Geschichte Geschichte: «Die Frau an seiner Seite»

Berlin/dpa. - Der Geburtstag wird diesmal im engsten Familien- und Freundeskreisbegangen. Rut Brandt hat sich nach dem Schicksalsschlag mit demVerlust ihres langjährigen Lebensgefährten wieder gefangen und lebtein aktives Leben, heißt es in der Seniorenresidenz.
1992 hatte die gebürtige Norwegerin ihre Erinnerungen an einbewegtes Leben vom Arbeiterkind zur First Lady niedergeschrieben(«Freundesland», Hoffmann und Campe). Ein Kritiker nannte sie eine«großherzige Biografin von Willy Brandt».
1920 im norwegischen Hamar geboren, agitierte sie mit 16 Jahrengegen die deutsche Besatzung und floh 1942 nach Schweden. Nach einerkurzen Ehe und dem frühen Tod ihres ersten Mannes lernte sie 1944 dendeutschen Exil-Journalisten Herbert Ernst Karl Frahm unter dem späterlegalisierten Decknamen Willy Brandt kennen. 1947 ging sie mit ihmzur norwegischen Militärmission nach Berlin.
Die private Bilanz ihres Lebens an der Seite des RegierendenBürgermeisters von Berlin sowie des Bundesaußenministers,Bundeskanzlers und SPD-Vorsitzenden trägt aber auch bittere Züge.Erschreckend deutlich wird in ihren Erinnerungen, wie wenig derEhemann Brandt seiner Frau und Mutter dreier Söhne (Peter, Lars undMatthias) von seinen Beweggründen und Sorgen erzählte - obwohl siedoch 33 Jahre einen gemeinsamen Weg gegangen waren.
Warum ist er in Warschau niedergekniet? Brandt zuckt mit denSchultern. Ist es wahr, dass die SPD beim - gescheiterten -Misstrauensvotum gegen ihn 1972 jemandem 50 000 Mark angeboten hat?«Woher soll ich das wissen?» Nicht anders bei der SpionageaffäreGuillaume, die 1974 Brandts Rücktritt auslöste und andere zumAusplaudern intimer Einzelheiten aus seinem privaten, angeblichaußerehelichen Leben veranlasste.
«Ich war gewöhnt, nichts zu hören und auch nichts zu erfahren,wenn ich fragte», notierte Rut Brandt sarkastisch. Ausgerechnet ihrjüngster, 1961 in Berlin geborener Sohn Matthias Brandt verkörperte2003 im zweiteiligen TV-Politdrama «Im Schatten der Macht» denKanzlerreferenten und DDR-Spion Günter Guillaume. Als Willy Brandt amMorgen des 6. Mai 1974 an das Ehebett trat und seiner Frau kurzangebunden sagte, er werde an diesem Tag zurücktreten, war die Fraunicht erstaunt und meinte nur: «Das finde ich richtig. Einer muss dieVerantwortung auf sich nehmen.» Aus seinem Verhalten schloss RutBrandt, dass ihr Mann eine andere Reaktion von ihr erwartet hatte.
Seit ihrer Scheidung 1980 habe ihr Mann kein Wort mehr mit ihrgewechselt, bekannte sie. 1983 heiratete Willy Brandt dieJournalistin und langjährige Assistentin Brigitte Seebacher. ZumStaatsbegräbnis für den Altbundeskanzler 1992 in Berlin war RutBrandt nicht mehr erwünscht.