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Logistik Logistik: Fracht motzt nicht

Von STEFFEN HÖHNE 04.10.2011, 17:22

Leipzig/Hongkong/MZ. - Joe Moser schaut sich die Wetterkarte auf seinem Laptop an. "Gutes Wetter auf der Strecke, nur in Hongkong wird es wohl ungemütlich - dort zieht ein Taifun hin", sagt der Kapitän des Flugs 3S510 der Leipziger Frachtfluggesellschaft Aerologic. Neben dem 58-Jährigen stehen seine Co-Piloten Thomas von der Linde (36) und Katja Hirschmüller (33). "Der Flug wird 10:45 Stunden dauern, wir haben 77,8 Tonnen Fracht geladen", sagt Moser weiter. "Noch Fragen?" Kopfschütteln.

Der Flugkapitän ist einer der erfahrendsten und bekanntesten deutschen Piloten. Im Jahr 2007 flog er etwa eine Airbus-Maschine von LTU zum Nordpol - es war der erste Passagierflug einer deutschen Airline in die Eiswüste. In den vergangenen Jahren hat Moser als Flugbetriebsdirektor Aerologic mit aufgebaut, die erste ostdeutsche Fluggesellschaft seit Interflug 1991 aufgelöst wurde. Die Airline ist mit dafür verantwortlich, dass sich in der Region Leipzig-Halle die Logistik positiv entwickelt. Doch wie sieht die Arbeit der Piloten heute aus? Ist Reinhard Meys Songzeile "Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein" nur Romantik? Die MZ flog erstmals mit Aerologic - vom Flughafen Leipzig / Halle nach Hongkong.

6.30 Uhr - die Boeing 777F rollt auf die Startbahn. Es herrscht dichter Nebel - unter 200 Meter Sicht. Die Befeuerungsanlagen seitlich und in der Mitte der Startbahn geben die Orientierung. Moser drückt den Schubhebel durch, die beiden Triebwerke mit zusammen 150 000 PS heulen auf. Die Boeing 777 beschleunigt, wenig später hebt eines der größten und modernsten Frachtflugzeuge der Welt ab. Seit 38 Jahren fliegt Moser schon. "Dass ein Flugzeug mit einem maximalen Gewicht von 350 Tonnen abhebt, verwundert mich immer wieder", sagt er und zieht die Maschine nach oben. Auf 30 000 Fuß hat die Maschine ihre normale Flughöhe erreicht.

Zu 98 Prozent pünktlich

Moser schiebt seinen Sitz zurück, dreht sich um. "Was wollen sie denn wissen?" "Ist ein Frachtpilot so etwas wie der Brummifahrer der Lüfte?" Moser lacht. "Nein, für einen Piloten spielt es eigentlich keine Rolle, ob er hinter sich nun Fracht oder Passagiere hat." Allerdings würden die meisten Kapitäne heute wohl Fracht bevorzugen. Ein Pilotenspruch: "Fracht motzt nicht, Fracht k.... nicht." Die größte Herausforderung besteht laut Moser im strikten Zeitplan. "Wenn ein Kunde für ein Express-Päckchen mehr als 100 Euro zahlt, möchte er, dass es pünktlich ankommt." Für Aerologic, die für ihre beiden Gesellschafter, die Post-Tochter DHL und Lufthansa Cargo, fliegt, heißt dies, Verspätungen gering zu halten. Dies gelingt: 98 Prozent der Flüge sind pünktlich.

Nach Worten des Kapitäns fliegt die Gesellschaft alles, was verderblich oder teuer ist. Das heißt Lebensmittel, Blumen, Computer, Maschinenbauteile, Medikamente und natürlich Post. Moser macht die Bedeutung der Luftfracht anschaulich: Flugzeuge transportieren nach Gewicht insgesamt nur ein Prozent aller Güter weltweit - aber 35 Prozent nach Wert.

Die 260 Millionen Dollar teure Boeing kann in 2,5 Stunden ent- und beladen werden. Ziel ist es, so viel Zeit wie möglich in der Luft zu verbringen. Nur dann verdient sie Geld. Aerologic fliegt mit ihren acht fabrikneuen Jumbos 21 Ziele in Asien, dem Mittleren Osten und Nordamerika an. "Wir sind auf langen Strecken zu Hause", so Moser.

Mittlerweile hat das Flugzeug Moskau hinter sich gelassen. Der Autopilot übernimmt weitgehend den Flug. Ab und zu meldet sich ein neuer Fluglotse. "Sie dürfen sich von der Ruhe nicht täuschen lassen", sagt Moser. "Wir fliegen mit 900 Kilometer pro Stunde. Wenn vor uns schlechtes Wetter aufzieht, müssen wir sehr schnell reagieren." Moser ist der Chef von 170 Piloten - die er genau auswählte. Seit der Gründung der Fluggesellschaft 2007 gab es 5 800 Bewerbungen von Piloten. "Die Langstrecken, die wir fliegen, sind immer noch die Königsdisziplin", sagt Moser. Dies sei für viele Piloten attraktiv. Diese verdienen zwar nicht ganz so viel wie ihre Kollegen bei Lufthansa Cargo - doch mehr als bei vielen ausländischen Fluglinien.

Rendezvous im Himmel

Für Aerologic hat sich auch Katja Hirschmüller entschieden - oder umgekehrt. "Ich stamme aus Leipzig." Sie flog schon für eine Schweizer Fluggesellschaft und in Finnland. "Nun konnte ich zurückkommen." Viel unterwegs ist sie immer noch. "Fliegen ist eine Art zu leben. Von Montag bis Freitag im Büro, das wäre nichts für mich."

Das Fliegen hat sich in den letzten 20 Jahren deutlich geändert. In den Flugzeugen steckt immer mehr Technik. "Heute fliegen wir bis auf den Meter genau unsere Route", sagt Moser. Dies habe aber auch zur Folge, dass die Lotsen viel Flugverkehr auf begrenztem Raum zulassen. Geflogen wird meist mit Autopilot - selbst automatische Landungen sind möglich. "Die Automatik lässt aber das Handwerk verkümmern", sagt Moser.

Nach der Hälfte der Flugstrecke übernimmt Thomas von der Linde die Führung. Moser hat Zeit sich für ein paar Stunden in eine Schlafkabine zurückzuziehen. Die Boeing fliegt über Karastan in den chinesischen Flugraum ein. Von der Linde spricht mit einem chinesischen Fluglotsen. Die Sterne glänzen klar und kalt am Himmel. Dann sagt er: "Schauen sie nach links." In der Ferne blinkt es. Es ist eine andere Aerologic-Maschine auf dem Weg nach Leipzig / Halle. Rendezvous in 33 000 Fuß Höhe

Der chinesische Lotse möchte, dass die Maschine steigt, um einem anderen Flugzeug auszuweichen. Von der Linde tut dies nur widerwillig: "Dies kostet wieder Sprit", sagt er. Und dieser ist teuer. Um eine zusätzliche Tonne Fracht mitzunehmen, werden 380 Kilogramm Flugbenzin benötigt. Auch von der Linde schwärmt von dem Flugzeug. "Auch mit einem Triebwerk könnten wir fliegen." Und selbst in dem sehr, sehr unwahrscheinlichen Fall, dass beide Triebwerke ausfallen, würde die Maschine nicht wie ein Stein zu Boden fallen. Sie würde noch 160 Kilometer gleiten.

Beim Anflug auf Hongkong sitzt wieder Moser im Cockpit. Durch die kleinen Fenster ist die Skylinie der asiatischen Metropole zu erkennen. Vom Taifun sind nur die Ausläufer zu spüren. "Hier herrschen aber immer gefährliche Fallwinde", sagt Moser. Co-Pilotin Hirschmüller übernimmt die Landung. Sie hat das Steuer fest in der Hand. Zuvor hat sie gesagt: "Die Boeing 777 fliegt sich so, wie sich ein großer Mercedes fährt." Durch einen Knopfdruck wird das Fahrwerk ausgefahren. Sie nimmt Schub weg. Es ist kurz nach 23 Uhr Ortszeit. Die Maschine ist pünktlich. Eine Ansage wie aus dem Off sagt 500 Meter, 400, 300, 200, 100, 50, 40, 30, 20, 10. Landung.