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Prozess um Schlägerei in Potsdam Prozess um Schlägerei in Potsdam: Freispruch für beide Angeklagte

15.06.2007, 08:58
Thomas M. (r.) geht am Freitag in Potsdam im Landgericht nach dem Freispruch an Björn L. vorbei zum Ausgang. (Foto: dpa)
Thomas M. (r.) geht am Freitag in Potsdam im Landgericht nach dem Freispruch an Björn L. vorbei zum Ausgang. (Foto: dpa) dpa-Zentralbild

Potsdam/dpa. - Trotz Restzweifeln sprach das Potsdamer Landgericht amFreitag die beiden Angeklagten Björn L. und Thomas M. vom Vorwurf dergefährlichen Körperverletzung beziehungsweise der unterlassenenHilfeleistung frei. Die Indizien für eine Täterschaft von Björn L.seien nicht verschwunden, für eine Verurteilung jedoch nichttragfähig, sagte der Vorsitzende Richter, Michael Thies. «Dasist der klassische Fall der Anwendung des Grundsatzes: Im Zweifel fürden Angeklagten.» Das Urteil ist rechtskräftig.

Die 4. Große Strafkammer folgte am 20. Verhandlungstag nach über80 Zeugen und 8 Sachverständigen den Anträgen von Staatsanwaltschaft,Nebenklage und Verteidigung. Ermyas M. war am 16. April 2006 durcheinen gezielten Faustschlag niedergestreckt worden, er lag zweiWochen lang im künstlichen Koma. Der Fall hatte kurz vor der Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland für Schlagzeilen gesorgt. DieBundesanwaltschaft war zunächst von einem rassistisch motiviertenMordversuch ausgegangen. Doch die Vorwürfe ließen sich nicht halten.

Nach Überzeugung des Landgerichts ist es bis heute nicht sicher,dass es ein fremdenfeindlicher Übergriff war. Es sei «nichtverantwortungsvoll gewesen», damals gleich von einem rassistischenÜberfall zu sprechen, kritisierte Thies. Ermyas M., der alsNebenkläger jeden Prozesstag im Saal verfolgte, war offenbar aufeinen Freispruch der 30 und 32 Jahre alten Beschuldigten vorbereitet.«Wenn nicht ausreichend Beweise da sind, müssen sie frei gesprochenwerden», sagte er äußerlich gelassen nach dem Urteil.

Zur Aufklärung der Tat an einer Haltestelle in der Potsdamer Citykonnte der aus Äthiopien stammende Deutsche nicht beitragen. Bisheute erinnert er sich «im Großen und Ganzen an gar nichts». Wie ausdem Urteil hervorgeht, soll er den Schläger provoziert haben. Wiedie Staatsanwaltschaft ist auch Nebenklage-Anwalt Thomas Zippel nachwie vor überzeugt, dass Björn L. etwas mit der Tat zu tun hat.Dagegen betonte Thies: «Äußerungen wie "Ich habe das Gefühl, diewaren es", sind unangebracht.»

Zudem kritisierte er die Verteidiger, die «eindimensionaleErmittlungen mit Scheuklappen» angeprangert hatten. Auch die Kammerhabe damals einen hinreichenden Tatverdacht gesehen, schließlich habees Indizien gegeben. Insbesondere meinte Thies die Aufzeichnung aufder Handy-Mailbox der Ehefrau des Opfers. Hier war zufällig einWortgefecht zwischen Ermyas M. und den Tätern aufgenommen worden. Inder Anklage hieß es, dass darauf die markant hohe Stimme von Björn L.(Spitzname «Pieps») zu hören sei. Dieser habe Ermyas M. unter anderemals «Scheißnigger» beleidigt. Der Deutsch-Äthiopier, der 1,66Promille Alkohol im Blut hatte, rief «Schweinesau».

Doch auch zwei Stimmgutachten konnten Björn L. nicht klar auf demMitschnitt identifizieren. Zudem litt der 30-Jährige nachZeugenaussagen an einer Halsentzündung und sprach kratzig und tief.Auch eine am Tatort gefundene DNA-Spur, die zunächst Thomas M.zugeordnet worden war, erwies sich im Verfahren als unbrauchbar, wieThies weiter ausführte. Nach dem Urteil zeigten sich beideAngeklagten erleichtert, Björn L. sprach aber von «bleibendenseelischen Narben».

Brandenburgs CDU-Vize Sven Petke rechnete rückblickend mit der«teilweise überzogenen und falschen Reaktion von Medien und Politik»in den Wochen nach der Tat ab. Oberstaatsanwalt Rüdiger Falchbetonte, es sei kein politischer Prozess gewesen. Die Freisprüchewertete er nicht als Niederlage, schließlich sei ein Indizienprozessimmer riskant. Die Suche nach den Tätern wird jedenfalls vorerstnicht wieder aufgenommen - «dafür haben wir derzeit keine schlüssigenAnsätze».

Ermyas M. (l.) unterhält sich in Potsdam im Landgericht mit seinem Anwalt Thomas Zippel. (Foto: dpa)
Ermyas M. (l.) unterhält sich in Potsdam im Landgericht mit seinem Anwalt Thomas Zippel. (Foto: dpa)
dpa pool