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Markenzeichen Markenzeichen: Gewürze aus Halle bald «Made in India»?

Von RALF BÖHME 15.12.2011, 18:47

Halle (Saale)/MZ. - Das Geheimnis seines Erfolgs: einfallsreiche Gewürzmischungen. Thomas Staudenmayer beliefert damit Kunden in ganz Europa. Nun will der Inhaber der Halleschen Essig- und Senffabrik auch noch den Markt in Übersee erobern. Das Gütesiegel "Made in Germany" dient ihm dabei, wie er sagt, als idealer Türöffner. Wenn es nach der Europäischen Union geht, ist es damit aber bald vorbei.

Eine geplante neue Richtlinie will das Hersteller-Land für jedes Produkt, das exportiert wird, ermitteln. Danach muss der Anteil der Leistungen, die dafür in Deutschland erbracht werden, bei mindestens 55 Prozent liegen.

"Wer so etwas erwägt, kennt die Praxis nicht", ärgert sich der Unternehmer über Überlegungen des EU-Apparates in Brüssel. In seinem Fall würde die Änderung nämlich das Aus für "Made in Germany" bedeuten. Die Rechnung ist nachvollziehbar: Kostbare Gewürze kauft Staudenmayer vorwiegend in Indien. Handliche Mahlwerke, mit denen der Kunde beispielsweise Salzkristalle zerkleinern kann, kommen aus Afrika. Und wichtige Teile der Verpackung wie Gläser ordert das Unternehmen in Osteuropa. Die Geschäftsidee, die gesamte Erzeugnisentwicklung und der Service, stammen aus Halle. Vor diesem Hintergrund rätselt der Manager über den Sinn der Brüsseler Richtlinie, die seiner Meinung nach völlig kontraproduktiv wirke - nämlich gegen die zunehmende internationale Arbeitsteilung.

Schuhwerk, das stärksten Belastungen standhält, sorgt für den Gewinn bei Jörg Schlichting in Eisleben. Sein Unternehmen entwickelt, fertigt und liefert unter anderem weltweit Spezialstiefel für die Feuerwehr. Gutes Leder ist dabei Trumpf. Zumeist bestellt Schlichting dieses Material, vor allem für die extrem belastbaren Schäfte, in Brasilien. "Das sind traditionelle Geschäftsbeziehungen, die über Jahrzehnte gewachsen sind." Keiner der Lieferanten käme auf die Idee, das Label "Made in Germany" deshalb in Frage zu stellen. Ansonsten müssten Schuhe aus Eisleben wohl bald das Label "Made in Brazil" tragen. Schlichting: "So etwas ist doch absurd." Es tue ihm weh, wie leichtfertig die EU vorgehe. "Wer vom Schreibtisch aus irgendwelche Quoten festlegt, handelt immer wirtschaftsfeindlich." Ein Unternehmer müsse, um sich am Markt zu behaupten, produzieren und nicht endlose Nachweise über jedes einzelne Bauteil auflisten.

Als extreme Belastung für den Maschinenbau sieht Birgit Stodtko, die internationale Geschäftsführerin der Industrie- und Handelskammer Halle-Dessau, das Vorhaben. Bei Maschinen-Systemen, die teils aus Tausenden Bauteilen bestehen, würde das zu einem untragbaren Mehraufwand führen. Gerade viele Firmen in Sachsen-Anhalt hätten Marktnischen besetzt, die sich nicht für große Serien eigneten. Insofern müsste für jede Einzellieferung eine neue, umfassende Dokumentation erarbeitet werden. Das kostet Zeit und auch Geld. Darüber hinaus stelle sich die Frage, ob die Unternehmen überhaupt verpflichtet werden könnten, letztlich ihre Kalkulationen offenzulegen. Stodtko: "All das wirkt der außenwirtschaftlichen Entwicklung entgegen und erweist sich als regelrechte Export-Bremse."

Der Geschäftsführerin zufolge will die IHK ab sofort und in den nächsten Wochen mit den Unternehmen die absehbaren Folgen der EU-Richtlinie erfassen. Die Ergebnisse dieser Untersuchung sollen dann der EU-Kommission übergeben werden. Bei diesem Vorhaben, betont Stodtko, handelt es sich aber keinesfalls um eine Einzelaktion. Vielmehr würden alle Industrie- und Handelskammern in Deutschland ähnliche Projekte vorantreiben. So habe man sämtliche Bundestagsabgeordnete und die deutschen Vertreter bei der Europäischen Union auf das Problem "Made in Germany" aufmerksam gemacht.