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Zum 70. Geburtstag Gregor Gysi - der Popstar der Politik wird 70

Von Holger Schmale 16.01.2018, 05:00
Der frühere PDS-Spitzenpolitiker Gregor Gysi 1998 mit Wahlplakten.
Der frühere PDS-Spitzenpolitiker Gregor Gysi 1998 mit Wahlplakten. dpa

Berlin - Vielleicht schickt ihm ja auch Angela Merkel einen Gruß zum 70. Geburtstag, wer weiß. Denn bei aller Unterschiedlichkeit und Distanz verbindet die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende doch einiges mit Gregor Gysi, dem langjährigen Partei- und Fraktionsvorsitzenden erst der PDS und dann der Linkspartei.

Schließlich sind sie die beiden einzigen in der DDR aufgewachsenen Spitzenpolitiker, die über all die Jahre seit der friedlichen Revolution 1989/1990 die Politik im vereinigten Deutschland bis heute entscheidend mit geprägt haben. Es gibt niemanden sonst mehr in der führenden politischen Klasse mit diesem ganz besonderen Erfahrungshintergrund.

Zur Ironie der Geschichte gehört freilich, dass Gysis Karriere in der Bundesrepublik darauf beruhte, dass er sich und die PDS zunächst zu lautstarken Anwälten der Ostdeutschen geprägt hat, während Merkel ihre Herkunft aus der DDR beim Aufstieg in der so westlich geprägten CDU am liebsten vergessen machen wollte.

Der Linken fehlt eine Persönlichkeit wie Gysi

Gysi hat sich vor zwei Jahren aus der ersten Reihe der Politik zurückgezogen, im Bundestag sitzt er nun sogar ganz demonstrativ in der letzten Reihe seiner Fraktion. Er liefert damit ein Beispiel eines würdigen Rückzuges aus Spitzenämtern, der nur wenigen Politikern gelingt. Dennoch gehört er weiter zu den prägenden Gesichtern der Linken, zu lange war er die entscheidende Identifikationsfigur, die der Partei in Krisenzeiten immer wieder zu Hilfe eilte und sie mit zum Teil eigenwilligen Methoden des persönlichen Drucks zusammengehalten hat.

Wie wichtig diese Rolle war, zeigen die gerade jetzt wieder in der Linkspartei deutlich werdenden Fliehkräfte, die von der Gruppierung um Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine  ausgehen. Eine letztlich doch von allen anerkannte, integrierende  Persönlichkeit wie Gysi fehlt der Partei jetzt.

Abseits aller tages- und parteipolitischen Differenzen kann man dem vor 70 Jahren geborenen Berliner heute zwei wesentliche Verdienste zuschreiben: Er hat mit anderen, vor allem mit seinem Freund und Weggefährten Lothar Bisky, jenen Bürgern aus der DDR, die nicht in Opposition zur SED standen, einen aufrechten Weg in die gemeinsame deutsche Zukunft gewiesen und sie überwiegend für die Demokratie gewonnen.

Gysis Verdienste für die deutsche Politik

Er war einer, der sich nicht den Mund verbieten ließ, den keine Minderwertigkeitsgefühle behinderten, der es intellektuell wie vom Auftreten leicht mit den vielen Selbstdarstellern der westdeutschen Politik und ihrer Arroganz aufnehmen konnte. Er wich vor den gegen ihn gerichteten Hasskampagnen der 90er Jahre nicht zurück und vermittelte so vielen DDR-Bürgern ein größeres Selbstwertgefühl, auch solchen, die mit der SED und der PDS politisch wenig im Sinn hatten.

Das zweite Verdienst ist, dass er Deutschland eine linke sozialdemokratische Partei erhalten hat, als die SPD sich um die Jahrtausendwende zu sehr dem neoliberalen Geist jener Jahre ergeben hat. Die politische Kultur der Bundesrepublik wäre eine andere (und gewiss keine bessere) gewesen, wenn Gysi und Oskar Lafontaine sich nicht zusammengetan und ostdeutsche und westdeutsche Linke in einer bis heute stabilen Partei zusammengeführt hätten. Es ist auch sehr fraglich, ob die PDS allein als ostdeutsche Regionalpartei hätte überleben können.

Heute genießt Gregor Gysi den Status eines politischen Popstars, der bis weit ins konservative Lager hinein respektiert und geschätzt wird. Er hat um diese Anerkennung geworben und gekämpft, ohne je seinen Standpunkt zu verraten. Vor einem Jahr hat er den Aachener Karnevalsorden „Wider den tierischen Ernst“ verliehen bekommen. Eine höhere Auszeichnung, so sieht er das selbst, kann das bundesdeutsche Bürgertum einem wie ihm kaum zukommen lassen.  (red)