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Krankenstand Grippewelle: Influenza kostet der deutschen Wirtschaft Milliarden von Euros

Von Stefan Sauer 28.03.2018, 12:42
Die Grippewelle hat gravierende Folgen auf die deutsche Wirtschaft.
Die Grippewelle hat gravierende Folgen auf die deutsche Wirtschaft. dpa

Berlin - Wochenlang hatte die Grippe Deutschland fest im Griff, nun scheint der Höhepunkt der überschritten. Erstmals seit Wochen meldete das Robert-Koch-Institut  am vergangenen Freitag rückläufige Fallzahlen: Nach 56.300 bestätigten Influenzaerkrankungen in der zehnten Kalenderwoche wurden in der elften zwischen dem 11. und 18. März nur mehr 48.069 labordiagnostisch nachgewiesene Grippefälle registriert. Zuletzt sank die Zahl nach Angaben des RKI vom Mittwoch nochmals auf gut 25.216. In Deutschlands Arztpraxen wurden in der vergangenen Woche nicht mehr Atemwegsinfekte behandelt als im Oktober 2017.

Schwerste Grippewelle seit Jahrzehnten

Gleichwohl handelt es sich um eine der schwersten Grippewellen der vergangenen Jahrzehnte. Mehr als 300.000 belegte Influenzafälle hat das RKI bislang gezählt. Die Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft sind beträchtlich. So meldete der Dachverband der Betriebskrankenkassen (BKK) für den zurückliegenden Februar den höchsten Krankenstand seit 2009. Im Schnitt fielen an jedem Arbeitstag des Monats 6,2 Prozent der Beschäftigten krankheitsbedingt aus, wobei fast ein Drittel dieser Fehlzeiten durch Grippe und grippale Infekte verursacht wurden. Damit übertrifft der aktuelle Influenza-Ausbruch selbst die heftige Grippewelle vom Frühjahr 2015.

Seinerzeit hatte der BKK für Februar einen Krankenstand von 5,9 Prozent ermittelt, der ebenfalls zu etwa einem Drittel Atemwegsinfekten geschuldet war. In „normalen“ Jahren sind im Februar nur zwischen 4,4 und 4,9 Prozent Kassenmitglieder arbeitsunfähig geschrieben.

Um welche Dimensionen es sich diesmal handelt, verdeutlichen Hochrechnungen: Mit 6,2 Prozent der 32,5 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten fehlten den Unternehmen im vergangenen Monat mehr als zwei Millionen Arbeitskräfte, knapp 615.000 von ihnen wegen Grippe oder grippaler Infekte. 

Wachstum der Wirtschaft lässt nach

Der britische Wirtschaftsinformationsdienst IHS Markit stellte infolge der Grippewelle ein deutlich nachlassendes Wachstum der deutschen Wirtschaft fest. Der als Konjunkturindikator wichtige IHS-Einkaufsmanagerindex war Mitte März kräftig um 2,2 auf 55,4 Punkte gesunken. Ökonomen hatten eigentlich mit einem Wert um die 57 Punkte gerechnet.

Die Statistik des Dachverbands der Betriebskrankenkassen zur aktuellen Grippewelle weist mit Blick auf die Erkrankungshäufigkeit auffällige regionale und berufsbezogene Unterschiede auf.

Während der Krankenstand durch Grippe im Februar in hauswirtschaftlichen und sozialen Berufen, im Erziehungswesen und im kirchlichen Bereich mit 2,51 Prozent weit über dem Bundesdurchschnitt von 1,89 Prozent lag, fehlten von den Bundeswehrangehörigen lediglich 1,16 Prozent aufgrund von Atemwegsinfekten.
Geringere Gripperaten wiesen auch Künstler (1,23), Lehrkräfte (1,3), das Gastgewerbe (1,36), Forst- und Landwirte (1,45) sowie Informatiker (1,47) auf.
Überdurchschnittlich betroffen waren dagegen Naturwissenschaftler sowie Beschäftigte in der Metall-Erzeugung und Bearbeitung (2,28 Prozent), in der Maschinen und Fahrzeugtechnik, dem Sicherheitsgewerbe (je 2,19), in Verkehrs-, Logistik- und Reinigungsberufen (2,14).

Auf Ebene der Bundesländer verzeichneten Rheinland-Pfalz mit 2,58 und das Saarland mit 2,52 Prozent die höchsten Anteile an grippalen Infekten erkrankter BKK-Mitglieder, Hamburg (1,43) und Bayern (1,61) die niedrigsten. Auch in Baden-Württemberg, Niedersachen (je 1,86) und Bremen (1,87) wurden Raten unterhalb des Bundesdurchschnitts (1,89). Im oberen Bereich liegen Sachsen-Anhalt  (2,37), Brandenburg (2,36) und die übrigen östlichen Bundesländer mit Ausnahme Berlins. In der Hauptstadt wurde mit 1,92 Prozent sogar niedrigere Werte registriert als in NRW (1,93) und Hessen (1,97).

Allerdings basiert dieser Index auf Umfragen. Konkrete Einbußen der Unternehmen lassen sich daraus nicht ableiten. Ebenso wenig können die Markit-Daten in Euro und Cent abbilden, was der gesamten Wirtschaft an Wertschöpfung verloren geht. Dies zu ermitteln, ist äußerst komplex. Auf der einen Seite stehen beträchtliche Produktionsausfälle. Sie werden aber zum Teil durch Sonderschichten und Überstunden kompensiert, wobei den Unternehmen wiederum zusätzliche Kosten entstehen. Für viele Dienstleistungsberufe gilt, dass einzelne Betriebe zwar stark unter dem Krankenstand leiden, die Kunden aber auf andere Anbieter ausweichen können: Wenn der Lieblingsitaliener krankheitshalber geschlossen bleibt, suchen Hungrige eben die Pizzeria zwei Ecken auf. Für den einen Betrieb unschön, für den anderen erfreulich, für die Volkswirtschaft unter dem Strich aber ein Nullsummenspiel.

Ärzte und Pharmaindustrie profitieren

Auf der anderen Seite kosten Krankheiten nicht nur Geld, sie schaffen auch Werte. Der Datendienst IMS Health errechnete während der Infektionswelle 2015 allein für Grippeimpfstoffe ein Umsatzvolumen von 94 Millionen Euro. Hinzu kommen lindernde Arzneien und Behandlungen, die privat oder von den Kassen getragen werden müssen, aber zugleich auch Einkommen für Arztpraxen und Pharmahersteller bedeuten. All diese Effekte gegeneinander aufzurechnen, erscheint fast unmöglich.

Dessen ungeachtet versuchten Wissenschaftler des Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsinstituts (RWI) 2015, die gesamtwirtschaftlichen Folgen der damaligen Grippewelle zu ermitteln. Sie kamen seinerzeit auf Belastungen in Höhe von 2,2 Milliarden Euro und rechneten mit einem grippebedingten Minus des BIP um 0,3 Prozent im ersten Quartal. Für eine – bislang hypothetische – Pandemie mit Millionen Erkrankten gehen Experten allerdings von weitaus dramatischeren ökomischen Einbußen aus. Die Schätzungen reichen bis zu 75 Milliarden Euro.

75 Milliarden Euro Einbußen

Von Schäden dieses Ausmaßes kann derzeit keine Rede sein. Einen Anhaltspunkt zu den aktuellen grippebedingten Einbußen liefert die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Baua): Sie bezifferte den erkrankungsbedingten Produktionsausfall pro Arbeitsunfähigkeitstag im Jahr 2016 mit durchschnittlich 112 Euro. In der Summe kam das Baua auf Produktionsausfälle in Höhe von 75 Milliarden Euro. Allerdings wurden dabei alle Fehltage berücksichtigt, die sämtlichen Erkrankungen zuzurechnen sind - und nicht allein der Grippe.