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Zehn Jahre Chaos-Partei Piratenpartei feiert Jubiläum: Nach zehn Jahre Chaos-Partei saufen die Piraten ab

Von Tobias Peter 09.09.2016, 07:25
Der Bundesvorsitzende der Piratenpartei, Patrick Schiffer
Der Bundesvorsitzende der Piratenpartei, Patrick Schiffer dpa

Berlin - Ein Thema, über das in der Piratenpartei mehr als einmal diskutiert wurde, ist der Wunsch nach der Erforschung von Zeitreisen – auch wenn es nie zu einer erfolgreichen Umsetzung gekommen ist.

Die Piratenpartei Deutschland wird an diesem Samstag zehn Jahre alt. Es gibt wohl keinen zehnjährigen Menschen auf der Welt, der sagt: „Ach, wäre ich doch noch einmal jünger!“ Unter den Mitgliedern der Piraten dürften hingegen nicht wenige sein, die wünschten, ihre Partei könnte in die Vergangenheit reisen.

Piraten-Hype bringt die Partei in Landtage

Und zwar am liebsten um etwa fünf Jahre. Damals zogen die Piraten mit 8,9 Prozent ins Berliner Abgeordnetenhaus ein – mit Plakaten wie „Warum häng’ ich hier eigentlich, ihr geht ja eh nicht wählen“. Was folgte, war ein Hype mit zweistelligen bundesweiten Umfrageergebnissen – und der Einzug in die Landtage von Nordrhein-Westfalen, des Saarlands und Schleswig-Holsteins. Da pilgerten 2000 Mitglieder zum Parteitag. Und dort drängten sich die Piraten im Bällebad, das von der „AG Flausch“ auch für die Erwachsenen aufgestellt wurde.

Den Ansatz der Piraten fanden viele entzückend. Die selbsternannte Partei des Internet-Zeitalters wollte etwas von dem kreativen Chaos im Netz und der unmittelbaren Kommunikation dort in das Verhältnis von Politik und Bürgern tragen. Deshalb wurde im Internet gemeinsam an Anträgen gearbeitet. Und deshalb gab es nie Delegierte, sondern jedes Mitglied darf auf Parteitagen mitbestimmen. Falls irgendwann kein Raum mehr groß genug gewesen wäre, wollten die Piraten mehrere Versammlungsorte zusammenschalten. Die Massendemokratie sollte mit Hilfe von Kommunikationstechnologie ein bisschen sein wie zu Zeiten, als Entscheidungen gemeinsam auf dem Dorfplatz fielen.

Die Piraten scheitern

Das Projekt ist missglückt. Bei der Bundestagswahl 2013 waren die Piraten chancenlos – und das, obwohl der Partei mit dem Thema Datenschutz die Ausspäh-Affäre durch den US-Geheimdienst NSA in die Hände hätte spielen müssen. Aus den Landesparlamenten werden die Piraten nun nach und nach rausfliegen – angefangen mit der Wahl in Berlin am 18. September. Von fast 35000 Mitgliedern sind nicht mal 13000 geblieben. Von ihnen zahlt nur die Hälfte ihre Beiträge.

Woran ist die Partei gescheitert? Waren ihre Landtagsabgeordneten überfordert und haben sich ständig blamiert? Ein solches Urteil wäre falsch – auch wenn es peinliche Episoden gab. Etwa jene einer NRW-Parlamentarierin, die via Twitter die Öffentlichkeit an ihren Erfahrungen nach einem One-Night-Stand teilhaben ließ, inklusive des Hinweises auf ein geplatztes Kondom. Dafür hat sich Martin Delius in Berlin als Vorsitzender des Untersuchungsausschusses zum Debakel um den Flughafen BER Respekt erworben.

Ein wichtiger Faktor für den Absturz war der brachiale innerparteiliche Streit. Der ging so weit, dass ein Parteichef seinem von Sozialleistungen lebenden und für das bedingungslose Grundeinkommen kämpfenden Politischen Geschäftsführer öffentlich mitteilte, er solle mal arbeiten, „anstatt Modelle vorzustellen, die die Berufstätigkeit umgehen“.

Und was ist mit den Inhalten? An ihnen hat es entgegen anderslautenden Unterstellungen nie gefehlt – sondern vielmehr an einem klaren und erkennbaren Profil. Da streiten jene, die ihre Partei vor allem mit Netzthemen profilieren wollen, mit denen, die zu allem eine Meinung haben. Da sind Menschen, die sonst der Linkspartei anhängen würden, mit potenziellen FDP-Wählern in einer Partei. So werden Programme schnell zum beliebigen Sammelsurium.

Die AfD zeigt gerade, wie eine neue Kraft sich trotz heftiger innerer Kämpfe etablieren kann: indem sie in eine Lücke im Parteiensystem stößt. Die Piraten haben einen markenfähigen Namen, aber sie sind keine Marke.