Terrorismus Terrorismus: Motassadeq wegen Beihilfe zum Mord in 246 Fällen verurteilt
Karlsruhe/dpa. - Mehr als fünf Jahre nach den Anschlägen des 11.September 2001 ist erstmals ein Terrorhelfer der HamburgerSelbstmord-Piloten rechtskräftig verurteilt worden. DerBundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe verschärfte das Urteil gegen denMarokkaner Mounir El Motassadeq am Donnerstag drastisch: Der 32-Jährige ist danach auch der Beihilfe zum Mord in 246 Fällen schuldig.
Das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg, das Motassadeq im August 2005lediglich wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigungzu sieben Jahren Haft verurteilt hatte, muss nun erneut über die Höheder Strafe entscheiden. Damit droht Motassadeq eine deutlich längereFreiheitsstrafe (Az: 3 StR 139/06 vom 16. November 2006).
Der 3. BGH-Strafsenat ging überraschend über den Antrag derBundesanwaltschaft sowie das Urteil des OLG hinaus und erkannte ohneneuerliche Komplettaufhebung selbst auf Beihilfe zum Mord. «In derneuen Verhandlung kann daran nicht mehr gerüttelt werden», sagte derSenatsvorsitzende Klaus Tolksdorf bei der Urteilsverkündung. EinzigesThema werde sein, die der Schuld angemessene Strafe zu finden.
Motassadeq bleibt auch nach seiner Verurteilung vorerst auf freiemFuß. Das OLG Hamburg lehnte es am Donnerstag ab, die im Frühjahrangeordnete vorläufige Freilassung des Marokkaners rückgängig zumachen und ihn bis zur abschließenden Entscheidung in Haft zu nehmen.Wie ein Sprecher der Bundesanwaltschaft am Abend mitteilte, hatte dieKarlsruher Anklagebehörde kurz nach der Urteilsverkündung beantragt,wegen Fluchtgefahr die Haftverschonung für den 32-Jährigenaufzuheben.
Den Angaben zufolge ist Motassadeqs Familie vor einiger Zeit außerLandes gebracht worden. Die Bundesanwaltschaft will nun mit einerBeschwerde doch noch die Inhaftierung durchsetzen. RechtsanwaltAndreas Schulz, der im Prozess Hinterbliebene vertrat, sah wegen derdrohenden härteren Strafe Fluchtgefahr.
Nebenkläger-Vertreter Schulz rechnet mit einer Strafe fürMotassadeq «im Bereich von 15 Jahren». Im ersten Hamburger Urteil,das bereits auf Beihilfe zum vielfachen Mord und Mitgliedschaft ineiner Terrorgruppe lautete, hatte das OLG 15 Jahre Haft verhängt. DerBGH hob das Urteil 2004 wegen Mängeln in der Beweiswürdigung auf.
Laut BGH-Senat steht nach der rechtsfehlerfreien Beweiswürdigungdes OLG fest, dass Motassadeq der Hamburger Terrorzelle Helferdienstegeleistet hat und den Plan kannte, mit Selbstmordpiloten Flugzeugezum Absturz zu bringen. «Er hat durch die Übernahme organisatorischerAufgaben die Begehung der Attentate erleichtert und gefördert», sagteTolksdorf. Motassadeq hatte unter anderem den Aufenthalt eines derPiloten in einem afghanischen El-Kaida-Camp verschleiert.
Allerdings hat das OLG dem BGH zufolge aus den eigenenFeststellungen einen falschen juristischen Schluss gezogen und eineBeihilfe zum Mord abgelehnt. Motassadeq habe von vier Pilotengewusst, so dass sein Beihilfevorsatz die 246 Passagiere undBesatzungsmitglieder der von diesen gesteuerten vier Maschinenumfasst habe. Laut BGH gilt dies zwar nicht hinsichtlich der weiterenOpfer, weil nicht erwiesen ist, dass Motassadeq die genauen Plänekannte. Nach den Worten des Vorsitzenden dürfte die Zahl der Opferaber für die Höhe der Strafe dennoch eine Rolle spielen.
Das Urteil habe die juristische Aufarbeitung der Attentate durchdie deutsche Justiz «ihrem Abschluss einen großen Schritt nähergebracht», sagte Tolksdorf. Das OLG will den Prozess nach Angabeneiner Sprecherin möglichst rasch zum Abschluss bringen. Ein genauerZeitplan sei aber noch nicht möglich.
Nebenklägervertreter Schulz sagte, er habe die Angehörigen derOpfer bereits über die Entscheidung informiert. «Sie haben dasangemessen aufgenommen.» Nach Worten von Bundesanwalt GerhardAltvater demonstriert das Urteil, dass der Rechtsstaat ausreichendeMöglichkeiten bietet, um solche Verbrechen zu ahnden. DieVerteidigung hält das Urteil für falsch und erwägt einen Gang vor dasBundesverfassungsgericht.