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Sommergespräch mit Reiner Haseloff Sommergespräch mit Reiner Haseloff: "Eine Familie braucht Rituale"

23.07.2014, 18:45
Am Brunnen vor dem Tore: Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU, rechts) im Gespräch mit MZ-Redakteur Kai Gauselmann.
Am Brunnen vor dem Tore: Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU, rechts) im Gespräch mit MZ-Redakteur Kai Gauselmann. Andreas Stedtler Lizenz

Wittenberg/MZ - Sommerpause - das politische Magdeburg schnauft durch. Zeit für einen entspannten Plausch. Für unsere Sommer-Interviews haben wir unsere Gesprächspartner gebeten, einen Lieblingsort zu benennen, über den wir ins Gespräch kommen. Es kann um Politik gehen, muss aber nicht. Zum Auftakt offenbart sich Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) unter der Linde im Wittenberger Lutherhof als Romantiker, erklärt was man für sein Glück tun kann und welchen Kindheitstraum er aufgegeben hat. Mit dem 60-Jährigen sprach MZ-Redakteur Kai Gauselmann.

Herr Haseloff, mal mit dem Volkslied gefragt: Hier steht ein Lindenbaum, träumten Sie in seinem Schatten manchen süßen Traum?

Haseloff: Ja - aber meistens nicht alleine! Dieser Ort ist eng verbunden mit der Geschichte meiner Ehe und meiner Familie.

Erklären Sie das doch bitte in allen Details.

Haseloff: Ich habe meine Frau mit 18 kennengelernt, während des Abiturs. Sie hat in Hoyerswerda gelebt. Und als ich sie nach Wittenberg eingeladen habe, habe ich sie auch hierhin gebracht, um sie zu beeindrucken. Sie war auch gleich von Wittenberg begeistert. Hier unter der Linde habe ich ihr die erste ausdrückliche Liebeserklärung gemacht.

War das extra geplant, weil es hier so romantisch ist?

Haseloff: Ja, natürlich. Damals war es noch grüner, der Brunnen lief gerade und es war Sonnenuntergang.

Da konnte sie gar nicht Nein sagen.

Haseloff: Genau, hat sie ja auch nicht. Gott sei Dank. Wir waren aber auch sehr verliebt. Aber es lagen harte Jahre vor uns. Ich musste zur Armee, meine Frau insgesamt sechs Jahre zum Studium, unter anderem nach Budapest. Da bleibt man nicht zusammen, wenn man nicht richtig verliebt ist.

Und dann haben Sie sich hinterher wieder unter die Linde gesetzt?

Haseloff: Natürlich. Und ich habe meiner Frau hier den Heiratsantrag gemacht.

Wie Reiner Haseloff um die Hand seiner Frau angehalten hat, lesen Sie auf der folgenden Seite.

Klassisch auf den Knien?

Haseloff: Auf Knien nicht, sondern im Sitzen. Aber mit schmachtendem Blick. Hier haben wir auch gesessen, als meine Frau schwanger war und haben auf die Kinder gewartet. Wir wohnen ja nicht weit weg, das liegt auf unserer Spazier-Route durch die Innenstadt. Später sind wir mit unseren Kindern hergekommen - und heute machen wir das mit unseren Enkeln. Das hier ist für unsere Familie ein Fixpunkt, wirklich ein Stück Heimat. Deswegen war Kyrill auch so ein schwerer Schlag für uns.

Wieso Kyrill?

Haseloff: Das ist nicht die ursprüngliche Linde, die hat der Orkan Kyrill 2007 erwischt und aus der Erde gedreht. Das war ein kleiner Schock. Unter diesem Baum habe ich meine wichtigsten Worte gesprochen! Wir haben einen neuen gestiftet - und eingepflanzt. In trockenen Sommern kommen wir auch her und gießen ihn.

Sie sind knapp 40 Jahre verheiratet, gehört so ein Erinnerungsort zu den Geheimnissen einer langen Ehe?

Haseloff: Ich denke, ja. Eine Familie braucht Erinnerungspunkte und Rituale, die sie pflegen muss. Wir versuchen noch jetzt unseren Kennenlern-Tag, im Juni 1972, so zu begehen, dass wir zu einem bestimmten Ort unseres gemeinsamen Lebens fahren und dort den Tag intensiv gemeinsam erleben. Das ist ein Ritual, wo wir uns füreinander frei nehmen. Wenn man so etwas nicht hat, dann ist man ein Steppenwolf. Ein Gejagter, ein Einsamer, der nie ankommt.

Erstaunlich, dass Sie das so formulieren. Sie sind doch eigentlich ein rastloser Typ.

Haseloff: Mit meiner Frau und meiner Familie erlebe ich meine Ruhepunkte. Deshalb versuche ich auch, viel Zeit mit ihnen zu verbringen. Ein getrennter Urlaub käme für uns nicht in Frage. Ich jedenfalls will jede freie Minute mit meiner Frau verbringen.

Haben Sie einfach Glück gehabt mit Ihrer Familie?

Haseloff: Wir wissen, dass das nicht selbstverständlich ist. Wir wissen zu schätzen, was wir für ein Glück hatten. Bei manchen geht es auseinander, und die können eigentlich nichts dafür. Wir haben aber immer etwas für unser Glück getan. Man kann zum Beispiel nach einem Streit auseinander rennen. Muss man aber nicht. Man kann auch wieder neu anfangen.

Was dem Ministerpräsidenten Kraft im Alltag gibt, erfahren Sie auf Seite 3.

Hilft das intakte Zuhause beim Regieren?

Haseloff: Natürlich. Meine Familie ist mein stabiler Rahmen. Dadurch halte ich manchen Druck, manche Debatte und manche MZ-Schlagzeile besser aus. Ich weiß: Da ist immer meine Familie, die mich halten würde, wenn alles schief ginge. Solchen Halt wünsche ich jedem und ich versuche auch als Politiker, dafür die Rahmenbedingungen zu ermöglichen: Damit Familien hier leben und glücklich werden können.

Haben Sie schon eine Vorstellung davon, wie Sie alt werden wollen?

Haseloff: Möglichst hier, in der Nähe ist auch ein Altenheim. Da ist vor sechs Wochen meine Tante aus Berlin gestorben, die hatten wir hier hergeholt. Die letzte Phase ihres Lebens habe ich intensiv miterlebt. Den Tod darf man nicht verdrängen, den muss man erleben, das ist der Gang der Dinge.

Einige Wochen vor seinem Tod haben Sie auch Ihren Vor-Vor-Gänger Reinhard Höppner (SPD) besucht. Sterben zu erleben, ist das für Sie ein Punkt, wo Sie sich straffen und nochmal überlegen, was für Sie wichtig ist im Leben?

Haseloff: Ich war fast drei Stunden bei Reinhard Höppner. Wir haben über vieles gesprochen. Es war ein menschliches Treffen, es ging nicht um Politik. Ich will aus so einem persönlichen Gespräch aber nicht erzählen. Aber ja, natürlich überlegt man dann nochmal, was wirklich zählt im Leben.

Wenn Sie jetzt wüssten, das Ende ist nahe - sind Sie mit sich im Reinen?

Haseloff: Ich bin mit mir im Reinen. Das heißt aber nicht, dass ich alles richtig gemacht haben muss. Im Nachhinein sieht man manche Sachen differenzierter. Es geht darum, dass ich wenigstens immer versucht habe, eine richtige Entscheidung zu fällen unter Einbeziehung aller in diesem Moment verfügbaren Informationen.

Was sehen Sie jetzt differenzierter?

Haseloff: Es gibt ja zu Recht den Spruch, man ist hinterher immer schlauer, aber wenn eine Entscheidung ansteht, hat man nach bestem Wissen und Gewissen zu entscheiden, und darum bemühe ich mich immer.

Wenn Sie Ihre Fehler nicht verraten wollen: Was haben Sie denn mittlerweile aussortiert, was ist nicht mehr so wichtig?

Haseloff: Alles, was ich mir zum Beispiel mal vorgenommen hatte an Reisen, ist nicht mehr zu machen. Auch nicht bei optimaler Zeitgestaltung. Ich habe als Kind von Jules Verne „Die Kinder des Kapitän Grant“ gelesen und wollte seitdem immer nach Neuseeland. Dahin zu fliegen und es richtig zu erleben, dafür braucht man vier bis acht Wochen. Solange ich das noch körperlich kann, habe ich aber nicht soviel Zeit. Und ich werde viele hunderte Bücher in meinem privaten Bestand ungelesen zurück lassen. Die haben sich angesammelt. Ich sortiere jetzt dauernd um, und gucke, was ich noch unbedingt lesen will.

Nicht wie Prinzessin Di vor dem Taj Mahal, aber auch romantisch: Reiner Haseloff vor der Linde, wo er Ehefrau Gabriele einst die Liebe schwor.
Nicht wie Prinzessin Di vor dem Taj Mahal, aber auch romantisch: Reiner Haseloff vor der Linde, wo er Ehefrau Gabriele einst die Liebe schwor.
Andreas Stedtler Lizenz