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Binnenfischen in Sachsen-Anhalt Binnenfischen in Sachsen-Anhalt: Der letzte Saale-Fischer

Von Steffen Höhne 24.12.2014, 17:39
In einem alten Seitenarm der Saale in Weißenfels wirft Fischer Hubert Reichardt eine Reuse aus.
In einem alten Seitenarm der Saale in Weißenfels wirft Fischer Hubert Reichardt eine Reuse aus. Andreas Stedtler Lizenz

Weißenfels - Mit einem großen Kescher steht Hubert Reichardt am Betonbassin. Gut zwei Dutzend Goldforellen zappeln auf dem Netz, als der Fischereimeister es anhebt. Er holt drei heraus, die Kundin neben ihm nickt. „Frischer kann man Forellen nicht kaufen“, sagt sie. Nun nickt Reichardt. Gleich nebenan werden die Fische ausgenommen. In der letzten Woche vor Weihnachten herrscht in der „Fischerei am alten Saalearm“ in Weißenfels Hochbetrieb. Eine Tonne Fisch geht täglich über den Ladentisch. Reichardt gehört zu den wenigen noch verbliebenen Binnenfischern in Sachsen-Anhalt, und er ist der letzte Saale-Fischer.

Gummistiefel, dicke schwarze Hose, leuchtende Regenjacke, ein von Sonne und Wind gezeichnetes Gesicht: Der 52-Jährige sieht aus, als ob er sein ganzes Leben schon auf Fischfang ist. Doch seinen Traumberuf hat er erst spät gefunden. In der Nachbarstadt Hohenmölsen geboren, absolvierte er eine Schlosser-Lehre und arbeitete anschließend im Braunkohle-Revier. Nach der Wende war der frühere Hobby-Angler als Heizungsbauer tätig, bevor er sich im Jahr 2000 entschied, eine bereits 1994 stillgelegte Fischzucht-Anlage in Weißenfels wieder aufzubauen.

Kein Einsatz von Antibiotika

„Meine Frau erklärte mich damals für verrückt“, erzählt Reichardt. „Sie hatte recht.“ Zusammen mit seinem Bruder Steffen und einem weiteren Partner richtete der Jungunternehmer die Teiche in einem alten Saalearm wieder her. Die Fischbassin-Anlage wurde repariert, ein neuer Verkaufsstand gebaut. „Allerdings musste ich feststellen, dass auch ein leidenschaftlicher Angler nur einen Teil des Wissens besitzt, das ein Fischer benötigt“, sagt er heute. Mit Anfang 40 setzte sich Reichardt wieder auf die Schulbank. Im sächsischen Bautzen lernte er Fischerei-Facharbeiter und schloss den Meister gleich dran.

In Deutschland wurden im vergangenen Jahr in Aquakulturen, Seen und Flüssen schätzungsweise 37.000 Tonnen Fisch gefangen. Dieser Wert liegt etwa auf Vorjahresniveau. Das geht aus dem Jahresbericht Binnenfischerei des Bundeslandwirtschaftsministeriums hervor.

Hinsichtlich der Produktionsmenge liegen die Aquakulturen (Kalt- und Warmwasseranlagen) mit 26.000 Tonnen vorn. Die Regenbogenforelle (9600 Tonnen) ist der am häufigsten vermarktete Fisch. In Seen und Flüssen wurden etwa 11.000 Tonnen Fisch gefangen. Mit 7800 Tonnen geht davon ein Großteil auf das Konto von privaten Anglern.

Der Süßwasserfisch-Markt in Deutschland wird von Importen bestimmt. Insgesamt 128 000 Tonnen wurden 2013 eingeführt, das waren 10.000 Tonnen mehr als im Vorjahr. In der Folge ist der deutsche Eigenversorgungsgrad beim Süßwasserfisch auf 15 Prozent gesunken. Der Konsum hierzulande steigt an: Der Pro-Kopf-Verbrauch liegt rechnerisch bei 1,5 Kilogramm im Jahr. (sth)

„Fischerei ist Mathematik“, sagt er und blickt auf die Anlagen. In den 30 etwa zwei Meter breiten und 16 Meter langen Fischbecken, die vom Wasser der Saale durchströmt werden, züchtet er unter anderem Forellen, Karpfen, Welse und Störe. Nach seinen Worten muss das Futter genau dosiert werden. So füttert er fünfmal täglich die Forellen. Mit der Hand schmeißt er drei bis fünf Millimeter große Pellets in das Wasser.

Die fleischfressenden Fische toben, wenn ihnen das gepresste Fischmehl entgegen fliegt. „Man darf die Forellen nie satt füttern“, sagt er. Sie würden das Futter nicht vollständig verdauen. Von der Aufzucht über das Räuchern bis zur Herstellung von Konserven übernehmen Reichardt und seine Mitarbeiter alle Arbeiten selbst. Etwa zwölf Monate dauert die Zucht der Forellen, bei einem Barsch im Teich sind es zwölf Jahre.

„Wir bieten höchste Qualität“ sagt der Fischer. In dem Betrieb mussten nach seinen Angaben bisher noch nie Antibiotika eingesetzt werden, um Krankheiten zu bekämpfen. Das würden die Kunden honorieren, die nicht nur aus der Region kommen. „Stammkunden kommen auch aus Leipzig, Jena oder Gera.“

Welche Faktoren nach Meinung des Fischers für den Rückgang der Erträge maßgeblich sind, lesen Sie auf Seite 2.

Der Großteil der verkauften Fische stammt aus den Zuchtanlagen, von Frühjahr bis Herbst geht Reichardt jedoch auch in der Saale auf Fang. Frühmorgens, wenn der Dunst aus dem Saale-Tal aufsteigt, werden Zugnetze für Aale, Welse oder Hechte ausgeworfen. „Mir ist wichtig, dass das traditionelle Fischen nicht verloren geht“, sagt Reichardt, der selbst ausbildet. Obwohl der Fischer jedes Jahr in den Fluss kleine Fische aussetzt, ist der Ertrag rückläufig. Zwei Faktoren macht er dafür verantwortlich. Zum einen werde die Saale immer sauberer, damit aber auch nährstoffarmer, zum anderen hätten Kormorane die Bestände dezimiert. Das trifft die Fluss- und Seefischer im ganzen Land.

Deren Zahl ist in den vergangenen Jahren rückläufig. Insgesamt 19 hauptberufliche Binnenfischer gebe es noch in Sachsen-Anhalt, sagt Birgit Kaesebier vom Landesfischereiverband. Mit 52 Jahren gehöre Reichardt zu den „jungen Fischern“. Die Zahl der Auszubildenden ist gering. Im August 2014 waren es landesweit sieben.

Hochwasser spülte alle Fische weg

Viele Bewerber hätten beim Fischer das „Berufsbild“ des Anglers vor Augen, ergänzt Reichardt. Er sei sieben Tage die Woche tätig. Viele würden die anstrengende Arbeit unterschätzen. Neben einer fundierten fachlichen Ausbildung benötige ein guter Binnenfischer auch eine „grüne Hand“. „Bei Fischen ist es ähnlich wie bei Blumen, bei dem einen wachsen und gedeihen sie, bei dem anderen gehen sie ein.“ Theorie helfe da allein nicht weiter.

In Deutschland wurden im vergangenen Jahr in Aquakulturen, Seen und Flüssen schätzungsweise 37.000 Tonnen Fisch gefangen. Dieser Wert liegt etwa auf Vorjahresniveau. Das geht aus dem Jahresbericht Binnenfischerei des Bundeslandwirtschaftsministeriums hervor.

Hinsichtlich der Produktionsmenge liegen die Aquakulturen (Kalt- und Warmwasseranlagen) mit 26.000 Tonnen vorn. Die Regenbogenforelle (9600 Tonnen) ist der am häufigsten vermarktete Fisch. In Seen und Flüssen wurden etwa 11.000 Tonnen Fisch gefangen. Mit 7800 Tonnen geht davon ein Großteil auf das Konto von privaten Anglern.

Der Süßwasserfisch-Markt in Deutschland wird von Importen bestimmt. Insgesamt 128 000 Tonnen wurden 2013 eingeführt, das waren 10.000 Tonnen mehr als im Vorjahr. In der Folge ist der deutsche Eigenversorgungsgrad beim Süßwasserfisch auf 15 Prozent gesunken. Der Konsum hierzulande steigt an: Der Pro-Kopf-Verbrauch liegt rechnerisch bei 1,5 Kilogramm im Jahr. (sth)

Reichardts Fische entwickelten sich in den vergangenen Jahren gut und mit ihnen der Betrieb. Dennoch stand im Juni 2013 alles auf dem Spiel. Das Saale-Hochwasser überflutete das Betriebsgelände, 100 Prozent der Fische gingen verloren. Schaden: 300.000 Euro. „Zwei oder drei Tage lang wusste ich nicht, ob es weitergeht“, sagt der Unternehmer rückblickend.

Doch nach der Flut kam die Solidarität. Angler, die regelmäßig zu den Teichen kommen, halfen mit, das Gelände zu reinigen. Andere Betriebe stellten Neubesatz, der erst später bezahlt werden musste. „Nach nur einer Woche öffneten wir den Laden wieder “, so Reichardt. „Vor allem bin ich stolz auf den Einsatz unserer Truppe.“ Die Fluthilfe des Landes ersetzte später einen Großteil des Schadens.

Den Schritt in die Fischerei hat Reichardt nicht bereut. „Ob auf der Saale oder im Räucherraum, ich fühle mich wohl.“ Einen großen Teil des Tages könne er im Freien verbringen. Nur zum Angeln bleibt ihm keine Zeit mehr. Allerdings: 14 Tage im Jahr nimmt der Fischer Urlaub. Dann fährt er mit seiner Frau meist nach Norwegen: „Ja, da wird dann auch geangelt.“ (mz)

Steffen Reichardt holt einen großen Wels aus dem Fischbecken.
Steffen Reichardt holt einen großen Wels aus dem Fischbecken.
Andreas Stedtler Lizenz