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Bei Magdeburg Gemüse-Produzent Joris: Riesiges Gewächshaus bei Magdeburg wird erweitert

Von Steffen Höhne 11.05.2018, 08:39
Bis Ende Mai werden im Gewächshaus noch Erdbeeren von polnischen und rumänischen Mitarbeitern geerntet.
Bis Ende Mai werden im Gewächshaus noch Erdbeeren von polnischen und rumänischen Mitarbeitern geerntet. Steffen Höhne

Osterweddingen - Jorg von der Wilt geht durch Hunderte Meter lange Tomaten-Reihen. Das Gemüse neben ihm rankt meterhoch nach oben - bis kurz unter das Glasdach. Pralle, rote Tomaten hängen herab.

„Ein Mal pro Woche müssen wir an jede Pflanze ran, um die Blätter auszubrechen“, sagt der Gemüsebauer, der Sweatshirt und Turnschuhe trägt. Das schnelle Wachstum ist sozusagen programmiert.

Eines der größten Gewächshäuser Deutschlands bei Magdeburg

Denn von der Wilt betreibt Gemüse- und Obstanbau in einer Art High-Tech-Fabrik. Vor den Toren Magdeburgs hat der Niederländer für 13 Millionen Euro eines der größten Gewächshäuser Deutschlands errichten lassen.

Beim Gang durch die Anlage, die sich auf einer Fläche von etwa sieben Fußballfeldern (6,5 Hektar) erstreckt, fällt eines zuerst ins Auge: Die Pflanzen stehen nicht in der Erde, sondern in Kniehöhe in einem Kokosfaser- beziehungsweise Glaswollesubstrat. 

„Das Gemüse bekommt eine Nährlösung zugeführt“, sagt von der Wilt. Das habe zwei große Vorteile: Zum einen würden keine ungewollten Bakterien oder Schädlinge über den Boden eingetragen, zum anderen ließe sich so das Wachstum steuern.

Niederländer expandiert in der Börde

Jorg von der Wilt hat 20 Jahre lang in den Niederlanden im Gewächshaus Paprika angebaut. Im vergangenen Jahr ist er nach Osterweddingen (Landkreis Börde) übergesiedelt. „Wir können hier bessere Qualitäten für den regionalen Markt liefern“, sagt der Landwirt.

Der Grund: In Spanien und den Niederlanden werden Paprika und Tomaten geerntet, wenn sie noch nicht voll ausgereift sind. Das ist notwendig, weil während des Transportes eine Nachreife stattfindet. „Das kostet aber Zuckergehalt und damit Geschmack“, erklärt der 45-Jährige. Von Magdeburg aus beliefere sein Betrieb „Joris“ Supermärkte im Umkreis von 200 Kilometern.

Verbraucher zahlen mehr für heimisches Gemüse

Die Verbraucher sind bereit, für die heimische Frischware auch etwas mehr Geld auszugeben. Dennoch stammen nur etwa zehn Prozent des hierzulande verkauften Gewächshausgemüses aus deutscher Produktion.

Der Gemüseexperte Hans-Christoph Behr von der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft in Bonn hat dafür eine Erklärung: „Das Problem ist die Wärmeversorgung. In Deutschland liegen die Preise für Strom und Gas höher als in den Niederlanden oder Spanien.“ Großprojekte würden sich nur dann rechnen, wenn günstig Abwärme bezogen werden könne.

XXL-Gewächshaus wird mit Abwärme beheizt

Genau das ist in Magdeburg der Fall. Beheizt wird das XXL-Gewächshaus nämlich mit der Abwärme eines benachbarten Flachglaswerkes. „Zur Glasproduktion sind Temperaturen von bis zu 1 500 Grad Celsius nötig“, sagt Projektleiter Helmut Rehhahn. Die Restwärme musste der Hersteller F-Glass bisher runterkühlen.

„Nun nutzen wir die Wärme, das ist für beide Seiten ein wirtschaftlicher Vorteil.“ Der 70-jährige Rehhahn war von 1994 bis 1996 Landwirtschaftsminister in Sachsen-Anhalt für die SPD und betreibt heute eine Agrar-Beratungsgesellschaft. Er gilt als Experte für Gewächshäuser.

Ebenfalls für niederländische Investoren entwickelte er bereits in Wittenberg einen riesigen Komplex unter Glas, der inzwischen 22 Hektar umfasst und weiter wachsen soll - mehrere Gewächshäuser sind in Planung, darunter auch welche, in denen im Herbst 2019 erstmals Erdbeeren geerntet werden sollen.

In Wittenberg kommt die günstige Wärme über das Chemiewerk SKW Piesteritz. Die Tomaten werden bereits unter dem Namen „Luther-Tomaten“ verkauft. Die Wittenberger haben nun auch die Vermarktung der Produkte des Niederländers von der Wilt übernommen.

Bestäubung der Erdbeeren durch Hummeln

Nach Worten von Rehhahn ist es für jeden neuen Produzenten eine Herausforderung, dem Handel große Mengen in hoher Qualität zu liefern. In Osterweddingen werden neben Tomaten auch Paprika und Erdbeeren angebaut.

So werden Erdbeeren von Mitte Oktober bis Ende November und von März bis Ende Mai geerntet - also außerhalb der Freiland-Saison. „Mit zwölf bis 14 Kilogramm je Quadratmeter erreichen wir die doppelte Menge des Freilandertrags“, sagt von der Wilt.

Dafür werden im Gewächshaus möglichst optimale Bedingungen geschaffen - die Nährstoffzufuhr ist dabei nur ein Teil. Jede Frucht hat beispielsweise „ihre“ Temperatur. Im Erdbeergewächshaus sind es rund 20 Grad Celsius. Zwischen den Pflanzen tummeln sich Hummeln.

Die Insekten ersetzen im Glashaus das natürliche Lüftchen, denn Tomaten und Erdbeeren sind Windbestäuber. „Die Hummeln tragen den Pollen gut weiter und bleiben meist an einem Ort“, erklärt Rehhahn. 70 Hummel-Kästen seien verteilt. Bienen würden dagegen stets versuchen, auch neue Nahrungsquellen außerhalb des Gewächshauses zu finden.

Schlupfwespe gegen Weiße Fliege im Einsatz

Und noch ein weiteres Insekt hilft mit: die Schlupfwespe. Sie wird gegen die Weiße Fliege eingesetzt, die ganze Ernten vernichten kann. „Pflanzenschutzmittel werden daher nur minimal verwendet“, sagt Rehhahn. Ein kleines Gas-Kraftwerk vor Ort liefert zudem Strom für eine Beleuchtung im Winter, das anfallende Kohlendioxid wird den Pflanzen über Leitungen als Wachstumstreiber zugeführt.

Allein die Ernte findet im High-Tech-Gewächshaus manuell statt. Polen und Rumänen übernehmen die anstrengende Arbeit. Obwohl von der Wilt nach eigenen Aussagen mehr als Mindestlohn zahlt, hat er keine geeigneten deutschen Pflücker gefunden.

„Ohne die Frauen und Männer aus Osteuropa läuft in den Gewächshäusern nichts“, sagt der Niederländer. Die Produktion will er schnell ausweiten. Noch im Sommer 2018 soll ein zweiter Bauabschnitt starten, um die Fläche unter Glas zu verdoppeln. (mz)