Weimar Weimar: In Goethes Garten
Halle/MZ. - Vor dem Tor, Spaziergänger aller Art ziehen hinaus. So heißt es in Goethes "Faust" zum Beginn der Osterspaziergang-Szenen. "Vom Eise befreit sind Strom und Bäche durch des Frühlings holden, belebenden Blick...", freut sich Faust über das heftige Wiedererwachen der Natur. Und wo könnte man das klassischer nachempfinden, als dort, wo Johann Wolfgang von Goethe das "liebe Gärtgen vorm Tore" besaß, im Ilmpark der Stadt Weimar.
Sein Förderer und Freund, Herzog Carl August, hatte ihm 1776 das Gartenhaus geschenkt, in dem der Dichter sechs Jahre lebte. Es stand damals allerdings noch nicht in einer der schönsten Parklandschaften Deutschlands. Die Natur sei noch recht ruppig, schrieb Goethe an seine Muse Charlotte von Stein. Eigenhändig legte er einen Garten an, der im Wesentlichen bis heute erhalten ist. Dorthin lud der Dichter am Gründonnerstag die Kinder von Herder, Wieland und anderen Bekannten zum "Haseneier-Suchen" ein. Der Brauch ist bis heute erhalten: Jedes Jahr lässt die Klassik-Stiftung zwei Gruppen aus Weimarer Kindergärten in Goethes Garten nach Eiern suchen. Das ist allerdings keine öffentliche Veranstaltung. Der Garten könnte sonst wohl arg zertrampelt werden.
Dass "Spaziergänger aller Art" heute zum Osterspaziergang mit Kind und Kegel in den schönsten Landschaftsgarten Thüringens ziehen, hat sehr viel mit Goethe zu tun. 1778 begannen nämlich der Herzog und sein Dichterfreund, die Ilmauen südlich vom Stadtschloss auf zwei Kilometer Länge in eine Parklandschaft zu verwandeln. Sie sollte nicht arg romantisierend gestaltet werden, sondern eher Jean-Jaques Rousseaus Maxime "Zurück zur Natur" entsprechen. Vorbild war der Wörlitzer Park des Fürsten von Anhalt-Dessau, den die beiden Planer zweimal besucht hatten. Der Dessauer Stein, den der Herzog 1782 errichten ließ, erinnert daran. Als Carl August 1826 starb, war der schon damals jedermann zugängliche Park, durch den die Ilm in sanften Schwüngen fließt, fast fertig. Letzte Hand legte später noch der große Gartengestalter Fürst Hermann von Pückler-Muskau an.
Urzelle unter den Gebäuden und Monumenten des Parks ist das Borkenhäuschen, auch Luisenkloster genannt. Es wurde 1778 anlässlich des Geburtstags der Herzogin Luise als Einsiedelei-Kulisse für eine Theateraufführung der Hofgesellschaft errichtet. "Nadelöhr" nennen die Einheimischen den Parkzugang über eine Treppe, die durch ein enges Felsentor führt. Daran hat Goethe damals "bis in die Nacht gearbeitet". Anlass war der Selbstmord aus Liebeskummer einer 17-jährigen Offizierstochter, die Goethes frühen Bestseller "Werther" bei sich hatte. Das ging dem Dichter derart nahe, dass er dieses Felsdenkmal schuf, von dem aus man "ihre letzten Pfade und den Ort ihres Tods" überblickt.
Nicht weit ist es von dort zur Brücke, auf der Goethe 1788 erstmals seine Christiane Vulpius traf, die ihm eine Bittschrift für ihren Bruder überreichte. Als Geheimer Legationsrat konnte Goethe bei Hofe durchaus Einfluss nehmen.
Prächtigstes Parkgebäude ist das Römische Haus, das erste klassizistische Bauwerk Weimars am westlichen Hang der Ilmaue. Es war das Sommerhaus des Herzogs. Die Idee hatte Goethe aus Italien mitgebracht. Und er überwachte auf Wunsch Carl Augusts Bauausführung und Innengestaltung.
Es gibt noch manches zu entdecken auf den 50 Hektar Ilmpark. Löwenkämpferportal, Schlangenstein, Pompejanische Rundbank, Shakespeare-Denkmal und Parkhöhle gehören zur "Möblierung". Die Sphinxgrotte nahe der Sternbrücke beim Stadtschloss soll Franz Liszts Lieblingsplatz gewesen sein. Einer künstlich angelegten Ruine gegenüber steht eine im Zweiten Weltkrieg durch Bomben entstandene: Vom Tempelherrenhaus steht nur noch die Fassade. Das Bauwerk war Teesalon und Sommerhaus der herzöglichen Familie. Liszt gab dort Konzerte. Später diente das Gebäude als Maleratelier für Bauhaus-Künstler.
Wer sich die Mühe macht, den östlichen Ilmhang hinauf zu steigen, kann ein zum Weltkulturerbe erklärtes Beispiel völlig neuen Wohnens besichtigen. Dort steht das Haus am Horn. Es wurde 1923 als Musterentwurf der Bauhaus-Architektur errichtet. Eine Art Kinderschreck war zu gestrengeren Zeiten die Schaukelbrücke am südlichen Parkende. Sie wackele, drohten rabiate Eltern, wenn jemand sie betrete, der häufiger gelogen habe.
Dass der Ilmpark heute zum Osterspaziergang nahezu wie zu Goethes und Carl Augusts Zeiten lädt, ist durchaus keine Selbstverständlichkeit. Der ehemalige Parkdirektor Jürgen Jäger, über Jahre ein beliebter Osterspaziergang-Vorwanderer, erzählt vom Ärger mit manchem Weimarer, als der Gehölzbestand gezielt ausgelichtet und mit der Rekonstruktion der historischen Sichtachsen begonnen wurde. Die Kritiker hätten lieber alles wild wuchern lassen. Das aber hätte den Absichten der Schöpfer dieses Gartendenkmals der Weimarer Klassik widersprochen.
Eine dieser bewusst geplanten Sichtachsen soll Goethe übrigens besonders wichtig gewesen sein. Von seinem Gartenhaus konnte er hinaufschauen zum Haus der Charlotte von Stein und im Dunkeln sehen, wenn dort eine Kerze ins Fenster gestellt wurde. Heute würde Charlotte wohl eine SMS schicken.