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Kommentar Kommentar: Der Airbus-Absturz in Ägypten ist ein Alptraum für uns alle

Von Hans-Jürgen Deglow 09.11.2015, 10:13
Wrackteile am Absturzort.
Wrackteile am Absturzort. dpa Lizenz

Köln - Mehr als eine Woche ist seit dem Airbus-Absturz über dem Sinai vergangen. 224 Menschen, zumeist russische Urlauber, sind ums Leben gekommen. Doch die Ursache der Katastrophe steht bis heute nicht endgültig fest. Beziehungsweise, es gibt zwei Wahrheiten, wo es doch nur eine geben kann. Westliche Geheimdienste sind sich seit Tagen sicher, dass in dem Jet eine Bombe gezündet wurde. Russische und ägyptische Regierungsvertreter sind – zumindest in der offiziellen Lesart – weitaus zurückhaltender.

Zumutung für Fluggesellschaft und Flugzeugbauer

Ja, es ist richtig. Nach einer Flugzeugkatastrophe sollte man vorsichtig sein mit schnellen Mutmaßungen über die Gründe. Ägypter und Russen haben direkt nach dem Absturz einen Anschlag fast ausgeschlossen und einen technischen Defekt vermutet. Ohne aber überhaupt irgendetwas etwas zu wissen. Und zugleich haben sie den Westen davor gewarnt, vorschnelle Schlüsse zu ziehen.

Auch die Botschaft eine radikalislamistischer Terrorgruppe, die den Metrojet-Airbus zerstört haben will, wurde zunächst vom Tisch gewischt. Was nicht sein darf kann auch nicht sein, so die Maxime in Kairo und Moskau. Es durfte nur eine Wahrheit geben, und die lautete: es war kein Anschlag.

Dass Behörden und Regierungen tagelang nur technische Ursachen für den Absturz in den Vordergrund stellten, ist nicht nur eine Verhöhnung der Opfer, sondern auch eine Zumutung für Fluggesellschaft und Flugzeugbauer. Und für uns alle. Denn jeder Reisende will wissen, wie sicher Reisen ist. Und da macht es schon einen Unterschied, ob ein Flugzeug wegen Rissen im Rumpf auseinanderbricht, oder ob Anhänger des Islamischen Staates einen Sprengsatz deponiert haben.

Zu unsicher ist die Lage am Nil

Inzwischen spricht nun auch ein ägyptischer Ermittler „mit 90er prozentiger“ Sicherheit von einer Bombe an Bord. Man nähert sich der Wahrheit an. Keine Frage, Ägypten und Russland haben ein großes Interesse daran, ihre Sicht der Wahrheit in den Vordergrund zu rücken. Ägypten verlöre mit den russischen Touristen treue Kunden, anderswo hat das Land längst das Vertrauen der Urlauber verloren.

Zu unsicher ist die Lage am Nil, wo sich trotz oder gerade wegen al-Sisis Militärherrschaft eine starke radikalislamistische Terrorszene breit machen konnte. Ägypten sei stabil, die Sicherheitskräfte hätten die Extremisten unter Kontrolle, sagt die Regierung. Doch von Kontrolle und Stabilität ist Ägypten leider weit entfernt. Vor allem im Norden der Sinai-Halbinsel kommt es seit Monaten immer wieder zu Gewalt zwischen Sicherheitskräften und Extremisten.

Russlands Präsident Wladimir Putin steht am Zenit seiner Macht

Sollte eine IS-nahe Terrorgruppe tatsächlich aus Rache für Russlands Luftangriffe in Syrien den Airbus zum Absturz gebracht haben, würde der Terrorismus in Ägypten eine völlig neue Dimension erreichen. Die ägyptische Wirtschaft wäre an ihrer empfindlichsten Stelle getroffen. Auch deshalb scheuten sich Regierungsvertreter so lange, das Wort „Anschlag“ in den Mund zu nehmen. Andere Beweggründe hat Russlands Präsident Wladimir Putin. Er scheint auf dem Zenit seiner Macht zu stehen, da er nach dem Krim-Anschluss nun auch als internationaler Weltpolizist auftreten kann.

In den Augen vieler Russen, die von staatlichen Fernsehsendern mit Erfolgsmeldungen aus Syrien dauerbeschallt werden, ist das Eingreifen im Syrienkonflikt ein Beleg dafür, dass Putin den USA Paroli bieten kann. Wir sind wieder wer – das ist das Gefühl, das vorherrscht im russischen Reich. Kein Wunder, dass zahlreiche Urlauber, die nun aus Ägypten heimgeholt wurden, T-Shirts mit dem Konterfei Putins trugen. In diese „heile“ Welt passt ein Anschlag überhaupt nicht. Putin wird die Wahrheit wissen.