Fall Matthias Domaschk Fall Matthias Domaschk: Tod in der Stasi-Zelle
Berlin - Renate Ellmenreich hat ihre Ruhe nicht gefunden, auch nach fast 34 Jahren nicht. Und ihre Tochter Julia, sagt die heute in Mainz lebende Pfarrerin, die habe „ein Menschenrecht“ darauf, zu erfahren, was an jenem 12. April 1981 mit ihrem Vater geschah.
Ministerpräsident hilft
Anfang des Jahres ging Renate Ellmenreich auf den neuen thüringischen Ministerpräsidenten zu. Bodo Ramelow (Linke) sagte, dass „schreiendes Unrecht“ geschehen sei und er sich in der Pflicht fühle, zur Aufklärung beizutragen. Er ließ in der Staatskanzlei eine Arbeitsgruppe einrichten, die sich des Falles annimmt. So kommt es, dass der Tod des in Stasi-Haft umgekommenen Dissidenten Matthias Domaschk wohl ein letztes Mal aufgerollt wird. Weggefährten bezweifeln aber, dass „endlich die ganze Wahrheit ans Licht kommt“, wie Ellmenreich hofft. Domaschk, am 12. Juni 1957 geboren, gehörte zur Jenaer Opposition, der auch der Schriftsteller Lutz Rathenow und der heutige Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, entstammten. Der langhaarige „Matz“ protestierte 1976 gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns und nahm Kontakt zur Bürgerrechtsbewegung „Charta 77“ in Prag auf. Das kostete ihn die Zulassung zum Abitur. Die Stasi heftete sich an Domaschks Fersen.
Am 10. April 1981 brach er mit seinem Jenaer Freund Peter Rösch zu einer Geburtstagsfeier nach Ost-Berlin auf. Da zeitgleich der X. Parteitag der SED stattfand, vermutete die Staatsmacht eine Störaktion, holte beide im brandenburgischen Jüterbog aus dem Zug und brachte sie ins Stasi-Gefängnis Gera. Zwei Tage später war Domaschk tot.
Die Staatssicherheit behauptete, er habe Selbstmord begangen. Als mögliches Motiv galt, dass der 23-Jährige in Haft eine Verpflichtungserklärung unterschrieben hatte. Ellmenreich und Rösch glauben nicht an einen Suizid. Dafür sei er viel zu lebenslustig gewesen. Jahn wiederum erinnert sich, zwei Jahre darauf in Haft selbst von Stasi-Leuten gewürgt worden zu sein, indes nicht in Tötungsabsicht, sondern um ihm einen Stalin-Hitler-Bart abzurasieren. Demnach könnte es sich auch um einen Unfall gehandelt haben.
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Der Vorfall ließ die Jenaer Bürgerrechtler noch entschiedener werden. Domaschks Partnerin, ihre gemeinsame Tochter Julia war damals vier Jahre alt, sagt: „Dieser Tod hat viele kritisch denkende Menschen in der DDR aufgeschreckt. Er war ein Impuls für das, was man heute Oppositionsbewegung nennt, nicht mehr zu akzeptieren, was dem Volk von der Partei zugemutet wurde.“ Nur, die Umstände sind bis heute nicht geklärt, weil einstige Stasi-Leute schweigen. Wohl wurde einer von ihnen im Jahr 2000 zu einer Geldstrafe verurteilt. Sogar nach DDR-Recht war die Verhaftung von Domaschk und Rösch rechtswidrig. Die Behauptung, wonach der junge Mann Selbstmord begangen habe, konnte jedoch nicht widerlegt werden. Das könnte sich nur ändern, wenn ein Beteiligter sein Schweigen bricht.
Nur Mord ist nicht verjährt
„Alle möglichen Delikte sind verjährt – außer Mord“, sagt Ellmenreich. „Wenn weiter geschwiegen wird, steht weiter der Verdacht auf Mord im Raum.“ Für ein neues Ermittlungsverfahren fehlen Anhaltspunkte. Deshalb die Arbeitsgruppe in der Staatskanzlei. Als Minimalziel gilt „ein Mehr an Überzeugungsgewissheit“. Staatssekretärin Babette Winter betont: „Ob wir durch neue Recherchen und Fragen den Fall klären können, ist offen.“ Renate Ellmenreich ist dennoch froh. „Wenn etwas rauskommt, werden Sie es hören. Wenn nichts rauskommt, werde ich das auch laut genug sagen.“
Über ihre Erinnerung an jene Tage, als Matthias Domaschk starb, hüllt sich die Hinterbliebene derweil in Schweigen. „Darüber möchte ich nicht sprechen“, sagt sie am Telefon. „Das tut zu weh.“ (red)