Extra Extra: Das Leben nach Saddam ist nicht einfacher geworden

Bagdad/dpa. - «Es gibt keinen Strom und keine Sicherheit, es fehlt an Benzin, ich habe seit Monaten kein Gehalt mehr bekommen», das sind die üblichen Klagen, die man in Bagdad in diesen Tagen hören kann. Vom Krieg, der vor einem Jahr begann und die drei Jahrzehnte währende brutale Unterdrückung durch die Clique um Saddam Hussein aus Tikrit beendete, spricht dagegen kaum mehr jemand. Stattdessen schimpfen die Menschen über die Besatzung. Vor allem in den von der US-Armee kontrollierten Zonen beschweren sich die Iraker über den Kommandoton der oft sehr jungen Soldaten an den Straßensperren.
Die Enttäuschung, von der inzwischen viele Menschen im Irak ergriffen worden sind, hat viele Gründe. Der wohl wichtigste Grund ist die bittere Erkenntnis, dass Gewalt und Mangel immer noch den Alltag im Irak bestimmen. «Die Menschen hier sind müde, kriegsmüde, konfliktmüde, sie haben auch den täglichen Kampf gegen die Angst und um ihren Lebensunterhalt satt», meint ein ausländischer Beobachter in der irakischen Hauptstadt.
Vor einem Jahr noch war der Irak ein Land, in dem ein Witz über den Präsidenten mit dem Tod bestraft wurde und der Geheimdienst überall Angst und Schrecken verbreitete. Die Oppositionellen von damals, die schiitischen Geistlichen und alle anderen, die vom Regime verfolgt und gefoltert wurden, leben heute besser als früher. Sie genießen es, in der Öffentlichkeit über Politik zu diskutieren und nicht darüber nachzudenken zu müssen, wer am Nebentisch sitzt und zuhört. Dafür nehmen sie - noch - die Besatzung in Kauf.
«Wo ist der Staat, wo ist die öffentliche Ordnung?», fragt ein alter Händler in Falludscha, einer der Hochburgen der Aufständischen, wütend. Wie er so kommen viele Menschen im Irak heute, nach Jahrzehnten der Diktatur, schwer mit dem Machtvakuum im Lande zurecht. Wenn ihnen amerikanische Soldaten sagen, sie sollten sich nicht so anstellen, die Kriminalitätsrate in ihren Städten sei schließlich nicht höher als in Los Angeles oder Chicago, macht sie das nur noch wütender.
Auch hat der Zusammenbruch des Saddam-Systems alte Konflikte zwischen den verschiedenen Volks- und Religionsgruppen wieder aufbrechen lassen. Das zeigte nicht nur der Machtpoker zwischen den kurdischen und schiitischen Parteien bei der Debatte des provisorischen Regierungsrats um die kürzlich unterzeichnete Übergangsverfassung, sondern das belegen auch die Selbstmordanschläge. Selbst wenn ausländische Fanatiker an den jüngsten blutigen Attentaten auf Kurdenpolitiker und schiitische Pilger beteiligt waren, ohne irakische Unterstützung haben die Täter bestimmt nicht operiert. Die arabischen Sunniten, einst die Stütze des alten Regimes, fühlen sich unterdessen als Verlierer und bilden daher das Rückgrat des bewaffneten Widerstands gegen die Besatzer und ihre Verbündeten.
Die Iraker haben seit Anfang der 80er Jahre keine längere Phase der Stabilität mehr erlebt. Kriege, Aufstände, brutale Unterdrückung, Sanktionen und schließlich der totale Zusammenbruch des Staates im vergangenen Jahr haben tiefe Spuren in der Psyche der Menschen hinterlassen. Die ständige Bedrohung hat die Menschen gelehrt, sich fernab der Politik auf die Bewältigung ihres Alltags zu konzentrieren. Ideologien stehen wegen der hohlen Propaganda des alten Führungsclique, die angeblich eine Volksarmee nach Jerusalem schicken wollte und letztlich doch nur ihr eigenen Pfründe schützte, heute nicht hoch im Kurs. Was bleibt ist die Religion, die vielen schon in den letzten Jahres des Saddam-Regimes als Ventil gegen die tägliche Frustration willkommen war. Was bleibt, das ist die Rückbesinnung auf die eigene Herkunft, den Stamm und die Glaubensgemeinschaft, die in unsicheren Zeiten Schutz bieten sollen.