Ägypten Ägypten: Tödliche Krawalle nach Fußball-Urteil

Kairo/Istanbul/dpa. - Als die Gewalt in Ägypten erneut eskaliert, ermahnt eine der prominentesten Bloggerinnen des Landes die Randalierer: „Es ist schon genug Blut geflossen.“ Die Ägypter müssten zusammenhalten. Die 27-jährige Mitbegründerin der Jugendbewegung 6. April, Asmaa Mahfus, hatte im Januar 2011 mit einem Internet-Aufruf für Freiheit maßgeblich zu den ersten Massenprotesten gegen den Langzeitpräsidenten Husni Mubarak mobilisiert, die schließlich zu seinem Sturz führten. Anders als vor zwei Jahren aber verhallt ihr Appell am Wochenende ungehört. Allein am Samstag sterben 31 Menschen in der Stadt Port Said.
Auslöser der jüngsten blutigen Eskalation: die Todesstrafe gegen 21 Drahtzieher der Fußball-Katastrophe in der nördlichen Hafenstadt vor einem Jahr. Damals waren Fans des örtlichen Vereins Al-Masri nach dem Abpfiff brutal auf Anhänger des rivalisierenden Al-Ahli-Klubs losgegangen - 74 Menschen starben. Die Toten gehören inzwischen zu den offiziellen „Märtyrern der Revolution“. Wohl auch deshalb sprechen die Verwandten und Freunde der mutmaßlichen Täter in Port Said von einem politischen Urteil.
Zwei Jahre nach dem Sturz Mubaraks steckt Ägypten in einer verfahrenen Situation. Die Gesellschaft des nordafrikanischen Landes ist zutiefst gespalten: Islamisten gegen Linke, Liberale und Christen; Intellektuelle und Arbeiter aus dem Norden gegen Bauern und Beduinen aus dem Süden; Anhänger des alten Systems gegen die neuen Machthaber. Und jede Gruppe hat unterschiedliche Visionen für das neue Ägypten.
Touristen und Investoren bleiben fern, die Wirtschaft befindet sich im freien Fall, das ägyptische Pfund im Keller. Die Armut wächst, und ständig gibt es wegen der zerfallenden Infrastruktur schreckliche Todesmeldungen - Unglücke auf den kaputten Straßen, Schienen und in Wohngebieten wegen einstürzender Häuser.
Unsicherheit und Unzufriedenheit der Massen entladen sich regelmäßig in neuer Gewalt. So endete am Freitag der zweite Jahrestag des Aufstands gegen Mubarak in blutigen Protesten gegen seinen Nachfolger, den islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi. Und so konnte ein Fußballspiel zum Schauplatz eines brutalen Massakers werden, das ebenso grausame Gerichtsurteile nach sich zieht. Während in Kairo die „Ultras“ von Al-Ahli den Richterspruch feiern und ihre Opfer gerächt sehen, wird in Port Said um die neuen Opfer getrauert - darunter auch ein ehemaliger Fußballspieler von Al-Masri. Und die Regierung erwägt, den Notstand auszurufen. Denn immer wieder bricht Gewalt aus.
Die Muslimbruderschaft - aus der Präsident Mursi stammt - tut das, was sie seit Monaten immer wieder tut: Sie schiebt die Verantwortung „subversiven Elementen“ zu, „Saboteuren, Vandalen und Anarchisten“, die von dubiosen Kräften gelenkt und bezahlt würden. Eine Verschwörung also, in die auch private Medien verwickelt seien. In einer Erklärung klagen die Islamisten an: Während die Ägypter daran arbeiteten, die Revolution zu vollenden und ihr Land mit ehrlicher Arbeit wieder aufzubauen, versuchten diese Banden, Schläger und der sogenannte „Schwarze Block“, Hoffnung in Verzweiflung umzuwandeln und Freude in Terror, Tod und Zerstörung.
Asmaa Mahfus sendet auf Twitter weitere erfolglose Appelle und ermahnt ihre Landsleute, nach vorne zu blicken. „Lasst uns jetzt aufhören, an das bereits vergossene Blut zu denken“, schreibt sie. „Lasst uns darüber nachdenken, wie wir das Blutvergießen stoppen können.“
