Kartell-Betrug Kartell-Betrug: Leichtes Spiel für Kartellsünder

Berlin - Kartellsünder können sich mit relativ einfachen Tricks um Strafzahlungen drücken. Das ist längst bekannt. Doch die Bundesregierung unternimmt nichts dagegen. Mehrere hundert Millionen Euro könnten dem Staat deshalb demnächst durch die Lappen gehen.
Seit 2001 hat das Bundeskartellamt Bußgelder in Höhe von 4,1 Milliarden Euro verhängt. Doch die Unternehmen zahlen in vielen Fällen nicht sofort, sondern ziehen vor Gericht. Verfahren können sich über Jahre hinziehen. Der Verdacht drängt sich auf, dass der lange Rechtsweg auch als taktisches Instrument genutzt wird, um Zeit zu gewinnen und um sich Bußgeldzahlungen zu entziehen. Das Werkzeug dafür: Umbau des betroffenen Unternehmens im Laufe des Verfahrens. Wobei sich immer die Frage stellt, ob eine drohende Strafe tatsächlich der einzige Grund für Veränderungen in der Firma ist. Von den 4,1 Milliarden Euro könnten jedenfalls fast 460 Millionen Euro an Staatseinnahmen wegen Umstrukturierungen verloren gehen. Dies geht aus der Antwort des Bundeswirtschaftsministeriums auf eine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion hervor.
Der klassische Fall reicht in das Jahr 2005 zurück. Damals wurde der Industrieversicherer Gerling wegen Kartellverstößen zu einer Strafe von 19 Millionen Euro verdonnert. Doch 2006 übernahm der Talanx-Konzern Gerling. Der Bundesgerichtshof entschied schließlich 2011, dass Talanx nicht zahlen muss. Die Forderungen des Kartellamts lösten sich wegen der vertrackten Bestimmungen über Rechtsnachfolgen in Luft auf. Kartellamtspräsident Andreas Mundt machte sich daraufhin dafür stark, Bestimmungen bei Übernahmen strenger zu formulieren – mit einer Novellierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, die Mitte 2013 in Kraft trat, wurde dies umgesetzt.
Lücken im neuen Gesetz
Doch der Gesetzgeber ließ dabei ein paar Lücken. Zwar sind Übernahmen nun geregelt. Doch was passiert, wenn innerhalb eines Firmen-Konglomerats Zuständigkeiten hin- und her geschoben werden? Beispiel: Das operative Geschäft inklusive aller Vermögensgegenstände wird von Tochterfirma A auf Tochterfirma B übertragen. Tochter A bleibt als eine Art leere Hülle übrig, die keine Einnahmen mehr macht und deshalb nicht zahlen kann. Möglich wäre auch, Tochter A einfach aufzulösen. Tochter B ist aus juristischer Sicht eine eigenständige Gesellschaft, die nicht für das belangt werden kann, was Tochter A irgendwann einmal verbrochen hat. Solche Konstruktionen gängig: In laufenden Verfahren bestünden „Verdachtsmomente, dass Umstrukturierungen gezielt zur Vermeidung von Bußgeldern vorgenommen werden“, heißt es in der Anfrage-Antwort. Namen werden nicht genannt. Womöglich geht es auch um den Fleisch-Tycoon Tönnies, der als Teil eines Wurstkartells rund 120 Millionen Euro zahlen soll.
Indes, eine Lösung des Problems wäre relativ einfach. Das recht engstirnige deutsche Kartellrecht müsste einfach nur an EU-Normen angepasst werden. Dort gilt als Grundsatz, dass nicht einzelne Betriebe, sondern gesamte Konzern betrachtet wird. Die Mutterfirma ist für alle ihre Töchter in der Haftung. Das Verschieben von Vermögenswerten von einer Tochter zur anderen liefe also ins Leere.