Bayer Bayer: Seit 150 Jahren Aspirin im Sekundentakt

Bitterfeld/MZ - Im Sekundentakt laufen die Aspirinpackungen auf dem rund 20 Meter langen Förderband vorbei. Voll automatisiert werden sie gestanzt, verschweißt, eingetütet und dann in große Kartons verpackt. Dazu braucht es gerade einmal drei bis vier Mitarbeiter an jeder Fertigungsstrecke. „Bayer hat in Bitterfeld neue Erfahrungen gesammelt: Erstmals wurde in einer pharmazeutischen Fabrik ein voll automatisierter Betrieb etabliert“, sagt Bernhard Mühlner, technischer Leiter und einer der ersten drei Mitarbeiter in der Medikamentenfabrik.
Es ist nicht das einzige, was Bitterfeld zu 150 Jahren Konzerngeschichte, die gestern in einem großen Festakt in Köln gefeiert wurden, beigetragen hat. Denn die 1995 in Betrieb genommene Fabrik ist auch ein Symbol für Bayer gewesen. „Durch das Bitterfelder Werk sind wir wieder zu einem gesamtdeutschen Unternehmen geworden“, sagt Sprecher Michael Nassenstein.
Und nach Bitterfeld kam nicht irgendein Firmenteil, sondern einer der prestigeträchtigsten. Die Fabrik produziert unter anderem alle Arten der Aspirintablette für den europäischen Markt. Mit diesem Medikament, das Bayer seit 1899 unter diesem Namen produziert, verbindet beinah jeder Deutsche den Konzern. Im kommenden Jahr wird die zehn milliardste Tablette vom Band rollen. Mittlerweile arbeiten rund 400 Mitarbeiter in dem Werk. Diese Bilanz bringt natürlich Selbstbewusstsein. „Mittlerweile gibt es aber auch so etwas wie die Bitterfelder Mentalität“, sagt Mühlner. Dazu gehöre, dass man alles genau wissen wolle und exakt nachfrage. Zudem arbeite das Werk bis heute extrem effizient.
Das liegt auch an der neuen, automatisierten Herstellung im großen Stil. Die 21-Kubikmeter-fassenden Mixer, in denen der Wirkstoff mit Aromen und weiteren Zusätzen vermischt wird, seien vor 20 Jahren einzigartig gewesen. Zuvor habe man in deutlich kleineren Mengen produziert. Auch der gesamte Lieferverkehr im Werk läuft mit Fahrzeugrobotern, die die Mixtur zu den einzelnen Produktionslinien bringen oder die fertig verpackten Medikamente ins Lager fahren. Alle tragen eine eigene Bezeichnung: Helmut, Günther oder Rolf. „Die Fahrzeuge tragen alle Namen von Mitgliedern des Projektteams in Bitterfeld“, erzählt Mühlner.
Diese Bitterfelder Selbstbewusstsein, das auch hier wieder durchschimmert, war nicht von Beginn an so. Als Bayer 1991 entschied, in Bitterfeld ein Chemiegebiet zu errichten, sah es noch düster aus. Eine der Herzkammern der chemischen Industrie der DDR blutete aus, die Firmengelände wurden entkernt und zurückgebaut. „Bayer hat hier in Bitterfeld den Startschuss gesetzt und eine Sogwirkung produziert. Nach jahrelangem Rückbau war plötzlich wieder Hoffnung da“, erzählt Mühlner, der 1993 eingestellt wurde und an der Planung der Medikamentenherstellung beteiligt war. Heute arbeiten wieder rund 12?000 Menschen in der chemischen Industrie rund um Bitterfeld-Wolfen.
Im ersten Jahr war Mühlner, wie beinah alle Mitarbeiter der ersten Stunde, mehrere Monate am Stammsitz in Leverkusen. Das sei eine spannende Zeit gewesen, auch wenn die Ostdeutschen so kurz nach der Wende neugierig beäugt worden seien. „In den ersten Wochen haben wir fast jeden Abend eine Einladung von einem Kollegen bekommen. Alle wollten uns kennenlernen“, sagt der 55-Jährige. Allerdings habe Bayer von Beginn an in Bitterfeld auf Führungskräfte aus der Region gesetzt. „Niemand hat uns als Ossis behandelt, denen man den aufrechten Gang beibringen muss“, erinnert sich der technische Leiter: „Es war immer fair und auf Augenhöhe.“
Mittlerweile gehören die Bitterfelder fest dazu. Bei der großen 150-Jahr-Feier im Stadion des Werksclubs Bayer Leverkusen waren etwa 150 Mitarbeiter aus dem Medikamenten-Werk mit dabei. Auch wenn Fabrik- und Firmenjubiläum nicht zusammenfallen, zumindest Mühlner hat eine kleine persönliche Feier. „Ich bin in diesem Jahr der erste Mitarbeiter aus der Selbstmedikation, der 20-Jähriges feiert.“
