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Kommentar zu Frauke Petry Kommentar zu Frauke Petry: Der Osten setzt den neuen Trend

Von Markus Decker 30.01.2016, 22:05

Berlin - Frauke Petry wurde am 1. Juni 1975 in Dresden geboren. Als die Mauer fiel, war sie 14 Jahre alt – und damit kein Kind mehr. Dass die clevere, aber nicht kluge 41-Jährige über ein Vierteljahrhundert nach dem Mauerfall sagt, man solle gegen Flüchtlinge notfalls auch Waffen einsetzen, provoziert Empörung, ja Wut – gerade unter Ostdeutschen. Und das vollkommen zu recht.

Dass Petry eine Ostdeutsche ist, facht diese Empörung nur noch an. Denn gerade die Ostdeutschen, sollte man meinen, könnten doch auf solche Ideen gar nicht mehr kommen. Sie haben schließlich selbst erlebt, wie es war, in einem Staat zu leben, aus dem man nicht fliehen konnte, ohne womöglich getötet zu werden. „Natürlich war der Schießbefehl gegen unsere eigenen Leute gerichtet“, sagt der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD). „Aber ihn gegen andere Leute zu richten, macht es doch nicht besser.“

Andererseits ist nicht zu übersehen, dass autoritäre Lösungen nicht zuletzt in Ostdeutschland wieder viele Anhänger finden – bis hinein ins Lager derer, die einst mutig gegen das SED-Regime aufstanden. Die Pegida-Bewegung mit ihrem Faible für den russischen Präsidenten Wladimir Putin hat in Dresden ihren Ursprung, sie genießt Sympathien bis hinein in frühere Dissidenten-Kreise. In Ostdeutschland finden die meisten, wenn auch beileibe nicht die einzigen Angriffe auf Flüchtlingsheime statt. Hier ist die AfD stärker und die Aggressivität größer.

Mehr als bloße Provokation

Die SPD etwa rechnet damit, dass sie bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt am 13. März unter Umständen hinter die so genannte Alternative für Deutschland zurück fallen könnte, deren Vorsitzende Petry ist. Während Sachsen-Anhalts CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff im Frühjahr vorigen Jahres auf die Chancen hinwies, die sich für die neuen Länder aus den zuwandernden Asylsuchenden ergeben könnten, ist davon heute keine Rede mehr, im Gegenteil. Wer eine Wahl gewinnen will, der lässt das besser. Und Haseloff will gewinnen.

Vielen im Osten sind es wie im Westen zu viele Flüchtlinge geworden. Das kann man verstehen. Doch anders als der Westen hat der Osten bis heute Probleme damit, überhaupt Vielfalt anzuerkennen. Das ist jetzt nicht anders als Anfang der 90er Jahre; und darin darf er sich bestärkt fühlen. Der Unterschied zu damals ist, dass die politische Kultur des Ostens die politische Kultur des Westens zu prägen beginnt.

Die ostdeutsch dominierte Petry-AfD kommt in der neuesten gesamtdeutschen Umfrage auf 12 Prozent. Ähnliches ist gesamteuropäisch zu beobachten. Es war kein Zufall, dass die CSU den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán im Herbst zu sich einlud.

Und es ist kein Zufall, dass sie die Fremdenfeindlichkeit der Regierenden in Bratislava und Warschau als Argument gegen die eigene Kanzlerin ins Feld führt. Nicht Jarosław Kaczyński spaltet demnach Europa, sondern Angela Merkel. Das Argument ist so perfide wie erfolgreich.

Dass Frauke Petry es im 26. Jahr der Wiedervereinigung wieder für akzeptabel hält, an der Grenze auf Menschen schießen zu lassen, einfach bloß, weil diese Menschen diese Grenze überschreiten wollen, ist leider mehr als eine bloße Provokation. Es sagt etwas aus über Deutschland, über die nicht aufgearbeitete DDR-Vergangenheit und nicht wirklich geführte Debatten zwischen Ost und West darüber, in welchem Land wir eigentlich leben wollen.

Es wäre zu hoffen, dass viele Ostdeutsche sich jetzt erschrecken über das, was die Ostdeutsche Frauke Petry von sich gab, und ihrem Erschrecken nicht zuletzt am 13. März Ausdruck verleihen. Zu erwarten ist es eher nicht.