit der Altersvorsorge ist auch ein Ergebnis des dramatischen Wandels am Arbeitsmarkt. „Das Arbeitsleben der Millennials wird nicht wie das ihrer Eltern aussehen“, schreibt Nagwa Riad vom IWF. Denn im Kampf um Marktanteile und Gewinne automatisieren die Unternehmen ihre Produktion. Schon frühere Generationen hätten mit technologischen Neuerungen zurechtkommen müssen, so Riad. Aber die Millennials müssten sich auf immer neue Umwälzungen einstellen. Die Zeiten, in denen man als junger Mensch lernte und dann einen Beruf ausübte, seien definitiv vorbei. Heute verlange der Markt permanente Weiterbildung und Flexibilität. „Nur so kann das Rennen zwischen Maschinen und Menschen zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit führen“, so Riad.
Schon heute sind die gefragtesten Jobs solche, die es vor zehn Jahren noch nicht gegeben hat – zum Beispiel im Cloud-Computing oder bei der Entwicklung von Smartphone-Apps. In fünf Jahren, so eine Schätzung des Schweizer World Economic Forum, ist mehr als ein Drittel aller heute als wichtig erachteten Fertigkeiten nicht mehr von Bedeutung. „Die Aufgabe für das Bildungssystem ist es, die Menschen mit Qualifikationen auszustatten, die es noch gar nicht gibt“, beschreibt IWF-Ökonom Sudararajan das Problem.
Um Arbeitsplätze zu verbilligen und zu automatisieren, zerlegen die Unternehmen Vollzeitjobs in einzelne Aufgaben und Projekte. Das Arbeitsleben wird zersplittert. Vorbei die Zeiten, in denen man jahrelang zu festen Zeiten für das gleiche Unternehmen arbeitete. „Die Macht der Gewerkschaften wird schwinden“, prophezeit Sudararajan. Das Problem dabei sei, dass das System der sozialen Sicherung meist noch auf Vollzeitjobs basiere: Mindestlöhne, bezahlter Urlaub, Rente, Krankenversicherung. Dieses System gerät aus den Fugen. „Die Herausforderungen für die Millennial-Arbeitnehmer sind recht beängstigend“, so Sudararajan.
Nur einer von drei Millennials blickt zuversichtlich
Das bleibt nicht ohne Wirkung auf die Betroffenen, selbst in Deutschland, wo die jüngste Krise nicht so gravierend war und wo die Wirtschaft seit einigen Jahren recht gut läuft – im Unterschied zu vielen anderen Ländern. Nur einer von drei Millennials blickt zuversichtlich in die Zukunft, ergab eine Umfrage der Unternehmensberatung Deloitte in Deutschland. Die Angst vor Krieg und Terror sowie vor Wegautomatisierung des eigenen Arbeitsplatzes bestimmten die Gedankenwelt der jungen Generation. Nur jeder achte glaube, ihm werde es finanziell besser gehen als den Eltern. Und keiner rechnet damit, glücklicher als die Generation vor ihm zu leben. Meine Kinder werden es mal besser haben – dieser Satz gilt nicht mehr ohne weiteres.
Zwar gilt die Generation Y als technikverliebt, flexibel und eher bindungsunwillig. Doch das ist nur ein Bild, das andere zeichnen. Laut Deloitte Millennial Survey 2017 ist die Festanstellung der erstrebenswerteste berufliche Status der jungen Menschen in Deutschland. 75 Prozent wünschen sich einen Vollzeitjob. Ihre Altersgenossen im Rest der Welt sind es immer noch zwei Drittel.
Das hat Folgen für die politische Haltung. Laut Deloitte wünscht sich immerhin ein Drittel der deutsche Millennials einen radikalen Wandel der Gesellschaft. In Großbritannien, den USA und Frankreich wenden sich die jungen Menschen den „alten Sozialisten“ zu. „Das Manifest der britischen Labour-Partei wurde von der Presse als ‚Rückschritt in die 70er Jahre’ bezeichnet“, schreibt die 29jährige Sarah L. June in der New York Times. „Für einige mag das wie eine Bedrohung geklungen haben, aber für viele junge Menschen ist es ein Versprechen.“
Die Generationen
Soziologen, Werber und Trendforscher lieben es, Muster zu erkennen. Daher teilen sie die Menschheit gerne ein in Generationen, denen sie Namen geben. Die Baby Boomer sind jene, die zwischen 1946 und 1965 geboren sind. Darauf folgt die Generation X (geboren zwischen 1966 und 1980) und darauf die Generation Y oder die Millennials (geboren zwischen 1980 und 2000). Millennials machen etwa ein Drittel der Weltbevölkerung aus.
Tatsächlich sind diese Einteilungen natürlich willkürlich. Zudem repräsentieren diese „Generationen“ keine homogenen Gruppen. Denn auch innerhalb dieser Gruppen gibt es reiche und arme, chancenlose und privilegierte Personen. Indem die unterschiedlichsten Individuen zu Gruppen zusammengefasst und Durchschnittswerte errechnet werden, lassen sich aber Rückschlüsse auf veränderte Lebensumstände ziehen. Die Charakteristika der „Generationen“ sagen also weniger über die persönlichen Einstellungen und Haltungen der Menschen aus, sondern mehr über die Umstände, mit denen sie zurechtkommen müssen.