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Ikone Ernst Thälmann Ernst Thälmann - Der rote Teddy der Revolution

Der Hamburger Hafenarbeiter war obdachlos, Landarbeiter in den USA, Soldat, Deserteur, Aufrührer, KPD-Chef und Naziopfer. Die DDR machte aus ihm eine Lichtgestalt.

Von Steffen Könau 17.08.2024, 10:00
Ernst Thälmann im Berliner Wohngebiet Ernst-Thälmann-Park an der Greifswalder Straße: Von kaum einem anderen Kommunisten existieren noch so viele Denkmale.
Ernst Thälmann im Berliner Wohngebiet Ernst-Thälmann-Park an der Greifswalder Straße: Von kaum einem anderen Kommunisten existieren noch so viele Denkmale. IMAGO/Jürgen Ritter

Halle/MZ. - Kräftig mit Glatze, ein großer Kerl mit breiten Schultern und einem schmunzelnden Gesicht, so war er. Die anderen Funktionäre trugen Anzug, dieser hier hatte eine Lederjacke an. Das Gerücht ging, dass er trinken konnte wie ein Hafenarbeiter, schließlich war er mal einer gewesen. Zum Bild, das von Ernst Thälmann viele Jahre nach seinem Tod geblieben war, gehörte auch die Behauptung, er habe es nicht so mit der marxistisch-leninistischen Theorie gehabt. Ein handfester Praktiker sei er gewesen, ein Kumpeltyp, der Reden aus dem Stegreif hielt, volksnah, nie abgehoben wie viele Genossen, nachdem sie Berufsrevolutionäre geworden waren.

Ernst Thälmann brachte alles mit, was eine Heldenfigur braucht. Geboren in Hamburg als Sohn eines Knechts, der sich vom Kutscher zum Schankwirt und Gemüsehändler hocharbeitete, lebt Ernst als kleiner Junge vorübergehend in Pflege, weil seine Eltern eine Haftstrafe wegen Hehlerei absitzen müssen. Schon als Kind muss er nach der Schule im Laden mitarbeiten. Sein Wunsch, Lehrer zu werden, scheitert am Geld.

Mit 18 flüchtet er von daheim. Thälmann schläft im Obdachlosenheim, wird Fuhrmann, Heizer auf der „Amerika“, versucht sich in den USA als Landarbeiter und landet 1915 als Artillerist an der Westfront, wo er verwundet wird und das Eiserne Kreuz bekommt, ehe er 1918 seine Sachen packt und die Truppe ohne Befehl Richtung Heimat verlässt.

Geburt eines Revolutionärs

Der Mann, der in Hamburg ankommt, ist ein anderer. Ernst Thälmann, seit 1903 SPD-Mitglied und Gewerkschafter, schließt sich der USPD an, dem linken Flügel der SPD, der keinen schöneren Kapitalismus, sondern den Sozialismus will.

Schon beim Parteitag in Halle im Oktober 1920, bei dem auch der Delegierte Thälmann im „Volkspark“ sitzt, gibt es die nächste Spaltung: Die Anhänger Sowjetrusslands, zu denen auch Thälmann gehört, setzen den Beitritt der USPD zur moskautreuen Kommunistischen Internationale durch. Thälmanns USPD geht in der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) auf. Thälmann, inzwischen 45 Jahre alt, wird in den Hamburger KPD-Vorstand gewählt.

Hier etwa findet sich der Anfang der Parteikarriere, die Thälmann nicht nur an die Spitze der KPD führen wird, sondern ihm auch elf Jahre Einzelhaft in verschiedenen Gefängnissen einbringt, ehe er schließlich am 18. August 1944 im KZ Buchenwald erschossen wird. Thälmann ist ein Mann Moskaus, ein Stalinist, der als Mitglied des KPD-Militärrats auf einen gewalttätigen Umsturz hinarbeitet und mit dem Hamburger Aufstand 1923 schließlich auf Geheiß des Kreml versucht, eine deutsche Oktoberrevolution auszulösen.

Thälmanns unaufhaltsamer Aufstieg

Dass das Unternehmen scheitert, schadet Thälmanns Aufstieg nicht. In den parteiinternen Grabenkämpfen um den richtigen Kurs liegt der Hamburger stets richtig. 1925 tritt er für die KPD bei der Wahl zum Reichspräsidenten an, „um mit schweren Stiefeln Lärm zu schlagen, damit der Bourgeoise Hören und Sehen vergeht“, wie der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk in seinem Buch über Thälmanns Rivalen Walter Ulbricht zitiert. Die Wahl verläuft enttäuschend. Die KPD verliert ein Fünftel ihrer Wähler. Doch auch das vermag Thälmann nicht zu stoppen.

Stalin stimmt zu, dass der Chef des Roten Frontkämpferbundes KPD-Vorsitzender werden soll. Als er drei Jahre später wegen einer Unterschlagungsaffäre abtreten muss, ist es der Mann in Moskau, der widerspricht. Ohne dass die Vorwürfe widerlegt worden sind, darf Ernst Thälmann die Geschäfte wieder aufnehmen.

Unter seiner Führung wendet sich die KPD der von Moskau vorgegebenen Sozialfaschismus-These zu. Danach ist die SPD die „Hauptstütze der Kapitalsdiktatur“ und noch vor Hitlers NSDAP der Hauptfeind, den es zu bekämpfen gilt. Eine Einheitsfront gegen die Faschisten lehnt Ernst Thälmann ab. „Man kann den Kapitalismus nicht schlagen“, glaubt er, „ohne die Sozialdemokratie zu vernichten“. Doch ausbleibende Erfolge veranlassen Moskau, die deutsche Parteispitze einzubestellen.

„Nicht einmal seine Freunde bescheinigten Thälmann Talente, die ihm zur Führung einer Partei hätten nützlich sein können“, zitiert Kowalczuk aus dem Protokoll der Sitzung der Kommunistischen Internationale. Auch die überlieferten Thälmann-Briefe zeigten „einen Mann einfachen Gemüts, der an erheblicher Selbstüberschätzung litt“, aber als Parteichef dennoch unumstritten bleibt.

Symbolfigur für die Nazis

Eine Symbolfigur auch für die Nazis, die nach Hitlers Machtergreifung nicht warten. Am 3. März 1933 wird Thälmann in einer Privatwohnung in Berlin verhaftet. Seinen Unterschlupf hat ein Genosse verraten. Ein Jahr später wird der Verräter durch ein Femekommando im Bett erschossen.

Ernst Thälmann nützt das nichts. Er wird des Hochverrats angeklagt, die Klage aber später auf Anweisung Hitlers fallengelassen. Offiziell sitzt der KPD-Chef nun in „Schutzhaft“, ohne Chance, dagegen vorzugehen. Alle seine Hoffnungen richten sich auf Moskau. Dort aber bleibt es still. Für Stalin ist „das Gold der Arbeiterklasse“, als das der später ermordete Grigori Sinowjew Thälmann gerühmt hat, nicht mehr von Interesse.

Nach Abschluss des Hitler-Stalin-Pakts wird Thälmanns Frau in der Sowjet-Botschaft vorstellig, um Stalins Hilfe zu erbitten. Ergebnislos. Thälmann selbst schreibt Bittbriefe: „Von dem Eingreifen meiner russischen Freunde verspreche ich mir den einzig und allein ausschlaggebenden Erfolg zu meiner Freilassung.“ Der rote Zar im Kreml aber erhört den Mann, den seine Genossen „Teddy“ nennen, nicht. Auf Geheiß Hitlers lässt SS-Chef Heinrich Himmler Ernst Thälmann am Morgen des 18. August 1944 im Krematorium des KZ Buchenwald erschießen.

Die DDR-Propaganda verwandelt den Toten anschließend in den Helden, der er heute noch für viele ist: Ein Typ in Lederjacke, handfest und unbeirrbar. Für keinen anderen Kommunisten gibt es so viele Denkmale, kaum ein anderer schmückt heute noch so viele Straßenschilder.