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MZ-Serie «Ein Pflege-Fall» MZ-Serie «Ein Pflege-Fall»: «Wir machen alles was gut tut»

Von Bärbel Böttcher 15.12.2011, 18:19

Halle (Saale)/MZ.. - Anna Walther wirkt ruhig, mit sich im reinen. "Natürlich war es ein schwerer Schritt", erzählt die 71-Jährige, die seit einigen Monaten eines der acht Zimmer bewohnt. Sie ist sich bewusst, dass es die letzte Lebensstation ist, auf der sie angekommen ist. Aber das Hospiz sei genau der richtige Ort für sie. "Wenn keine Behandlung mehr hilft, dann ist es wichtig, dass man wenigstens schmerzfrei von dieser Welt gehen kann."

"Menschen, die zu uns kommen, haben eine lange Krankengeschichte hinter sich", sagt Schwester Claudia Maul. "Alles, was an moderner Medizin möglich sei, haben sie erprobt und lange gekämpft, um wieder gesund zu werden." Das sei Stress für die Betroffenen und deren Familien gewesen. Der sollte nun vorbei sein. Jetzt gehe es um die Linderung von Schmerzen. Die palliative Medizin stehe im Hospiz im Mittelpunkt, erläutert die Schwester.

Eine Oase nennt Claudia Maul das Haus. Einen Ort, wo die Menschen die Ruhe finden, wo sie Abschied nehmen können von Angehörigen und Freunden, denen hier Tag und Nacht die Türen offenstehen. Einen Ort, an dem sie auch ein Stück Autonomie zurückgewinnen. "Es geht nur noch nach dem Willen des Gastes. Das ist das oberste Gebot für uns", unterstreicht die Schwester. Es werde beispielsweise akzeptiert, wenn der Mensch nicht mehr essen wolle und auch künstliche Ernährung ablehne, wenn er bestimmte Medikamente nicht mehr einnehmen wolle.

Es werde versucht, ihm letzte Wünsche zu erfüllen. "Sei es nur, dass er noch einmal Schnee in seinen Händen spüren will. Wir machen alles, um das Leiden der Menschen zu lindern, alles was ihnen gut tut", sagt Claudia Maul. Das könne genauso ein entspannendes Bad wie eine Aromatherapie oder der Einsatz von Naturheilmitteln sein. "Wer es möchte darf hier auch seinen Wein trinken oder seine Zigarette rauchen."

13 Fachkräfte sind im Hospiz beschäftigt, die sich um die jeweils acht Gäste des Hauses kümmern. "Wir können uns damit ganz individuell auf jeden Menschen einstellen", sagt Ramona Kaiser, die stellvertretende Pflegedienstleiterin. Außerdem seien viele ehrenamtliche Mitarbeiter im Einsatz, die sich einfach mal ans Bett eines Schwerkranken setzten, seine Hand hielten oder mit ihm redeten.

Auch ein Seelsorger steht als Gesprächspartner zur Verfügung. Gerhard Packenius ist zwar Pfarrer. Er betreibe aber zu 90 Prozent weltliche Seelsorge, sagt er. Es gehe am Lebensende darum einzuordnen, was jemand erlebt hat, was er an Krisen und Lasten bewältigt hat. "Wichtig ist", so unterstreicht er, "der Rückblick auf das Leben muss wertschätzend sein."

Den Schwerpunkt seiner Arbeit sieht er aber gar nicht bei den Gästen des Hospizes. Die würden viele Fragen mit den Schwestern oder den ehrenamtlichen Mitarbeitern besprechen. "Wir haben hier für acht Betten 100 Seelsorger. Ich bin nur der einzige, der so genannt wird", sagt er. Seine Arbeit liege eher bei deren Angehörigen. "Jemand der stirbt, stirbt seinen Tod. Die Angehörigen müssen mit dem Tod leben." Das sei für sie ein schwerer Weg. Sie suchten in einer für sie chaotischen Zeit Orientierung. Es tauchten materielle und existenzielle Fragen auf. "Da ist es wichtig, dass sie jemanden haben, dem sie ihre Sorgen und Gefühle anvertrauen könnten, jemanden, dem sie ihre Fragen stellen könnten, "auch wenn ich sie nicht beantworten kann", sagt Gerhard Packenius. Dass das Abschiednehmen für die Angehörigen mitunter schwerer ist als für den Todkranken, bestätigt auch Anna Walther . "Es war viel Überzeugungsarbeit nötig, bis mein Mann und meine Kinder zugestimmt haben, dass ich ins Hospiz gehe", sagt sie. "Sie wollten nicht wahrhaben, dass es zu Ende geht. " Das Sterben werde aus dem Leben ausgeklammert.

Jeden Donnerstag gibt es im Hospiz eine Kaffeerunde, an der die Gäste, soweit sie es können, und auch Angehörige teilnehmen können. Diese Gespräche entlasten. Und dabei wird sogar gelacht.

Und die Mitarbeiter selbst? Wie halten sie die tägliche Konfrontation mit dem Sterben aus? "Wir müssen für eine gute Selbsthygiene sorgen, uns einen guten Ausgleich schaffen", sagt Ramona Kaiser. Auch der Austausch mit den Kollegen und regelmäßige Supervisionen, bei denen besprochen wird, was belastend ist, helfen. Und jeden Mittwoch gibt es im Hospiz ein Ritual, bei dem der Gestorbenen der Vorwoche gedacht wird. Auch dabei wird geredet.

"Sicher", sagt die Schwester, "es kullern auch mal ein paar Tränen. Aber ich kann nicht alles mit nach Hause nehmen." Gerhard Packenius drückt es ähnlich aus: "Es muss das richtige Verhältnis von Nähe und Distanz gefunden werden . Ich muss emphatisch sein, ohne jedes Schicksal zu meinem eigenen zu machen."

Der Aufenthalt im Hospiz, dessen Träger eine gemeinnützige GmbH ist, ist für den Gast kostenlos. 90 Prozent der Kosten von 217,06 Euro übernehmen Kranken- und Pflegekasse. Die verbleibenden zehn Prozent - 21,71 Euro - muss das Hospiz als Eigenleistung aufbringen. "Im Klartext heißt das, wir müssen jährlich 50 000 Euro an Spenden sammeln", sagt Kathrin Dietl, Geschäftsführerin des Hospizes. "Doch", so betont sie "ein Hospiz darf nicht vollfinanziert werden, um der Kommerzialisierung vorzubeugen."

Diesen Gedanken unterstreicht auch Gerhard Packenius. Er verweist auf seinen berühmten Vorgänger, den Pfarrer Heinrich Pera, der das Hospiz in Halle 1996 gegründet hat. Mit Pera habe die Hospizbewegung in ganz Deutschland eine Struktur bekommen. Und er habe in den Finanzverhandlungen mit den zuständigen Bundesministerien gegen den Willen der Sozialverbände durchgesetzt, dass es keine 100-prozentige Refinanzierung gibt. "Würde das geschehen", so Packenius "geht die Hospizidee verloren. Aus jedem dieser Häuser würde ein mehr oder weniger gutes Pflegeheim." Und die Spendenbereitschaft? "Sie ist da, wenn wir die richtigen Spendenideen entwickeln", sagt der Seelsorger.

Fünf stationäre Hospize gibt es in Sachsen-Anhalt. Gerhard Packenius findet, dass es ein paar Betten mehr geben könnte. Aber ansonsten sei das ausreichend. Er verweist, wie alle anderen Mitarbeiter des Hauses auch auf den ambulanten Hospizdienst, der weiter ausgebaut werden soll.

Anna Walther dagegen ist der Meinung: "Solche Häuser wie hier müsste es viel mehr geben." Sie hat hier ihren Frieden gefunden. Geholfen hat ihr dabei die Sicherheit, "mit allem was Körper und Seele brauchen, versorgt zu sein".

Schreiben Sie uns Ihre Geschichten. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht? Welche Probleme sind im Pflegefall aufgetreten?: Mitteldeutsche Zeitung, 06075 Halle, Stichwort Pflege oder per Mail an: [email protected]