1. MZ.de
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Politik
  6. >
  7. Schwimmbadverbot in Bornheim: Schwimmbadverbot in Bornheim: Nach den Silvesterangriffen herrscht allgemeine Verunsicherung

Schwimmbadverbot in Bornheim Schwimmbadverbot in Bornheim: Nach den Silvesterangriffen herrscht allgemeine Verunsicherung

Von Peter Berger 15.01.2016, 18:17

Köln - Die Ausschreitungen der Silvesternacht von Köln, die massenhaften sexuellen Belästigungen und Übergriffe auf wehrlose Frauen, verunsichern Politiker, Gemeindeverwaltungen und Verbände in ganz NRW. „Nach Köln ist nichts, wie es vorher war“, hatte Bornheims grüner Sozialdezernent Markus Schnapka noch am Donnerstag gesagt und damit eine Entscheidung begründet, die bundesweit für Aufsehen gesorgt hat.

Die Stadt zwischen Köln und Bonn mit ihren rund 48?500 Einwohnern, die derzeit rund 800 Asylbewerber beherbergt, verfügte die Sperrung des Hallenbads für männliche Flüchtlinge, die älter sind als 18 Jahre. Immer mehr Besucherinnen und Angestellte hätten sich über sexuelle Belästigungen durch Männer aus dem nahe gelegenen Flüchtlingsheim beschwert, so der Sozialdezernent. Sie hätten sich in „chauvinistischer Weise“ gezeigt. Dabei habe es sich nicht um Straftaten gehandelt. Ein Verbot, das nicht lange Bestand haben wird. Schon am Freitag machte Bornheims Bürgermeister Wolfgang Henseler (SPD) einen Rückzieher, in der kommenden Woche soll es wieder aufgehoben werden. Über den genauen Termin werde der Verwaltungsvorstand am Montag entscheiden.

Das Schwimmbad-Verbot war der Stadt nicht leicht gefallen. Bevor es ausgesprochen wurde, hatte Schnapka die Flüchtlinge bei einer Veranstaltung darüber informiert und bedauert, dass für das Fehlverhalten Einzelner alle bestraft würden. Man sei mit der Entscheidung auf Verständnis gestoßen. „Sobald wir von den Sozialdiensten die Mitteilung bekommen, dass die Botschaft angekommen ist, beenden wir diese Maßnahme wieder.“

Das legt die Vermutung nahe, dass die Stadt mit ihrer Entscheidung überzogen hat. Alle Flüchtlinge unter einen Generalverdacht zu stellen, gehe deutlich zu weit, kritisierte der grüne Landesvorsitzende Sven Lehmann die Bornheimer Entscheidung. Der Sozialdezernent schlage „den richtigen Weg ein, wenn er jetzt den direkten Dialog mit Flüchtlingen sucht, um ein Bewusstsein für sexualisierte Übergriffe und Regeln in öffentlichen Schwimmbädern zu schärfen“. Zweifel sind durchaus angebracht, wie ihm das binnen weniger Tage gelingen soll. Aber darum geht es wohl gar nicht. Vielmehr scheinen die Vorfälle so gravierend nicht gewesen sein, denn in keinem einzigen Fall wurde Strafanzeige erstattet, so eine Sprecherin der Polizei. Es habe sich um „verbale Attacken“ gehandelt.

In Bornheim, wo sich 500 ehrenamtliche Helfer um die Zuwanderer kümmern, hatte es bisher so gut wie keine Probleme mit Asylbewerbern gegeben. Lediglich ein Vorfall hatte bisher eine Strafanzeige zur Folge. Ein 18-jähriger Flüchtling aus Syrien belästigte eine Spaziergängerin (54) und berührte sie unsittlich. Immerhin: In Bornheim redet man Klartext. Das sieht in Rheinberg im Kreis Wesel schon anders aus.

Silvester-Übergriffe nur ein Aspekt

Der Umzug, den der Karnevalsverein im Stadtteil Orsoy wegen seines 33-jährigen Bestehens statt am Tulpensonntag erstmals für Rosenmontag geplant hatte, fällt aus. Der Verein habe es nicht geschafft, das von der Stadt erstmals geforderte Sicherheitskonzept vorzulegen. „Eine Absage des Rosenmontagszugs durch die Stadt Rheinberg hat es nicht gegeben.“ Das Orsoyer Karnevals-Komitee habe den Antrag auf Genehmigung zurückgezogen. „Binnen drei Wochen können wir das nicht schaffen. Dazu brauchen wir ein halbes Jahr“, sagt dessen Präsident Paul van Holt. Die Silvester-Übergriffe von Köln seien nur ein Aspekt gewesen, beschwichtigt ein Stadtsprecher. Weil es in Orsoy mit seinen 3000 Einwohnern in einem ehemaligen Krankenhaus eine Flüchtlingseinrichtung des Landes NRW gibt, in der zur Zeit 200 Menschen leben und Anfang Februar weitere 300 hinzukommen, könne man nicht ausschließen, dass es zu Szenen wie in Köln komme. Den Flüchtlingen sei der Karneval unbekannt. „Letztlich ist die Verlegung der Zugs auf den Rosenmontag das eigentliche Problem. Wir müssen damit rechnen, dass von den traditionellen Rosenmontagszügen aus Kamp-Lintfort und Veen vor allem das sehr problematische Publikum sich den Orsoyer Zug aussucht, weil der vermeintlich nicht so ganz stark kontrolliert wird.“ Zudem lebten viele Nordafrikaner in Orsoy. Problemgruppen könnten auf Flüchtlinge treffen? Muss man deshalb den Karneval absagen? Das alles also hätte ein kleiner Karnevalsverein berücksichtigen müssen? „Für uns ist die Absage ein Schock“, sagt der Präsident. „Das Wurfmaterial ist bestellt. Es kommen hohe Kosten auf uns zu.“

Durch die Flüchtlingssituation in NRW sind auch die ersten Sportvereine in ihrer Existenz gefährdet. So sehen das zumindest die Vertreter der Sportverbände im Rhein-Kreis Neuss, die 100 000 Menschen in 350 Vereinen vertreten. Derzeit seien 27 Sporthallen mit Asylsuchenden belegt. „Das nimmt vereinsschädigende Konturen an“, schreibt Thomas Lang in einem offenen Brief. Besonders bedauerlich, so der Kreissportbund-Chef, sei dies vor dem Hintergrund, „dass es unter uns Sportlern eine große Solidarität mit den Menschen gibt, die zu uns gekommen sind. Wir Sportvereine leisten einen entscheidenden Beitrag für gelungene Integration.“ Die Kommunen seien „Opfer einer verfehlten Politik auf Bundes- und Landesebene.“ Es sei keine Frage, dass den Flüchtlingen geholfen werden müsse, aber „wir fordern, dass die Kommunen keine weiteren Sporthallen in Anspruch nehmen müssen“. Das führe zum „Zusammenbruch der sportlichen Infrastruktur“. In Köln sind derzeit 17 von 270 Hallen belegt. Vier weitere werden vorbereitet. Mit dem Bau von Leichtbauhallen zur Unterbringung der Flüchtlinge will die Stadt Abhilfe schaffen.

In NRW stehen nach Angaben des Landessportbunds derzeit 400 der 7000 Sporthallen nicht zur Verfügung. „Vereinzelt kann es schon sein, dass Vereinen die Mitglieder davonlaufen. Aber das ist die große Ausnahme und betrifft vor allem Fälle, in denen sie keine Ausweichmöglichkeiten mehr haben“, sagt ein Sprecher. Rund 1000 Vereine hätten sich im vergangenen Jahr in der Flüchtlingsarbeit engagiert, das Programm „Sport für Flüchtlinge“ werde auch 2016 mit der Fördersumme von einer Million Euro fortgesetzt.

Die angespannte Sicherheitslage hat auch in Köln weitere Folgen. Die Geschäftsleute im Hauptbahnhof klagen über Besucher- und Umsatzverluste am Abend und die Veranstalter des Kölsch-Festes am Südstadion kapitulieren vor Fußball-Hooligans. Auf dringendes Anraten der Polizei haben sie die Jugendparty „Jung und jeck“ am 22. Januar abgesagt, weil am gleichen Tag das Drittliga-Spiel von Fortuna Köln gegen Hansa Rostock stattfindet. Die Polizei hat Erkenntnisse, dass eine große Anzahl von Hooligans von Rostock nach Köln reisen wird.

Was das für Folgen haben könnte, hat der Pegida-Aufmarsch am vergangenen Samstag am Kölner Hauptbahnhof gezeigt. Ein ähnliches Szenario am Südstadion? Das sei zu riskant, sagt der Veranstalter. Die Sicherheit der Besucher habe Vorrang. Man müsse verhindern, dass jugendliche Besucher auf gewaltbereite Fußballfans treffen. Vermutlich hat Bornheims Sozialdezernent doch recht. Nach der Silvesternacht von Köln ist nichts mehr so, wie es vorher war.