Adoptionen in der DDR Adoptionen in der DDR: Das Land das Kinder aus politischer Motivation stahl

Berlin - Andreas Laake wird Tag und Stunde nie vergessen. Am 6. Oktober 2013 hatte Sat1 in der Sendung „Bitte melde Dich“ seinen Aufruf ausgestrahlt und am Tag danach abends um 19.02 klingelte das Telefon in seiner Leipziger Wohnung. Sein Sohn Marko. Nach 29 Jahren.
Andreas Laake, heute 57 Jahre alt, saß zu DDR-Zeiten wegen versuchter Republikflucht im Gefängnis, als ihm sein gerade geborener Sohn genommen und zur Adoption freigegeben wurde. Im April 1984 wollten er und seine schwangere Frau in einem Schlauchboot über die Ostsee nach Dänemark fliehen. Sie scheiterten.
29 Jahre bis zum ersten Treffen
Laake nahm alle Schuld auf sich und wurde zu vier Jahren und sieben Monaten Haft verurteilt. Seine schwangere Frau bekam eine Bewährungsstrafe. Sie ließ sich scheiden und gab das gemeinsame Kind angeblich zur Adoption frei. Er war dagegen, aber er war machtlos. Im Gefängnis sah er später ein Foto, das ihm seine Mutter von dem Neugeborenen zeigte: ein Baby mit einem Plastikschlauch in der Nase, ein bisschen früh auf die Welt gekommen. Der Junge kam in ein Heim, dann nahm ihn eine Familie zur Adoption. Es sollte 29 Jahre dauern, bis sich Vater und Sohn zum ersten Mal sehen.
Am Donnerstagmittag hat Laake zusammen mit vier Mitstreitern eine Petition beim Bundestag abgegeben, Marian Wendt, CDU-Abgeordneter aus Sachsen und Ausschussvorsitzender, hat sie in Empfang genommen und versprochen, sich die Sache genauestens anzusehen. Hinter der Petition stehen die 1500 Mitglieder der Interessengemeinschaft „Gestohlene Kinder der DDR“.
„Es gibt noch Tausende ungeklärte Fälle“
Die fünfköpfige Reisegruppe hat in Berlin 300 Luftballons aufsteigen lassen als Zeichen, dass sie angekommen sind, dass ihr Anliegen in der Bundespolitik angekommen ist. „Es muss etwas passieren“, sagte Laake dieser Zeitung am Donnerstag. „Es gibt noch Tausende ungeklärte Fälle.“ Viele Leute wüssten bis heute nicht, dass sie zu DDR-Zeiten zur Adoption gegeben wurden. Laake: „Die erfahren das erst, wenn sie heute beim Standesamt sind, ihr Aufgebot bestellen, erstmals in ihre Personenakten gucken und aus allen Wolken fallen. So kann`s doch nicht sein.“
Das Thema ist schwierig, es gibt weder genaue Zahlen, noch lassen sich alle Verdachtsfälle zweifelsfrei aufklären. Es geht nicht nur um zu DDR-Zeiten „politisch auffällige“ Eltern, denen Kinder genommen wurden. Es gibt auch viele Mütter, die den angeblichen Tod ihres Säuglings bei oder kurz nach der Geburt zu DDR-Zeiten bezweifeln, weil sie nie die Leiche gesehen haben. Auch sie fürchten (und hoffen heute), ihr Kind sei weggegeben worden.
„Nichts darf im Schredder landen“
Die Interessengemeinschaft fordert nun eine deutlich längere Lagerung relevanter Dokumente. „Akten aus Krankenhäusern oder Jugendämtern müssen länger aufbewahrt werden“, fordert Laake. „Nichts darf im Schredder landen.“ Eine „Clearingstelle“, finanziert aus SED-Vermögen und besetzt mit unabhängigen Experten, solle sich der Akten und Fälle annehmen. ,Außerdem müsse es eine Informationspflicht geben: „Jugendliche ab 16 Jahren müssen erfahren, wer ihre leiblichen Eltern sind. Sie haben das Recht dazu“, findet Laake. „Der Staat oder die Adoptiveltern müssen sie aufklären.“
Für all das sind Gesetzesänderungen im Bund erforderlich. Laake und seine Mitstreiter glauben an ihren Erfolg, auch wenn ähnliche Petitionen scheiterten. „Etliche Abgeordnete haben uns mitgeteilt, dass sie uns unterstützen werden“, sagt er.
ZFF spricht von „politisch motivierten Adoptionen“
Die möglichen Fallzahlen sind umstritten, die Einschätzungen gehen weit auseinander. Laake meint, in der DDR habe es 72000 bis 75000 Adoptionen gegeben, zu denen keine Daten vorlägen. Etwa ein Zehntel dieser Adoptionen könnten Zwangsadoptionen gewesen sein, also mindestens 7000.
Das Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZFF) in Potsdam spricht von „politisch motivierten Adoptionen" in der DDR und kommt in einer kürzlich präsentierten Vorstudie für einen Zeitraum zwischen 1966 und 1990 zu deutlich geringeren Zahlen. Das brisante Thema sei bislang nur „punktuell erforscht“, seine ganze Dimension daher unbekannt.
Potsdamer Forschungszentrum arbeitet an vertieften Studie
Danach habe es etwa ein bis zwei politisch motivierte Adoptionen pro Kreisjugendamt der DDR gegeben. Bei 230 Jugendämtern bedeute das etwa 340 Fälle und nicht 7000. Derzeit arbeitet das Potsdamer Forschungszentrum an einer gründlicheren und vertieften Studie.
Birgit Neumann-Becker, Sachsen-Anhalts „Landebeauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur“ meinte im MDR, es sei ein kompliziertes Thema. Natürlich habe es belegte Fälle von politisch motivierten Zwangsadoptionen gegeben. Aber die Mehrzahl der Fälle von verstorbenen Säuglingen habe damit nichts zu tun. Nachforschungen hätten ergeben, dass viele Neugeborene „nachvollziehbar gestorben“ seien. Ihre Leichen, das sei nicht unüblich gewesen, wurden einfach anderen Gräbern anonym beigelegt.