Estland Estland: Kleines Volk mit großem Sprachtalent
Großkayna/MZ. - Seit 2002 ist Liis Pellenen in Deutschland, studierte erst in Berlin, wechselte dann an die Uni Halle. Der Grund ist die Liebe: Ihr Freund stammt aus Großkayna (Kreis Merseburg-Querfurt), mit ihm lebt sie nun dort. Estland vermisst sie jedoch schon ein wenig. "Es gibt viel mehr Natur und viel weniger Leute." Rund 1,4 Millionen Einwohner hat die Republik an der Ostsee. "Es leben auch Russen dort", erzählt Liis Pellenen, die aus der Hauptstadt Tallinn kommt. Nicht wenige seien nach der Unabhängigkeit Estlands, das von 1944 bis 1990 zur Sowjetunion gehörte, gegangen. Mit denen, die geblieben sind, sieht Liis Pellenen keine Konflikte. Einen Unterschied gebe es jedoch: "Die jungen Russen sprechen jetzt Estnisch, nur die Alten wollen das nicht unbedingt."
Geändert hat sich im ehemals sozialistischen Estland eine Menge. "Vieles ist heute besser." Die estnische Wirtschaft ist im Aufschwung, teilweise entwickelte sie sich sogar überdurchschnittlich. "Das Problem ist jedoch, dass der Import deutlich größer ist als der Export", so die BWL-Studentin. Vom Boom möchte sie daher nicht unbedingt sprechen. "Aber man findet Arbeit." Vor ihrem Studium hat Liis Pellenen einige Zeit als Buchhalterin gearbeitet. Verdient hat sie als Vollzeitkraft in Tallinn gut 400 Euro im Monat. Die Löhne sind niedrig. "Früher hatte man Geld und konnte nichts kaufen, heute kann man alles kaufen, aber hat kein Geld", sagt sie. An die Bezugsscheine für Grundnahrungsmittel, die es zu Sowjetrepublikszeiten noch bis 1990 gab, kann sie sich noch gut erinnern.
Auch wenn es sich heute in Estland besser leben lässt, die Landwirtschaft hat Probleme. "Da hofft man schon auf die Unterstützung der EU." Der Tourismus sei jedoch ein Zugpferd in dem Land mit den vielen Seen, Mooren und Ostsee-Iseln. "Es kommen Finnen, Engländer, Japaner, Australier, Deutsche." Tallinn sei ein beliebtes Ziel der Touristen. Die mit 500 000 Einwohnern größte Stadt Estlands hat "eine sehr, sehr schöne Altstadt". Die meisten Bauwerke stammen aus dem Mittelalter, fast alles ist saniert. Die Bauten zeugen von der Vergangenheit Estlands, das selten ohne Fremdbestimmung war: Vom Einfluss der deutschen Ordensritter über die Macht der Hanse bis hin zum Einfluss der Schweden.
Was Liis Pellenen noch zu ihrer Heimat einfällt? "Das Bildungssystem ist anders als in Deutschland." So kommen Erstklässler mit großer Vorbildung in die Schule. Die erwerben sie im Kindergarten: "Man kommt mit sieben Jahren in die erste Klasse, kann dann aber schon lesen." Da fällt ihr auch noch ein, dass es ihrem Freund nicht gerade leicht fällt, Estnisch zu lernen. Kein Wunder, hat die dem Finnischen verwandte Sprache doch 14 Fälle. Allerdings ist das nicht wirklich schlimm, denn: "Ein kleines Volk spricht viele Sprachen."
Zehn Fragen, zehn Antworten - Liis Pellenen fasst das Wichtigste über Estland zusammen.
Wie würden Sie die Esten in einem Satz charakterisieren?
Sie sind sehr freundlich, aber zurückhaltend, vor allem aber fleißig.
Was regt einen Esten auf?
Es ist jetzt zwar nicht mehr so schlimm, aber wenn ein Este als Russe bezeichnet wird, dann regt er sich schon auf.
Wer ist ein Nationalheld?
Wir haben den Mythos von Kalevipoeg, einem Kämpfer für das Gute und die Freiheit. Er soll vor vielen Jahrhunderten gelebt haben.
Welche Künstler der Vergangenheit werden gewürdigt?
Die Dichterin Lydia Koidula hat im 19. Jahrhundert viel für die estnische Sprache getan.
Was ist der wichtigste Feiertag?
Neben dem Johannistag der Unabhängigkeitstag am 24. Februar sowie der 20. August als Tag der Wiedererlangung der Freiheit.
Welches Buch führt die Bestseller-Liste an?
Gute Frage, wahrscheinlich so etwas wie "Harry Potter".
Welche Popkünstler stehen hoch im Kurs?
"Vanilla Ninja", eine estnische Mädchen-Band. Die Videos laufen auch hier auf Viva.
Welchen Geheimtipp (der nicht im Reiseführer steht) würden Sie einem Besucher geben?
Die Ostsee-Insel Hiiumaa. Sie hat viel Natur und wenig Touristen.
Was sollten Besucher unbedingt essen und trinken?
Das Essen ist nicht viel anders als in Deutschland. In Estland isst man auch Kartoffeln, Sauerkraut oder Blutwurst. Typisch ist aber Kama, eine Mischung aus Buttermilch und Roggen-, Weizenmehl sowie Hülsenfrüchten. Aber keiner außer den Esten mag das.
Was heißt Guten Tag, Auf Wiedersehen; bitte, danke?
Tere Päevast, Nägemist, palun und aitäh.