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Merkel auf CDU-Parteitag Bundeskanzlerin Angela Merkel auf CDU-Parteitag in Essen: "Ihr müsst ihr müsst ihr müsst mir helfen."

Von Daniela Vates 06.12.2016, 17:50
Angesichts der bevorstehenden Bundestagswahl bittet Merkel ihre Parteimitglieder um Hilfe.
Angesichts der bevorstehenden Bundestagswahl bittet Merkel ihre Parteimitglieder um Hilfe. Getty Images Europe

Berlin - Gerade gibt es richtig Ärger oben auf dem Rednerpult. Christine Arlt-Palmer aus Baden-Württemberg ist ans Mikrofon getreten. „Es hätte nie so passieren dürfen“, sagt sie zur Flüchtlingspolitik von Angela Merkel. Offenbar habe man den Kontakt zu den Bürgern verloren. Und dass die CDU keinen eigenen Kandidaten für die Bundespräsidentenwahl stelle, sei ein Zeichen der Schwäche. Einzelne Zuhörer applaudieren, man muss sie wirklich suchen im Publikum. Und es sitzen und stehen durchaus einige herum in diesem Saal, nicht alle sind Kaffee trinken gegangen. Die Rednerin da oben am Pult allerdings interessiert die Delegierten des CDU-Parteitags nicht.

Es spricht dann Christean Wagner, ehemaliger CDU-Fraktionschef in Hessen und ausgewiesener Vertreter der tiefschwarzen Seite seiner Partei: „Mit welcher Strategie wollen Sie den Abwärtstrend unserer Partei stoppen?“, fragt er. Eugen Adler aus dem baden-württembergischen Ravensburg meldet sich und bemängelt, Merkel habe „im Kielwasser des Zeitgeists die CDU nach links geführt“. Die Delegierten lassen sie alle drei reden, mehr nicht. Sie reden in einen einigermaßen vollen Saal, aber gleichzeitig irgendwie ins Leere. Nach einem Riss in der Partei sieht das nicht gerade aus, eher nach ein paar Fransen am Rand.

Gerade haben die Delegierten Merkel zugehört, mehr als eine Stunde lang, sie haben danach über elf Minuten lang geklatscht. Das ist eine ziemliche Leistung, Merkel hat ja keine Zauberkunststücke vorgeführt oder Tiger durch brennende Reifen springen lassen. Aber so eine Klatschdauer ist ja immer auch ein Zeichen, und immerhin steht ja eine Bundestagswahl an.

Merkels persönlicher Rekord

Merkel gelingt da gerade ein anderes Kunststück, ein ganz persönlicher Rekord: Genau in dieser Halle, der Gruga-Halle in Essen, ist sie im Jahr 2000 zum ersten Mal gewählt worden. Sie regiert also die CDU nun so lange, wie Helmut Kohl zuvor das Land regiert hatte.

Er ging, sie kam. Die CDU hatte nicht nur die Bundestagswahl verloren, sondern wegen der Spendenaffäre auch ihren Ruf. Von einer tiefen Krise war damals die Rede, die damals 46-jährige bisherige Generalsekretärin hatte noch den Spitznamen „Kohls Mädchen“ und galt als Übergangslösung. Die nächste Kanzlerkandidatur übertrugen die Unions-Männer 2002 vorsichtshalber mal dem CSU-Vorsitzenden Edmund Stoiber. Nun tritt Merkel zum neunten Mal als Parteivorsitzende an – und zum vierten Mal als Kanzlerkandidatin.

Sie hat Höhen erreicht in dieser Zeit, mit einer fast absoluten Mehrheit. Sie hat die Union verändert, weg vom traditionellen Familienkind à la Kinder, Küche, Kirche, weg von Atomkraft und Wehrpflicht. Im vergangenen Jahr hat es die Union fast zerrissen über ihre Flüchtlingspolitik.

Merkel spricht sich für Burkaverbot aus

Vor diesem Hintergrund also hält Merkel eine Bewerbungsrede. Es ist eine Mischung aus beschwörender Predigt, Hilferuf, Liebeserklärung und Bitte um Verständnis – um die spannenden Passagen zu nennen. Die Pflichttextteile gibt es natürlich auch, eine etwas mühsame Aneinanderreihung von Dankesworten vor allem, an alle ihre Stellvertreter, Minister und sonstige CDU-Würdenträger. Parteiinterne Streicheleinheiten sind das, eine ganze Weile plätschert es so dahin.

Das Wichtigere ist aber der Rest. Zum Beispiel der Punkt, der die Delegierten wirklich begeistert. Es ist gleichzeitig der Punkt, an dem sie am wenigsten wahrhaftig ist: „Vollverschleierung sollte verboten werden“, verkündet sie. Lange hat sie sich gegen ein Burkaverbot als CDU-Beschluss gewehrt, obwohl  ihre Stellvertreterin Julia Klöckner versuchte, damit in ihrem rheinland-pfälzischen Wahlkampf Stimmen zu sammeln. Aber irgendwie ist das Reden über den Sinn von Symbolpolitik offenbar auch bei Angela Merkel angekommen. Deshalb dieser Satz. Der Zusatz „wo immer möglich“ geht im Applaus unter.

Es ist eine Reaktion auf den Erfolg der AfD, aber es bleibt nicht die Einzige. „Es gibt einige, die schon immer hier in Deutschland leben und dringend einen Integrationskurs nötig hätten“, sagt Merkel gleich nach dem Verschleierungsapplaus. Sie spricht von Respekt im Umgang miteinander und davon, dass man sich denen entgegenstellen müsse, die in der Auseinandersetzung alle Hemmungen ablegten. „Da sagen wir: So nicht!“ Den Rufen von Pegida-Demonstranten „Wir sind das Volk“ setzt sie entgegen: „Wer das Volk ist, bestimmt bei uns noch immer das ganze Volk und nicht einige wenige – und mögen sie noch so laut sein.“ Der Applaus, das ist bemerkenswert, ist ähnlich stark wie beim Thema Burkaverbot.

Digitalisierung und Big Data

Genug Energie und neue Ideen, so hat sie ihre erneute Kandidatur begründet. Dem Populismus will sie also etwas entgegensetzen. Für die neuen Ideen liefert sie die Überschriften: Wirtschaft. Zusammenhalt. Recht und Ordnung. Letzteres begeistert den Saal am meisten. Über die Digitalisierung, die Gefahren und Chancen der Datensammlerei, spricht Merkel mit am längsten. Man kann sagen: Nach dem Kapern von SPD- und Grünen-Themen widmet sich die Kanzlerin nun den Piratenideen. SPD, Grüne und Linkspartei bekommen durch die Blume auch noch etwas mit: Sie könne nicht verstehen, wie Hunderttausende gegen das Handelsabkommen TTIP demonstrieren könnten, aber nicht gegen den Krieg in Syrien auf die Straße gingen.

„Eigentlich müsste man“ – das sagt Merkel dann so häufig, dass man fast auf die Idee kommen könnte, sie für eine Oppositionsführerin zu halten. Aber es geht da um die internationalen Krisen, und vermutlich ist die Idee hinter dem „Eigentlich müsste an“, dass alle denken: Die, die irgendwann den Konjunktiv aus der Formulierung nimmt, das ist Angela Merkel. 

Sehr ruhig wird es dann im Saal, als Merkel unmittelbar in einen Predigtton verfällt: „Wir müssen dafür sorgen, dass Europa nicht noch schwächer aus der Krise rausgeht, als es reingegangen ist“, sagt sie. Es ist bei Merkel eine fast apokalyptische Warnung. Normalerweise formuliert sie positiv, zu jedweder Krise: „Ich bin sicher, dass wir stärker aus der Krise herauskommen, als wir hereingegangen sind.“

„Ihr müsst, ihr müsst, ihr müsst mir helfen.“

Merkel hat also entweder ein bisschen Hoffnung verloren oder Sinn für Dramatik gewonnen. Sie beschwört, „welch Glück es ist, in diesem Land leben zu können“. Sie bezeichnet die Freiheit mit ungewohnt drastischen Worten als zentralen Antrieb: „Politik gegen die Freiheit ist ein Frevel.“

Daraus mag sich ihre Flüchtlingspolitik erklären: Die zieht sich als Thema durch die gesamte Rede, Merkel geht nicht ins Detail, aber sie kommt immer wieder auf sie zurück. Sie setzt sie auch gleich an den Anfang, wie ein Ausrufezeichen: Nicht alle Angekommenen könnten bleiben, sagt sie. Es ist etwa der dritte Satz, schneller kann es kaum gehen. Es ist der neue Ton ihrer Flüchtlingspolitik, so steht er auch im Leitantrag des Parteivorstands, mehrfach zugespitzt liegt der Schwerpunkt dort nun auf der Botschaft: Härte, Abschieben.

Das vergangene Jahr, sagt Merkel, dürfe sich nicht wiederholen. Dennoch gewinnt sie ihm Positives ab. Man habe die Flüchtlingskrise „bewältigt, geordnet und gesteuert“. Sie sagt übrigens nicht Flüchtlingskrise, sondern „die Situation“. Sie räumt ein: „Ich habe euch einiges zugemutet.“ Kein Fehlergeständnis ist das. „Die Zeit hat uns einiges zugemutet“, sagt Merkel und kündigt gleich an, sie könne nicht versprechen, dass die Zeit der Zumutungen vorbei sei. „Ein bisschen passiv, das ist immer ihr Problem“, findet ein führender CDU-Politiker. 

Signal der Schwäche?

Und dann sagt Merkel etwas Riskantes: Sie sei von vielen aufgefordert worden wiederanzutreten, sagt sie. „Du musst, du musst, du musst kandidieren“, so schildert sie das Drängen. Und sie echot: „Ihr müsst, ihr müsst, ihr müsst mir helfen.“ Das kann als Signal der Schwäche verstanden werden, zumal in einer Partei, die sich immer sehr stark an ihrem Vorsitzenden ausgerichtet hat. „Sehr ehrlich“ sei das gewesen, befinden hinterher mehrere Delegierte zufrieden. Und einer, der sie auch gerne mal kritisiert hat, befindet: So könne sie bei der Bundestagswahl wieder an das Ergebnis von 2013 herankommen, an die absolute Mehrheit.

Die emotionalste Rede hält dann der Vorsitzende der Senioren-Union, Otto Wolff: „Niemand kann es verantworten, dass jemals wieder die Nationalisten unsere Politik bestimmen“, ruft der „Wir werden uns nicht nur wehren, wir werden sie in die Schranken weisen“. Die CDU müsse Mut zeigen. „Mutlose und Pessimisten wählt man nicht.“ Die stoische Ruhe im Saal ist dahin. Die Delegierten applaudieren, nicht elf Minuten lang, aber begeistert.

Merkel bekommt bei ihrer Wiederwahl 89,5 Prozent der Stimmen, 99 der knapp 1 000 Delegierten stimmen mit Nein. Es ist das zweitschlechteste Ergebnis ihrer Amtszeit, nach 2004, dem Jahr, in dem sie noch nicht Kanzlerin war. Merkel sagt: „Ich freue mich über das Ergebnis.“

Bei ihrer ersten Wahl zur Parteivorsitzenden hat sie aus der Zeit der Wiedervereinigung berichtet, als sie einem Freund schrieb: „Wir gehen ins Offene.“ Diesen Satz hat Merkel nun nach 16 Jahren erneut zitiert. „Ich will immer noch und immer weiter ins Offene gehen.“ Es kann noch Überraschungen geben bei der CDU.