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Design Design: Autos mit Gefühl

Von corinna nitz 13.01.2012, 17:03

Halle (Saale)/MZ. - Sebastian Schnells Augenlider sind verengt, eigentlich nur noch Sehschlitze, doch verleiht ihm das genau jenen Ausdruck, den Raser mitunter draufhaben. Motto: "Platz da, jetzt komm’ ich!" Schnell ist ein Disney-Car und damit genau das, was Lukas Rittwage nicht will.

Er hat die Konzeptstudie "Face Value" für eine dynamische Fahrzeugfront entwickelt, auch die erinnert an eine menschliche Augenpartie, weil Scheinwerfer häufig Augen ähneln. Doch geht es für Rittwage, der mit seiner Studie 2011 in Hamburg eine "Besondere Anerkennung" beim begehrten "Lucky Strike Junior Designer Award" bekam, nicht um Unterhaltung à la Disney. "Dann wäre das Auto nur eine Karikatur", sagt er.

Für den gebürtigen Dessauer steht der Sicherheitsaspekt im Straßenverkehr im Vordergrund. Das ist auf eine bestimmte Art ungewöhnlich, denn Rittwage ist mit seinen 22 Lebensjahren ja in dem Alter, wo besonders männliche Zeitgenossen eher Wert auf Tuning und PS legen. Und als sich der Design-Student an die Studie machte, besaß er noch nicht einmal selbst ein Auto. Dafür hatte er den Wunsch und überdies eine Vorstellung, mit gestalterischen Mitteln die Kommunikation im Straßenverkehr positiv zu beeinflussen. Was ihm vorschwebt ist, menschliche Mimik auf ein Auto zu übertragen. Aufgrund der "natürlichen und nachgewiesen Assoziationen des Menschen verschiedener Fahrzeugfronten mit Gesichtern und entsprechenden Emotionen", liege dieser Versuch nahe.

Praktisch sieht das so aus, dass mit Hilfe flexibler Lichtbänder unterschiedliche Informationen, Signale und Emotionen zum Ausdruck gebracht werden können. Zum Beispiel, so Rittwage, können die Augen (respektive Scheinwerfer) sich entspannen, wenn der Bremsvorgang eingeleitet ist. Das wiederum dürfte beim Vordermann zu einer gewissen Erleichterung führen, wenn der im Rückspiegel ein freundlich schauendes Auto sieht - und nicht den aggressiven Augenaufschlag eines Sebastian Schnell, der mit 250 Sachen und Dauerlichthupe angebraust kommt. Wichtig sei, dass der Fahrer auf die Steuerung der Ausdrucksmöglichkeiten möglichst keinen Einfluss hat.

Entwickelt hat Rittwage die Konzeptstudie, die seine Bachelor-Arbeit wurde, im Rahmen seines Design-Studiums an der Hochschule Anhalt. Teile der Arbeit entstanden in den Räumen des Dessauer Bauhauses, von dort gingen bekanntlich zahlreiche innovative Ideen aus, Rittwage fügt sich also prima ein. Dass er sich für einen gestalterischen Beruf entscheiden würde, war ihm nicht direkt in die Wiege gelegt. Es gebe Ingenieure in der Familie, die Mutter ist Lehrerin, in der Schule interessierte er sich für "Zeichnen, Schauspiel et cetera, das hatte aber nichts mit Gestaltung zu tun". Nach dem Abitur 2007 hat Rittwage dann bei einem Tag der offenen Tür die Hochschule besucht. "Ich fand es spannend, was die Studenten auch am Bauhaus schaffen", erinnert er sich. Es ging ihm darum, "die Basics" zu erlernen, das Handwerk. In den Werkstätten war das möglich. Er sagt, eine schöne Vase zu zeichnen, sei auch wichtig, wenn man an Design denkt. "Aber meine Sache ist das nicht."

Umso mehr hatte es ihm "das Industrielle" angetan und hier der Wunsch, "Formen zu finden und damit Probleme zu lösen". Seine Konzeptstudie wurde von Professor Nicolai Neubert und dem Diplomingenieur Klaus Heller betreut. Wer mit Heller über Rittwage spricht, muss mit Superlativen rechnen. "Er war der Erste, der überhaupt ein Auto emotional gestaltet hat!", ruft der Mann in den Telefonhörer.

Dass mit Rittwages Konzept das Fahrverhalten auf den "Face-Bereich" eines Autos übertragen werden kann, geht Heller allerdings nicht weit genug. "Man müsste es auch auf die Blinker ausdehnen. Und der Fahrer darf keinen Einfluss darauf haben." Dann könnte man sogar noch einen Schritt weiterdenken: Heller spricht von einer Art Blackbox, wie es sie in Flugzeugen gibt und mit deren Hilfe sich ein Unfallgeschehen rekonstruieren lässt. Gemeinsam mit Heller war Rittwage im November bei der "EuroMold" in Frankfurt am Main. Auf der Weltmesse für Werkzeug- und Formenbau, Design und Produktentwicklung haben sie das Face-Value-Konzept vorgestellt, "es gab einen riesen Zuspruch", erzählt Heller. Den erfährt Rittwage auch in Potsdam, an der dortigen FH, die für ihren Interface-Design-Studiengang bekannt ist, hat er ein Masterstudium aufgenommen.

Nachdem in Dessau ein Pappmodell von der Autofront entstanden war, entwickelt Rittwage nun die Rückseite sowie eine Maschine, die das mechanische Prinzip veranschaulichen soll. Noch in diesem Jahr sollen Feldstudien mit Probanden beginnen. Betreut wird seine Masterarbeit übrigens von jemandem, der bei einem großen Automobilkonzern arbeitet. Nicht nur bei Disney ist man erfolgreich.