Analyse Analyse: Zellstreit spaltet Bundestag
Berlin/MZ. - Die Frage, wie es weiter gehen soll mit der embryonalen Stammzell-Forschung in Deutschland, erhitzt die Gemüter. Dabei standen am Donnerstag vier Varianten zur Diskussion, über die der Bundestag am 13. oder 14. März abstimmt. Erstens: Es bleibt, wie es ist. Dann dürften auch weiterhin nur solche embryonalen Stammzellen zu Forschungszwecken importiert werden, die vor dem 1. Januar 2002 gewonnen wurden. Zweite Möglichkeit: Der Stichtag wird auf den 1. Mai 2007 verschoben. Alternative Nummer drei: Der Stichtag wird ganz abgeschafft. Und viertens: Der Import embryonaler Stammzellen wird verboten.
Derzeit deutet manches darauf hin, dass die Parlamentsmehrheit am Ende für eine einmalige Verschiebung des Stichtags votieren wird - wobei deren Befürworter weitere Verschiebungen schon heute nicht ausschließen.
René Röspel von der SPD deutete dies an. Er warb für die Verschiebung mit den Worten: "Wir wollen den erfolgreichen Mittelweg weiter beschreiten." Der neue Stichtag werde "für viele Jahre gute Forschung reichen" - sprich: wohl nicht für alle Jahre. Forschungsministerin Annette Schavan (CDU) denkt ähnlich: "Niemand will den Dammbruch". Allerdings sei die zu treffende Entscheidung "nicht nur bedeutsam für Deutschland", da Forschung "international vernetzt" stattfinde. Und die hierzulande zu Forschungszwecken verfügbaren Stammzellen reichten nicht aus. Auch Verbraucherschutzminister Horst Seehofer (CSU) macht sich für die Stichtagsverschiebung stark. Er monierte verschiedene "Wertungswidersprüche". So sei die Tötung "überzähliger" Embryonen in Deutschland erlaubt, die Forschung an ihnen hingegen nicht.
Interessant war nun zu sehen, wie die behutsamen Modernisierer von zwei Seiten unter Druck gerieten. Auf der einen Seite warnte die CDU-Abgeordnete Julia Klöckner vor einem "Stichtag auf Rollen". Sie weiß ihren konservativen Fraktionschef Volker Kauder hinter sich. Kauder erklärte: "Es wird auch bei diesem Stichtag nicht bleiben." Und: "Der Mensch darf nicht alles, was er kann." Bis heute seien durchschlagende Erfolge embryonaler Stammzellforschung nicht nachweisbar, hieß es. Hubert Hüppe, ebenfalls CDU, zieht daraus die Konsequenz. Er will den Import embryonaler Stammzellen zu Forschungszwecken ganz unterbinden. "Die Menschenwürde kann nicht abgewogen werden mit der Forschungsfreiheit", findet der Behindertenbeauftragte der Unionsfraktion. Die Menschenwürde sei in Artikel 1 des Grundgesetzes verankert, die Forschungsfreiheit jedoch erst in Artikel 5.
Auf der anderen Seite stehen jene, die für eine völlige Freigabe des embryonalen Stammzellimports eintreten und fragen: Warum nicht bereits jetzt das tun, was über kurz oder lang sowieso kommen wird? In diesem Lager finden sich fast sämtliche FDP-Abgeordneten, weshalb die Liberale Ulrike Flach als Wortführerin fungiert. Sie warb für die "Ethik des Heilens" und warnte davor, "dass Wissenschaftler dauerhaft ins Ausland getrieben werden". Flach lächelte in der Gewissheit, dass die Zeit für sie arbeitet.
Fast alle Redner beanspruchten die richtigen Sachargumente und die rechte Moral. Dabei wurde im Gegensatz zur letzten großen Stammzell-Debatte im Januar 2002 viel weniger darüber gestritten, wann ein Mensch ein Mensch sei. Übers Heilen wird ebenfalls kaum noch geredet. Dafür tritt das zentrale Argument der Modernisierer unverhüllt hervor. Es lautet: Wenn Deutschland die embryonale Stammzellforschung nicht intensiviert, wird es international abgehängt. Ob Krebs und andere Krankheiten besiegt werden könnten, sei offen - und nicht entscheidend.
Einen bemerkenswerten Auftritt hatte FDP-Mann Konrad Schily - nicht bloß, weil er von der Haltung seiner Fraktion abwich. Schily wies darauf hin, dass man nicht beides haben könne - Fortschritt und ein gutes Gewissen. Der langjährige Kopf der Privatuniversität Witten-Herdecke sagte: "Das ist ein polares Spannungsfeld. Da gibt es keinen Kompromiss. Da müssen wir uns entscheiden. Ich entscheide mich für die Menschenwürde."