Selbstmord von Dschaber Al-Bakr Dschaber Al-Bakr in der JVA Leupzig erhängt: Bericht zeigt verhängnisvolle Kette von Fehlern

Leipzig - Als Dschaber al-Bakr am 10. Oktober 2016 um 15.11 Uhr in die Justizvollzugsanstalt Leipzig eingeliefert wird, ist keine geeignete Zelle für mögliche Selbstmörder frei. Drei der vier Zellen haben Baumängel, die Vierte ist belegt. Der 22-jährige Syrer, in dessen Chemnitzer Wohnung Sprengstoff gefunden worden war, wird in einer anderen Einzelzelle untergebracht, in der ihn 30 Stunden später ein Lehrling erhängt findet.
Am Dienstag hat Ex-Verfassungsrichter Herbert Landau nach drei Monate dauernden Untersuchungen der letzten 30 Stunden des mutmaßlichen Terrorristen das Ergebnis des Kommissionsberichts vorgestellt – eine geheime Verschlusssache, die der „Leipziger Volkszeitung“ vorliegt. Das Blatt spricht von einer „verhängnisvollen Kette von Fehlern, Versäumnissen und Mängeln“ und resümiert: Der Selbstmord hätte verhindert werden können.
Da der 22-jährige Syrer nach seiner Einlieferung jegliche Nahrungsaufnahme verweigerte, habe die Ermittlungsrichterin im Überstellungsprotokoll auf eine erhöhte Suizidgefahr hingewiesen, so die Zeitung. Dies sei in Leipzig „unbeachtet“ geblieben, genauso die Auflage, Al-Bakr „umgehend“ einem Anstaltsarzt vorzuführen. „Die richterlichen Anordnungen sowie die allgemeinen Richtlinien zur medizinischen Versorgung des Gefangenen ... wurden nicht beachtet“, wird die Landau-Kommission zitiert.
„Christian, der hängt!“
Damals hatte die einzige diensttuende Anstaltspsychologin Feierabend. Auch wurde Al-Bakr nicht von Ärzten untersucht. Man beobachtet ihn durchs Gitter, zunächst alle 15, später alle 30 Minuten, was offensichtlich zu wenig war, da der 22-jährige Mann als suizidgefährdet galt. Im Landau-Bericht heißt es: „Der Untersuchungsgefangene hätte zu keinem Zeitpunkt allein gelassen werden dürfen.“
Als er in das Gefängnis eingeliefert wurde, habe er einen weißen Overall angehabt, wie bei Spezialeinsatzkommandos üblich. Er darf später reguläre Kleidung tragen und nicht, wie es in einem solchen Fall sinnvoll gewesen wäre, Papierbekleidung. Sein T-Shirt zerreißt Al-Bakr später in Streifen, verknotet sie und tötet sich damit. So findet ihn am 12. Oktober abends eine Auszubildende, die zufällig in seine Zelle blickt und einen Kollegen ruft: „Christian, der hängt!“ Das Fazit der Kommission: „Insgesamt ist festzustellen, dass beim Vollzug der Untersuchungshaft wiederholt gegen gesetzliche Vorgaben, allgemeine Richtlinien sowie Weisungen verstoßen wurde. Der Gefangene wurde unangemessen betreut und es wurde Sachverhalten nicht nachgegeben, die als Anzeichen für die Entwicklung einer Suizidgefahr hätten wahrgenommen werden können.“
Generalbundesanwalt soll schneller handeln
Insgesamt offenbart der Bericht schwere Fehler im Zusammenspiel von Bundes- und sächsischen Behörden, fehlende Führungs- und Kommunikationsstrukturen, personelle und persönliche Überforderungen, mangelnde kulturelle und sprachliche Kompetenzen und vor allem eines: fehlende Erfahrung.
Generalbundesanwalt Peter Frank habe die Ermittlungen zu spät an sich gezogen, obwohl ihm das zweimal angetragen worden sei. Auch die Zurückhaltung des Bundeskriminalamts, den Zugriff in Chemnitz zu übernehmen, sei zumindest „sachwidrig“ gewesen. Die Kommission empfiehlt Gesetzesänderungen, die es künftig ermöglichen sollen, „die Behörde des Generalbundesanwalts in vergleichbaren Fällen stärker in die Pflicht zu nehmen“. (mit dpa)