Ost-CDU Ost-CDU: Tillich verlangt Bekenntnis zu Vergangenheit in der DDR
HALLE/MZ. - "Auch die ostdeutsche CDU hatnicht erst 1990 begonnen zu existieren", sagteTillich der MZ. "Zu dieser Verantwortung mussman sich bekennen. Das tun wir auch." LautTillich gibt es in der Partei Überlegungen,das aktuelle Strategiepapier der CDU zu Ostdeutschlandmit entsprechenden Passagen anzureichern.Ihr Fehlen hatte für heftige Kritik an demPapier gesorgt.
Tillich selbst war der ostdeutschen CDU 1987beigetreten. Nach eigenen Worten, um dem Werbender SED zu entkommen. Der CDU-Politikerist der erste Sachse imAmt des Ministerpräsidenten seit 1989. ÜberOst und West, die Stärke der Linken und dieFolgen für die CDU sprach mit ihm unser KorrespondentMarkus Decker.
Herr Tillich, 2009 werden wir bereits den20. Jahrestag des Mauerfalls feiern. Wo stehtOstdeutschland? Wie kommen Ost und West miteinanderaus?
Tillich: Die Ostdeutschen haben denVeränderungsprozess, der 1990 auch aus globalenGründen einsetzte, begonnen und bewältigt.Teilen Westdeutschlands steht dieser Prozessnoch bevor. Die Masse der Bevölkerung hatkein Problem mit Ost und West, sie denkennicht in diesen Schubladen. Es sind immernur wenige, die dieses Thema benutzen, vielleichtauch um davon abzulenken, Veränderungsprozessein Gang zu setzen.
Ausgerechnet die Linkspartei ist die stärkstePartei im Osten. Warum?
Tillich: Eine Antwort ist, dass denOstdeutschen seit 1990 sehr viel abverlangtworden ist. Der Veränderungsdruck hat fürviele eine Überanstrengung bedeutet. Allerdingshaben wir jetzt eine sehr niedrige Arbeitslosenquote,die niedrigste seit 1991. Und man kann nurhoffen, dass sich das auch im Wahlverhaltenwiderspiegelt.
Was kann die CDU tun, um die Linksparteiklein zu halten?
Tillich: Die CDU sollte noch deutlicherzeigen, dass sie sich um die Sorgen der Menschenkümmert. Die Schwerpunkte meiner Regierungserklärungwaren Arbeit, Bildung und Solidarität. ImUnterschied zu früher haben wir erstmals ganzzentral über Solidarität geredet. Das halteich für bedeutend. Zudem hat das Leben derOstdeutschen nicht 1990 begonnen. Sie habenvorher eine Lebensleistung erbracht, die sieanerkannt haben wollen.
Die CDU muss soziale Sicherheit mehr inden Mittelpunkt stellen?
Tillich: Die CDU braucht ein gerüttelt MaßMerz, und sie braucht ein gerüttelt Maß Rüttgers.
Friedrich Merz steht gedanklich schon miteinem Bein in der FDP.
Tillich: Solche Gegensätze machen eine Volksparteiaus. Das Leipziger Programm der CDU war reformfreudig,wettbewerbsorientiert, staatskritisch. Seitherist die Partei nach links gerückt.
Wohin sollte Sie den nächsten Schritt tun?
Tillich: Die Beschlüsse des Leipziger Parteitageswaren grundsätzlich richtig. Die CDU hat Vertrauenin den Markt und in die soziale Marktwirtschaft.Sie sagt: So wenig Staat wie möglich. Aberin der Krise muss der Staat eingreifen. Daswar bei uns während des Hochwassers so. Unddas ist jetzt in der Finanzkrise so.
Der Vorsitzende des CDU-Arbeitnehmerflügels,Karl-Josef Laumann, sagt, die CDU müssevom Geist von Leipzig Abschied nehmen.
Tillich: Ich sehe das anders. Der Geist vonLeipzig wollte nichts anderes, als die Potenzialezu nutzen, die in der deutschen Volkswirtschaft stecken, um Anreize zu wecken fürmehr Leistung und Wohlstand. Derjenige,der leistungsbereit ist, muss sich auch angesprochenfühlen. Wer sich nicht selber helfen kann,muss trotzdem am gesellschaftlichen Lebenteilhaben können. Klar ist aber auch, dassder, der etwas leisten kann, auch gefordertwird in seinem Engagement.
Bremst die Finanzkrise den Aufbau Ost aus?
Tillich: Momentan kann noch niemand eineschlüssige Antwort geben, wie tief sichdie Finanzmarktkrise in die Volkswirtschafteneingräbt. Gerade Sachsen und Thüringensind aber von der Absatzkrise der Automobilindustriebetroffen.
In der Endphase der Ära Milbradt hatte mandas Gefühl, der Sonderstatus Sachsens alsBester in Ostdeutschland habe etwas gelitten– nicht zuletzt wegen der Krise der SächsischenLandesbank.
Tillich: Ich glaube, dass wir im Wettbewerbder Ost-Länder immer noch super dastehen.Das wird uns ja auch von Experten bescheinigt– etwa bei der Bildung oder bei der wirtschaftlichen Entwicklung. Wir wollen gernNummer eins bleiben, wissen aber natürlich,dass sich Länder wie Mecklenburg-Vorpommernoder Sachsen-Anhalt hervorragend entwickeln.Wenn man sich aneinander misst, hilft dasallen. Sollten uns andere irgendwo überholen,freuen wir uns mit ihnen und fühlen uns vonNeuem angespornt.
Ich würde gern noch einmal auf das Thema Vergangenheitzurück kommen. Im aktuellen Ost-Papierder CDU ist viel von SED, PDS und Linksparteidie Rede. Die DDR-CDU wird gar nicht erwähnt.
Tillich: Es gibt Überlegungen, dasPapier entsprechend anzureichern. Das wirdauf dem CDU-Bundesparteitag sichtbar werden.Auch die ostdeutsche CDU hat nicht erst 1990begonnen zu existieren. Zu dieser Verantwortungmuss man sich bekennen. Das tun wir auch.
War die DDR-CDU Blockflöte oder Fluchtpunktfür Regimegegner?
Tillich: Beides. Einige konnten esnicht erwarten, die besten Staatsbürger zusein. Zugleich sind Leute in die CDU gegangen,weil sie mit der SED nicht einverstanden waren.Man würde diesen Menschen Unrecht tun, wennman sie mit einigen übereifrigen Spitzenfunktionärenin einen Topf werfen würde.
Sie sind 1987 in die DDR-CDU eingetreten.Warum?
Tillich: Ich wurde damals stark vonder SED umworben. Ich komme aus einem katholischenMilieu. Um Ruhe vor der SED zu haben bin ichdamals in die CDU eingetreten.
Als sich die sächsische CDU für Sie alsMinisterpräsidenten entschieden hat, spielteder Wunsch nach einem Ostdeutschen in diesemAmt eine entscheidende Rolle. Haben Westdeutschekeine Chance mehr?
Tillich: Im Osten Deutschlands machtsich einfach Normalität breit. Was in Bayernoder Schleswig-Holstein gilt, erleben wirjetzt auch in Ostdeutschland. Peter HarryCarstensen würde nie Ministerpräsident inBayern werden und Horst Seehofer nicht inSchleswig-Holstein. Dass mit mir nun ein Sachsein Sachsen regiert, ist doch naheliegend.An dem neuen Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern,dem gebürtigen Westfalen Erwin Sellering,sehen wir im Übrigen, dass es weiterhin nichtin erster Linie um die Herkunft geht, sondernum die Eignung für das Amt.
Wie reagieren die Sachsen auf Sie?
Tillich: Die Sachsen sind schon stolz, dassmerke ich. Wenn ich durchs Land fahre, klopfenmir die Leute auf die Schulter und sagen:Endlich einer von uns. Aber sie würden dasnicht tun, wenn sie es mir nicht auch fachlichzutrauen würden.
Herr Milbradt war als sehr bullig bekannt.Sind Sie weniger bullig?
Tillich: Mir fällt es leicht, mit Menschenins Gespräch zu kommen und auf Menschen zuzugehen.
Sind Sie ein harmoniebedürftiger Ostdeutscher?
Tillich: Alle Menschen, nicht nur die Ostdeutschen,wünschen sich Harmonie. Man sieht das ja anden Umfragen. Funktioniert die Koalition inBerlin, ist der Verdruss in der Bevölkerunggering. Streitet sie sich, sagen die Menschen:Die kriegen nichts auf die Reihe. Die Leutewollen einen klaren Kurs und keine Beschäftigungder Politik mit sich selbst.