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Porträt Porträt: Heiko Maas ist das Feindbild von Pegida und AfD

Von Karl Doemens 22.07.2016, 11:04
Justizminister Heiko Maas.
Justizminister Heiko Maas. dpa

Saarbrücken - Vom Sexualstrafrecht bis zum Kampf gegen Hasskriminalität: Justizminister Maas produziert Gesetze am Fließband. Für die AfD ist er der Inbegriff des verhassten Links-Politikers, für die SPD ein Hoffnungsträger – und jetzt stellen ihm auch noch die Paparazzi nach. Unterwegs mit einem Überzeugungstäter.

Heiko Maas hat mal wieder viel vor an diesem Tag. Erst in Berlin die Sitzung des Kabinetts und eine Pressekonferenz zum besseren Schutz vor Stalking. Am Nachmittag will er dann in Saarbrücken mit jungen Polizisten diskutieren, die saarländische Ministerpräsidentin treffen und schließlich bei der Verleihung einer Ehrenbürgerschaft reden. Doch erstmal geht gar nichts.

Maas im Dauerstress

Eine Unwetterfront verzögert den Abflug der Linienmaschine von Berlin-Tegel um zwei Stunden. Der Justizminister tippt eine Nachricht in sein Smartphone. Dann setzt er sich mit einer Flasche Wasser und einer Laugenbrezel an einen Tisch im Wartebereich. Nur verstohlen werfen die anderen Passagiere dem Mann im modisch schlank geschnittenen Sommeranzug ein paar Blicke zu. Zeit für eine seltene Verschnaufpause.

Der 49-Jährige hat in den vergangenen Monaten ein atemberaubendes Tempo vorgelegt. Kaum ein Tag vergeht ohne Interview oder Pressemitteilung. Es fällt schwer, den Überblick über die geplanten Gesetzesinitiativen von der Reform des Mordparagrafen bis zum strikteren Verbot der Polygamie  zu behalten.

Bei Twitter und Facebook ist der drahtige Politiker mit der großen Brille omnipräsent: Mal mahnt er den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, nach dem gescheiterten Putsch die Prinzipien des Rechtsstaats zu achten, mal kommentiert er ein Fußballspiel, mal hisst er zum Christopher Street Day die Regenbogenfahne auf dem Dach seines Ministeriums.

Er wird zum Pegida-Feindbild

„Wir begreifen Rechtspolitik auch als Gesellschaftspolitik“, sagt Maas: „Ich bin nicht der Justiziar der Bundesregierung.“ Ganz bewusst reizt der Sozialdemokrat die Zuständigkeiten seines Amtes bis an die Grenzen aus. Das provoziert Widerstand.

Seit er vor anderthalb Jahren die Pegida-Demonstrationen als „Schande für Deutschland“ bezeichnet hat, ist Maas der Lieblingsfeind der Rechten. Seine Facebook-Seite wird regelmäßig überschwemmt von Pöbeleien und Beschimpfungen. Das Magazin „Compact“, die Hauspostille der rechten Querfront-Bewegung, montiert den Minister in seiner Juli-Ausgabe auf dem Titel in eine SS-Uniform. Daneben steht ernsthaft die Schlagzeile: „Wollt Ihr den totalen Maas?“

Eine neue Frau an seiner Seite

Gesetzgeberischer Impulsgeber, häufiger Talkshow-Gast, unerbittlicher Kämpfer gegen Rechts und seit Bekanntwerden seiner Beziehung mit der Schauspielerin Natalia Wörner auch noch Lieblingsobjekt der Paparazzi – das ist ganz schön viel selbst für einen Hobby-Triathleten wie Maas. Längst vorbei sind die Zeiten, als der Politiker in Berlin vor allem mit seiner schicken Garderobe für Aufmerksamkeit sorgte. „Es ist kein Naturgesetz, dass der Justizminister das unbekannteste Kabinettsmitglied sein muss“, sagt er heute. Maas  polarisiert wie kaum ein zweites Kabinettsmitglied. Beim Beliebtheitsranking des Magazins Spiegel hat er gerade Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) überholt.

Der Flug AB6484 ist nun zum Einsteigen bereit. Der Politiker versenkt sich in der zwölften Reihe der Touristen-Klasse sofort in seine Papiere. Als die Propellermaschine nach einer guten Stunde zum Landeanflug ansetzt und die Wolkendecke durchbricht, schaut er einmal kurz aus dem Fenster. Unter ihm liegt, leicht geschwungen, ein grün-gelber Flickenteppich aus Feldern, Wiesen und Wäldern – das Saarland.

Hier hat der Sohn eines Berufssoldaten und einer Schneiderin die erste Hälfte seines politischen Lebens verbracht. Von 1994, kurz nach seinem Ersten Staatsexamen, bis 2013 saß er im Landesparlament. Er galt als Nachwuchshoffnung seiner Partei. Dreimal trat er als Spitzenkandidat der Saar-SPD an. Dreimal verfehlte er das Wahlziel.

Eine zweite Karriere

Das lag vor allem an Ex-Ministerpräsident Oskar Lafontaine, der ihn einst gefördert hatte, nach seinem Parteiaustritt dann aber die SPD mit allen Mitteln bekämpfte. Heute reagiert Maas ausgesprochen schmallippig, wenn die Rede auf seinen früheren Ziehvater kommt: „Wahrscheinlich hat Sigmar Gabriel ihn in letzter Zeit häufiger getroffen als ich.“

Nach der Landtagswahl 2012 wurde Maas zwar von CDU-Regierungschefin Annegret Kramp-Karrenbauer als Wirtschaftsminister in ihr schwarz-rotes Kabinett berufen. Aber im Grunde näherte sich seine politische Laufbahn daheim im äußersten Westen der Republik ihrem Ende. Bis Sigmar Gabriel auf den Plan trat. Der SPD-Chef holte den Parteifreund nach der Bundestagswahl überraschend nach Berlin.

Die zweite Karriere des Heiko Maas begann. Maas und Gabriel, so formuliert es ein Wegbegleiter, würden am anderen jeweils das schätzen, was ihnen selbst fehlt: das Rampensau-Gen dem einen, die unprätentiöse, ruhige Gelassenheit dem anderen. Dass der Parteichef den Justizminister später dann mit seiner Kehrtwende bei der Vorratsdatenspeicherung offen düpierte, hat Maas nicht vergessen. Doch auch heute noch gilt er als loyaler Unterstützer Gabriels.

Maas hat einen anderen Stil

Die neue Wirkungsstätte: das Berliner Justizministerium in Berlin-Mitte. Ein großes, lichtes Büro mit schrägem Blick über die Dächer des Gendarmenmarkts. Ein Balkon für ungezwungenere Besprechungen daneben. Der Kontrast zur kleinen, beengten Heimat ist augenfällig. Das Saarland, sagt Maas, sei in seiner Geschichte immer hin- und hergerissen worden zwischen Deutschland und Frankreich. Das habe ein besonderes Zusammengehörigkeitsgefühl gefördert, „auf der anderen Seite aber auch eine gewisse Selbstbezogenheit“.

Die Amtsführung von Maas unterscheidet sich auffällig von der seiner Vorgängerin. Als Sabine Leutheusser-Schnarrenberger wenige Tage vor Weihnachten 2013 ihr Büro übergab, berichtete sie Maas stolz, dass sie vieles, was sie für falsch hielt, in der schwarz-gelben Koalition habe verhindern können.

Die FDP-Frau und ihr Kabinettskollege, CSU-Innenminister Hans-Peter Friedrich, befanden sich im Dauerclinch: Hier die Trutzburg  der liberalen Bürgerrechte – dort der Vorkämpfer der inneren Sicherheit. Aber Maas möchte nicht verhindern, er will gestalten: „Wenn ich meine Themen umsetzen will, geht das nicht mit kompletter Blockadehaltung.“ Rasch setzte er sich mit CDU-Innenminister Thomas de Maizière zusammen. Das Verhältnis der beiden gilt als vertrauensvoll. „Ich schätze an ihm, dass er keine Sheriff-Mentalität an den Tag legt“, lobt Maas.

Immer im Kampf gegen Rechts

Tatsächlich konnte der Justizminister so zahlreiche Projekte auf den Weg bringen. Doch nicht immer geht alles glatt: Seine Mietpreisbremse läuft nach Einschätzung von Experten öfter ins Leere. Eine Verschärfung scheitert an der Union. Der Versuch, Facebook zu einem entschlosseneren Kampf gegen Hasskommentare zu bewegen, bringt bislang kaum Erfolg. Auch konnte Maas seinen Entwurf zur Verschärfung des Sexualstrafrechts zunächst im Kanzleramt nicht durchbringen. Nach den Übergriffen in der Silvesternacht nahmen die Koalitions-Frauen die Sache in die Hand und er wurde sogar zugespitzt. „Das Ziel war immer das Gleiche. Insofern ist das ein großer Erfolg“, sagt der Minister heute.

Zur Reizfigur in der Öffentlichkeit aber ist Maas vor allem durch seine  Auseinandersetzung mit dem Rechtspopulismus geworden. Als Parteichef Gabriel noch um die Pegida-Anhänger werben will, grenzt er sich entschieden ab. „Wir dürfen uns keinem Dialog verweigern. Aber bei Gewalt hört die Toleranz auf“, sagt er heute. Im vorigen Oktober sitzt der SPD-Politiker in der Talkshow von Günther Jauch neben dem Thüringer AfD-Chef Björn Höcke.

Zu Pegida gesellt sich die AfD

Am Tag zuvor hat ein ausländerfeindlich motivierter Täter die Kölner Oberbürgermeisterkandidatin Henriette Reker niedergestochen. Maas stellt einen Zusammenhang zwischen den „rhetorischen Brandstiftern“ der AfD und der Gewalttat her: „Es beginnt mit Worten. Erst fällt die Hemmschwelle bei Worten, dann bei Taten.“ Seither ist Maas auch der Lieblingsfeind der AfD.

Von der Strategie, möglichen Fernsehdiskussionen mit den Rechtspopulisten aus dem Weg zu gehen, hat Maas nie etwas gehalten. „Wir müssen die Auseinandersetzung offensiv führen“, ist er überzeugt. Doch er will sich nicht provozieren lassen. Als Höcke bei Günther Jauch eine Deutschland-Fahne aus dem Jackett zieht und sie theatralisch über die Stuhllehne legt, antwortet Mas kühl: „Das spricht für sich.“ Am Ende der Sendung verwickelt der AfD-Mann den Moderator in ein verbales Scharmützel. „Ist egal, lassen Sie ihn!“, empfiehlt Maas mit einer wegwerfenden Handbewegung.

Demonstrative Gelassenheit, eine scharfe Grenzziehung, dazu gelegentlich ein leises spöttisches Lächeln auf den Lippen – auch in der Auseinandersetzung mit AfD-Vize Alexander Gauland in der Talkshow bei Anne Will bewahrt Maas diesen Gestus. Im sozialdemokratischen Milieu kommt das gut an. Der Kampf gegen Ausländerfeindlichkeit und Rassismus gehört zur DNA der Partei. Viele Rechte aber fühlen sich erst recht provoziert.

Der Justizminister wird bedroht

Nach den Talkshows wird die Facebook-Seite des Ministers nicht nur mit Kommentaren wie „Herr Maas, Sie sind an Arroganz nicht zu überbieten“ oder „Früher gab es Mielke, heute gibt es Maas“ geflutet. Maas hat eine vierstellige Zahl von Drohungen und beleidigenden Beschimpfungen erhalten. Auch Morddrohungen sind darunter. Im Briefkasten seiner Privatwohnung fand er eine Neun-Millimeter-Patrone. Das Bundeskriminalamt hat den Personenschutz verstärkt. Der Saarländer will sich davon nicht beeindrucken lassen. Aber er registriert, wenn sich ihm jemand mit einer Hand in der Manteltasche nähert, auch wenn der am Ende nur sein Mobiltelefon herauszieht.

Eine Kundgebung am 1. Mai im sächsischen Zwickau ist für Maas zu einem Schlüsselerlebnis geworden. Der Minister sollte dort auf Einladung des DGB vor 300 Zuhörern sprechen. Doch eine ähnlich große Zahl von rechten Störern tauchte den Marktplatz mit Pfiffen und Sprechchören in einen ohrenbetäubenden Lärm. Die Situation war angespannt. Die Polizei riet Maas, auf seine Rede zu verzichten. „Das war keine Option für mich“, sagt er. Also redete er gegen die Störer an. Auf einem Video, das Unbekannte ins Netz gestellt haben, kann man nur die skandierten Parolen „Volksverräter“ und „Hau ab!“ verstehen. Und man sieht, wie Maas nach der Rede von der Bühne mit festem Schritt auf sein Auto zusteuert und wegfährt, während der Mob weiter pöbelt. „Das war der pure Hass“, erinnert er sich.

Auch an diesem Tag in Saarbrücken holt ihn das Thema ein. Dem ehemaligen Stadtverordneten und Widerstandskämpfer Max Braun, der 1935 vor den Nazis fliehen musste,  soll die Ehrenbürgerschaft der Stadt verliehen werden. Der Mann hatte als Chefredakteur einer sozialdemokratischen Zeitung aus seiner Verachtung für die Nazis keinen Hehl gemacht. Erst brannten Strohpuppen mit seinem Namen. Dann musste er 1935 nach Frankreich ins Exil gehen. Eine ernste Mahnung für die Heutigen: „Bei der Ehrung geht es um viel mehr als um Geschichte“, sagt Maas: „Wir dürfen nicht wegschauen, wenn Hass und Gewalt in die Politik drängen. Wir dürfen unsere Demokratie nicht den Schreihälsen überlassen!

Maas handelt aus Überzeugung. Doch seine Entschlossenheit verschafft dem 49-Jährigen auch viel Respekt in der eigenen Partei. Nicht nur im Kampf gegen den Rassismus steht Haltung gerade hoch im Kurs bei den Genossen, deren Positionen auf anderen Politikfeldern zuletzt nicht immer ganz erkennbar waren. Bei den Wahlen zum Parteivorstand im vergangenen Dezember hat Maas das beste Ergebnis eingefahren. Mit seinen Stellungnahmen zum Brexit, zum Anschlag von Nizza oder zur Lage in der Türkei greift er längst weit über das Feld der Justizpolitik hinaus.  Doch noch fehlt ihm ein Sitz in der Fraktion als Machtbasis in Berlin. Bei den Bundestagswahlen im kommenden Jahr wird er sich erstmals für ein Mandat bewerben. Ein guter Listenplatz ist ihm genauso sicher wie öffentliche Aufmerksamkeit. Schließlich tritt Maas gegen einen ebenso prominenten wie populären Gegner an. Für die CDU kandidiert im Wahlkreis Saarlouis Peter Altmaier - der engste Vertraute der Kanzlerin.