Grün-schwarze Twitter-Fehde Grün-schwarze Twitter-Fehde in Sachsen-Anhalt: Platzt das einmalige Bündnis zwischen CDU, SPD und Grünen?

Magdeburg - Es qualmt so stark in der Koalition, am Sonntag hat der CDU-Chef genug. Wenn schon Krise, dann wenigstens diskret. Schluss mit Twitter, Schluss mit dem öffentlichen Dauer-Zoff im Internet in dieser schwarz-rot-grünen Koalition in Sachsen-Anhalt. „Twitter ist der Colt des 21. Jahrhunderts“, sagt Holger Stahlknecht. „Und so wie im Wilden Westen ziehen einige zu früh.“ Er warnt „in alle Richtungen“: Schluss jetzt, sonst gibt’s Konsequenzen.
Die Koalition steht auf der Kippe. Doch schon Minuten nach Stahlknechts Ansage klicken die Colts wieder. Diesmal ist es CDU-Fraktionsvize Ulrich Thomas, der die Grünen-Landesvorsitzende Susan Sziborra-Seidlitz aufs Korn nimmt. Eines ihrer Fotos vom Sachsen-Anhalt-Tag in Quedlinburg (Sonnenbrille und Sommerwetter) kommentiert er zu später Stunde so: „Dafür, dass Sie seinerzeit im Stadtrat gegen den Sachsen-Anhalt-Tag in Quedlinburg gestimmt haben, tun Sie ja ganz schön wichtig.“ Er versieht das mit einigen der Twitter-typischen Hashtags, also Schlagworten: #unehrlich und #grueneeben.
Alle wissen, was jetzt kommt. „Absolut unterirdisch“, empört sich der als besonnen geltende Grünen-Abgeordnete Olaf Meister. Und schreibt später über die aus seiner Sicht „handfeste Koalitionskrise“: „Ich bräuchte jetzt Partner, die die Sacharbeit wollen. Diverse Äußerungen der jüngsten Zeit haben als Ziel ja aber, genau das unmöglich zu machen.“
Deutschlands erste Kenia-Koalition steht an der Schwelle zum Scheitern
Rumms! Das ist der Stand in Magdeburg im Juni 2019. Deutschlands erste Kenia-Koalition - teils zerstritten, teils gar verfeindet - steht an der Schwelle zum Scheitern. Am Montag stellen die Grünen der CDU ein Ultimatum: Es geht um das Grüne Band, ein Vorzeigeprojekt der Ökopartei am ehemaligen Todesstreifen der DDR-Grenze. „Wir sind an einem Punkt, wo die CDU-Fraktion beweisen muss, ob sie mit den Grünen oder gegen sie regieren will“, warnt Grünen-Fraktionschefin Cornelia Lüddemann.
Bereits seit Monaten läuft das koalitionsinterne Gezerre um das notwendige Gesetz. So offen wie jetzt stand die weitere Zusammenarbeit nie in Frage. Als Lüddemann am Morgen in der Pressekonferenz spricht, hören in den hinteren Reihen einzelne CDU-Abgeordnete jedes Wort mit. Danach trommelt die CDU-Fraktion alle Abgeordneten zusammen. Noch am Abend soll es ein Krisentreffen geben: Wie gehen wir mit dieser Eskalationsstufe um?
Sachsen-Anhalt hat viele politische Krisen gesehen, doch etwas ist neu: Während noch vor Jahren knüppelharte Konflikte in geschlossenen Sitzungsrunden und mit autorisierten Pressemitteilung ausgefochten wurden, kracht es jetzt teilweise auch in Echtzeit. Im Internet, ohne Puffer und für jeden im Netz nachzulesen. Nicht nur US-Präsident Donald Trump hat die Wucht der öffentlichen Kurznachricht für sich entdeckt. Auch in Magdeburg heißt es häufig: Ein Politiker, ein Handy - und unzählige Wege, Frust und Missgunst abzulassen. Gut möglich, dass dies ein Schlüssel ist, um die jüngste Eskalation rund um das Grüne Band zu verstehen.
Grünen-Landeschefin Sziborra-Seidlitz macht in der CDU-Fraktion „Torpedos“ aus
Twitter und Landespolitik, das ist kaum zu trennen. Denn der harte Umgang im Netz verstärkt offenbar die teils vergiftete Stimmung im diesem schwarz-rot-grünen Bündnis.
Noch ein Beispiel: CDU-Mann Ulrich Thomas verbreitete jüngst auf Twitter einen Text, der als Horror-Vorstellung einer künftigen grünen Bundesregierung zu verstehen war. Eine Kostprobe daraus: „Das grelle Glitzern der Großstadt aus der Vergangenheit ist fast verschwunden. Strom ist zu teuer geworden, als dass man ihn für Beleuchtung verschwendet, aber gleich wird der Muezzin die Gläubigen zum Gebet rufen.“
Die Rede ist von „Öko-Touristen aus China und Indien, die sich in Deutschland den erfolgreichen Umbau von einem Industrie- zu einem Agrarland anschauen möchten“. Der Text stammt nicht aus Thomas’ Feder, er lässt aber dazu wissen: „Nicht jeder verträgt die Wahrheit.“
Die Grünen in der Koalition nehmen das persönlich. Landeschefin Sziborra-Seidlitz macht in der CDU-Fraktion „Torpedos“ aus, die es zu entschärfen gilt. Gemeint sind Abgeordnete wie Thomas. Oder Markus Kurze, der jüngst im Landtag vor einem „Klimawahn“ warnte. Auch Kurze ist nicht irgendwer, sondern als Parlamentarischer Geschäftsführer eine Schlüsselfigur der Christdemokraten. Grünen-Chefin Sziborra-Seidlitz warnt am Montag zudem ausdrücklich vor „Kumpaneien“ zwischen CDU-Abgeordneten und AfD-Mitgliedern.
Bei weitem nicht jeder Landespolitiker beteiligt sich am Twitter-Zoff
Gibt es eine Gruppe innerhalb der CDU-Fraktion, die mutwillig am Ende der Koalition arbeitet? Grünen-Fraktionschefin Cornelia Lüddemann sagte jüngst der MZ, „den Eindruck muss man bekommen nach der letzten Landtagssitzung“. Auch wenn die CDU-Spitzen immer wieder betonen, dass sie diese Koalition bis zum Schluss führen wollen - immer wieder scherten tatsächlich CDU-Abgeordnete aus. Diesen Verdacht gab es, als 2018 der Grünen-Kandidat zum Landesdatenschutz-Beauftragten dreimal durchfiel.
Nicht vergessen haben die Grünen zudem, dass CDU-Leute für einen Antrag der AfD stimmten, eine Enquete-Kommission zum Thema Linksextremismus einzusetzen. Und nicht zuletzt ist auch Fraktionschefin Lüddemann persönlich schon einmal im Landtag durchgefallen. Als sie 2016 im ersten Anlauf nicht genug Stimmen als Kandidatin für die parlamentarische Kontrollkommission erhielt, beschuldigten die Grünen ebenfalls die CDU.
Zwar gilt: Bei weitem nicht jeder Landespolitiker beteiligt sich am Twitter-Zoff (CDU-Chef Stahlknecht lässt davon genauso die Finger wie Fraktionschef Siegfried Borgwardt), und natürlich bestehen in der Koalition weiterhin parteiübergreifende Freundschaften und gute Kollegen-Verhältnisse. Doch das öffentliche Bild bestimmen derzeit andere. Politische Konflikte, persönliche Antipathien: Um all das zu entschärfen, trafen sich am Rande des Sachsen-Anhalt-Tages die Fraktions- und Parteichefs in intimer Runde in einem Quedlinburger Hotel.
Über Stunden saßen Sachsen-Anhalts wichtigste Politiker zusammen, bis tief in die Nacht hinein. Hat’s geholfen? Zumindest Zweifel lässt die Einschätzung der SPD-Fraktionschefin Katja Pähle zu: „Es reicht nicht, Verabredungen der Koalitionsspitzen zu treffen. Sie müssen auch verlässlich umgesetzt werden, und die Angriffe auf die Koalitionspartner müssen aufhören. Das beurteilen wir genauso wie die Kolleginnen und Kollegen der grünen Fraktion.“ Das sagt sie am Montag, nach der Pressekonferenz der Grünen. Die Lage der Koalition sei „ernst“.
Stahlknecht weist Unterstellungen gegen die CDU-Fraktion zurück
Die Botschaft, die Lüddemann am Montag sendet, geht an die CDU-Spitze, die Grünen-Fraktionschefin appelliert: „Uns hilft es nicht, wenn ein Landesvorsitzender oder ein Ministerpräsident uns schöne Dinge versprechen, wenn die CDU ihre Fraktion nicht in den Griff kriegt.“ Führungsschwäche bei den Christdemokraten bemängelt sie seit dem ersten Jahr der Koalition.
Unterstellungen gegen die CDU-Fraktion weist Landeschef Stahlknecht am Montagabend bei einer eilig organisierten Pressekonferenz im Landtag zurück. Es gebe keine „schwierigen Charaktere in der Fraktion, es gibt auch keinen schlecht arbeitenden Staatssekretär“. Denn auch gegen den Kultur-Fachmann aus der Staatskanzlei, Gunnar Schellenberger (CDU), hatten die Grünen zuletzt geschossen. Stahlknecht sagt: „Die Landes-CDU, und damit die Fraktion steht ohne Wenn und Aber zu dieser Koalition.“
Die „Bitte“ der CDU sei bei dem vertraulichen Treffen in Quedlinburg klar formuliert worden. Wenn bis zum 13. Juni noch juristische Zweifel zum Grünen Band bestünden, solle zunächst nur der Gedenk-, nicht der Naturschutzpart des umstrittenen Gesetzes umgesetzt werden. Faktionschef Borgwardt zeigt sich „menschlich und persönlich enttäuscht“ von den Grünen. Stahlknecht warnt ausdrücklich vor dem Koalitionsbruch: „Sonst sprechen wir in zwei Jahren über Wahlergebnisse, die ich nicht möchte.“ Auch Twitter spricht er am Abend nochmal an: Der Colt soll stecken bleiben, „wir sind nicht im Kindergarten“.