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Partei "Alternative für Deutschland" Partei "Alternative für Deutschland": Mehr "Gefällt mir"-Klicks als CDU und Linke

Von Steffen Könau 06.05.2013, 17:50
Michael Heendorf war früher Polizeibeamter, jetzt will er mit der Alternative für Deutschland Bundeskanzlerin Merkel entgegentreten.
Michael Heendorf war früher Polizeibeamter, jetzt will er mit der Alternative für Deutschland Bundeskanzlerin Merkel entgegentreten. Steffen Könau Lizenz

Magdeburg/MZ - Der Rebell trägt ein rosa Hemd und ein Lächeln im Gesicht. Michael Heendorf ist bester Stimmung in diesen Tagen, die aus seiner verrückten Idee eine Partei haben werden lassen. „Alternative für Deutschland“ (AfD) heißt die, im Internet hat Heendorf am Morgen gerade erst einen Wettbewerb gestartet, um ein Erkennungszeichen für Mitglieder und Sympathisanten kreieren zu lassen. „In wenigen Minuten kamen so viele Vorschläge, ich war überwältigt“, sagt der Magdeburger, der inzwischen Landessprecher der Euro-Kritiker in Sachsen-Anhalt ist und zur Bundestagswahl im Herbst als Spitzenkandidat antreten will.

Geplant hatte der 48-Jährige eine politische Laufbahn nie. Heendorf sieht sich selbst zwar als politischen Menschen, geprägt von bitteren Erfahrungen aus DDR-Zeiten. Aber Politiker habe er nie werden wollen, sagt der frühere Volkspolizist, der seinen Job verlor, als ein Verwandter bei einem Fluchtversuch erwischt wurde und Heendorf sich weigerte, sich von dem Mann zu distanzieren. „Danach habe ich Teller gewaschen und als Stadtführer gearbeitet“, beschreibt er.

Nachgeben kam nicht infrage, kommt es nie bei Michael Heendorf, der alles, was er tut, mit vollem Einsatz macht. Nach dem Mauerfall, der ihn den Tellerwäscherjob im Jugendtourist-Hotel kostete, hat er im Westen als Vertriebler gearbeitet, dann ein Küchenstudio in Magdeburg aufgebaut. Schließlich holt ein alter Polizeikollege ihn zurück in den Dienst. „Die waren froh über jeden, der als unbelastet galt.“ Der wiederbelebte Kindheitstraum endet jedoch nach wenigen Jahren, eine schwere Erkrankung macht aus dem Kriminalbeamten einen Frührentner wider Willen.

Still zu Hause sitzen aber kann der Mann mit den graublauen Augen nicht. Heendorf schließt sich der PDS an, sitzt im Stadtrat, „obwohl ich sicher kein Linker bin“. Er habe geglaubt, es gehe bei Lokalpolitik um Pragmatismus, nicht um Ideologie, sagt er heute. Ein Irrtum. „Eines Tages stand bei uns an der Fraktionstür ,Auf zum demokratischen Sozialismus’.“ Heendorf ist entsetzt. „Ich wollte mich nie wieder einer Ideologie unterwerfen.“ Er gibt seinen Vorsitz im Kulturausschuss ab und wechselt zur CDU, in deren Reihen er es immerhin sieben Jahre aushält.

Am Ende ist es auch hier nicht die Lokalpolitik, die ihn vertreibt, sondern die Rettungspolitik der Kanzlerin und das Gefühl, in der Partei nur noch über Alternativlosigkeiten abstimmen zu dürfen. „Als ich bei einer Veranstaltung öffentlich sagen wollte, was mir auf der Seele brennt, hieß es, ich solle schweigen, die Presse sei da.“

Heendorf fühlte sich seiner politischen Heimat beraubt und „wie zurückversetzt in die DDR“. Die Partei, die Partei, die hat immer recht, ätzt er. Im Internet findet er Gleichgesinnte, „Keine Spinner, keine Idioten“ wie er versichert. Wirtschaftsprofessoren, Wissenschaftler und Autoren, die dieselben Sorgen antreiben wie ihn: „Was hinterlassen wir unseren Kindern, wenn wir so weitermachen?“ Heendorf, der CDU-Mann, schließt sich der Klage einiger Kritiker gegen den von seiner eigenen Partei gespannten Euro-Rettungsschirm an. Der Mann, der sein ganzes Leben als Abfolge von Brüchen sieht, die sich stets ergeben haben, wenn er seinen Ansichten konsequent gefolgt ist, zieht einen Schlussstrich. Heendorf will nicht mehr mitmachen. Er will Kontra geben, dagegenhalten, „Mutti ärgern“ wie er unter Anspielung auf Angela Merkels Image als Mutter der Nation sagt.

Sie nennen sich damals noch „Wahlalternative 2013“ und sind ein virtueller Debattierclub. Viel Wissen, wenig Wille. Michael Heendorf, Kettenraucher, Kabarettliebhaber und Motorradfan, findet die Ideen brillant. „Aber ich habe gesehen, dass wir eine Partei werden müssen, um sie umsetzen zu können.“ Eines nachts, Heendorf sitzt in seinem Büro im Magdeburger Kometenweg, wird ihm klar, „dass ich das wohl selbst machen muss, wenn etwas passieren soll.“

Eine irre Idee. Eine Partei gründen mit nichts in der Hand als hunderten Mail-Adressen und Telefonnummern aus den Diskussions-Boards im Netz und der Zustimmung der führenden Köpfe der Wahlalternative. Doch als der dauerhafte Stabilisierungsmechanismus ESM im Oktober seine Arbeit aufnimmt, macht sich Heendorf ans Werk: 16 Bundesländer anfahren, einmal, zweimal, zehnmal. „Ich musste überall Leute finden, die bereit sind, den Aufbau der Partei von unten zu organisieren.“

Zehntausende Kilometer hat er geschruppt, auf Versammlungen geredet und mit Anwälten zusammengesessen, um ein Papier zu erstellen, in dem exakt aufgeschrieben ist, wie man eine Partei gründet. „Ich habe einfach angefangen“, sagt Heendorf, „der Rest hat sich ergeben.“ Der Magdeburger hat das, was sich später Alternative für Deutschland nennen wird, aus dem virtuellen Fantasien in die reale Welt geholt. Von Anfang an hatte er das Gefühl, „von einer Welle getragen zu werden“, wie er sagt. Zeit, Geld, Nerven, jeden Tag 14 oder 16 Stunden, sagt Heendorf, das sei ungefähr das, was es ihn gekostet habe. Seine Frau, die aus Kasachstan stammt und als Ärztin arbeitet, aber auch seine beiden Söhne hätten ihm den Rücken freigehalten. „Die haben verstanden, dass ich das jetzt einfach tun muss.“

Michael Heendorf will seinen „Rücken gerade machen“, will sich nicht weiter „kleinmachen und von anderen bestimmen“ lassen. „Verglichen mit der Zeit in der DDR ist Opposition heute so entspannt“, sagt er, „deshalb ist es heute umso wichtiger, nein zu sagen, wenn man etwas als falsch erkannt hat.“

Falsch ist aus seiner Sicht vor allem der verhängnisvolle Weg, den Europa mit der Aufgabe der sogenannten No-Bail-Out-Klausel eingeschlagen hat. Ein falsches Signal, glaubt er, das Eigenverantwortung der Staaten verhindere und Deutschland zwinge, für die Fehlentscheidungen anderer zu zahlen. Dennoch sei die AfD keine Ein-Thema-Partei, die „einfach zurück zur D-Mark“ wolle. „Unsere Themen sind Ökonomie, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“, versichert der Parteiengründer. „Wobei ich verstehe, dass unsere politischen Gegner so tun, als sei das nicht so.“

Alle fünf Minuten trete ein neues Mitglied bei. Bei Facebook haben sie gerade CDU, Linke und Piratenpartei bei den „Gefällt mir“-Klicks überholt. Auch die Umfragewerte steigen. Heendorf managt den Zuwachs und nimmt Kritik als Auszeichnung. Dass bei der AfD Rechte einsickern könnten, um die Eurokritik für eigene Zwecke zu nutzen, hält er für ausgeschlossen. „Jedes Mitglied muss seine früheren Verbindungen offenlegen, kriegen wir raus, dass etwas verschwiegen wurde, trennen wir uns von demjenigen.“ Problemfälle zu erkennen, werde immer leichter, je fester die Strukturen werden. „Die Leute kennen sich, da kann sich niemand verstecken.“ Den Vorwurf, dass er und die anderen Gründer selbst rechte Tendenzen pflegen, lässt er lächelnd abprallen: „Meine Frau stammt aus dem Ausland, meine halbe Familie lebt über die ganze Welt verstreut - die würde mir was erzählen.“

Das ist alles Quatsch, sagt er, Teil eines politischen Kampfes, der „nicht fein“ sei. Heendorf erklärt sich die Angriffe damit, „dass der Konkurrenz nicht anderes einfällt“. Die große Koalition der Euro-Retter bekomme ja auch mit, dass Veranstaltungen der AfD überlaufen seien, obwohl der Wahlkampf noch nicht einmal begonnen habe.

Heendorf, der gerade dabei ist, Orts- und Kreisverbände in Sachsen-Anhalt aufbauen zu helfen, redet sich trotzdem schon mal in Rage. Er hat Details zu jedem Rettungspaket gespeichert, kennt die Paragrafen, all die lange gebrochenen Vorschriften für die Zentralbank und ist immer noch über die Zypern-Rettung empört. Das ist alles schlecht, schlecht für Europa, aber gut für seine Partei. „Bei vielen Leuten herrscht soviel Skepsis über den Kurs, da hat sich richtig Druck aufgebaut.“ Druck, den die AfD nutzen will, um im September in den Bundestag einzuziehen, „Das wird ein Marathonlauf, aber am Ende gehen wir als Sieger durchs Ziel“, gibt sich Michael Heendorf optimistisch. Kann sein, es reicht nicht. Natürlich. „Aber nur wer kriecht, kann nicht fallen.“