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Tradition in der Altmark gelebt Von der Walz zurück: Tischlergeselle klettert übers Ortsschild

Phillip Maaß aus Nieps (Altmarkkreis Salzwedel) hat nach drei Jahren und fast zwei Monaten seine Wanderschaft beendet. Die Erfahrungen möchte er nicht missen.

Von Anke Pelczarski Aktualisiert: 17.12.2024, 07:47
Die Cola, vor gut drei Jahren eingegraben, schmeckt immer noch. Phillip Maaß lässt Felix Lambeck kosten.
Die Cola, vor gut drei Jahren eingegraben, schmeckt immer noch. Phillip Maaß lässt Felix Lambeck kosten. Foto: Anke Pelczarski

Nieps. - „Ich kann jedem Handwerksgesellen nur empfehlen, auf Wanderschaft zu gehen. Das ist so eine schöne Tradition, die einen an viele Orte und zu coolen Leuten bringt“, sagt Phillip Maaß. Für den aus Nieps stammenden Tischlergesellen ist die Walz nun zu Ende, nach drei Jahren und fast zwei Monaten.

Die Bannmeile um den kleinen Ort in der Gemeinde Rohrberg hat er von Donnerstag auf Freitag überquert. „Die beträgt 60 Kilometer und liegt zwischen Tangermünde und Stendal. Da sind wir drüber getippelt“, erzählt der heute 22-Jährige, der als Rolandsbruder unterwegs war.

Singend und tanzend

Begleitet hat ihn auf dem Weg zurück ins zivile Leben auch Felix Lambeck, sein Exportgeselle, der mit ihm in den ersten Monaten der Wanderschaft unterwegs war und ihn mit den Gepflogenheiten vertraut gemacht hat. Und Bjarne aus Kiel, den er losgebracht hat bei dessen Start zur Walz, die mindestens drei Jahre und einen Tag dauert.

Beim Heimbringen gehört es dazu, dass der Wandergeselle das Ortsschild übersteigt.
Beim Heimbringen gehört es dazu, dass der Wandergeselle das Ortsschild übersteigt.
Foto: Anke Pelczarski

Das letzte Stück nach Nieps geht es zu Fuß über den landwirtschaftlichen Weg, von Ahlum kommend, ausgelassen tanzend und singend. Dann die Tradition am Ortseingangsschild. Erst fliegt der Stenz (Wanderstock) über die Tafel, dann das Bündel, in dem sich alle wichtigen Utensilien befinden. Die Gesellen, die Phillip Maaß auf der Heimtippelei begleitet haben, helfen ihm hinauf zum Schild, das er übersteigen muss. Von dort aus lässt er sich in die Arme der Leute fallen, die auf seine Rückkehr gewartet haben. Das „normale Leben“ hat ihn wieder.

Die Familie herzlich begrüßt

„Ich habe mich riesig gefreut über die Leute, die alle auf mich gewartet haben. Die wichtigsten, die ich eingeladen habe, haben sich Zeit für mich genommen“, erzählt der junge Mann bewegt. Als Erstes nimmt er seine Franzi in den Arm, die er vor zweieinhalb Jahren auf der Walz kennen- und lieben gelernt hat. „Es ist ein erleichtertes Gefühl, dass Phillip wieder zu Hause ist und dass es nun keine Regeln mehr gibt“, erzählt Franzi Bein. Durch Gespräche habe sie viel über die Wanderschaft erfahren und nun erlebt, wie der Abschluss ist.

Auch die Eltern Anja und Matthias Maaß nimmt der Tischlergeselle in den Arm, seine Geschwister, die Großeltern, Freunde, Wegbegleiter. Manch eine Freudenträne wird verdrückt. „Ich bin froh, dass er wieder da ist“, sagt beispielsweise seine Oma Erika Maaß. Jedes Jahr einmal habe sie Phillip während der Wanderschaft besucht. „Er ist doll selbstbewusst geworden“, urteilt sie. So, wie es einst mit jungen Leuten passiert sei, die bei der Armee vom Jungen zum Mann geworden seien, fügt sie augenzwinkernd hinzu.

Phillip Maaß freute sich übers Wiedersehen mit seiner Freundin Franzi Bein.
Phillip Maaß freute sich übers Wiedersehen mit seiner Freundin Franzi Bein.
Foto: Anke Pelczarski

Doch noch kann sich der Angekommene nicht ausruhen. Denn der Brauch besagt, dass die beim Losgehen vergrabenen Flaschen wieder ausgebuddelt werden müssen. Diesmal nicht mit bloßen Händen wie an jenem Oktobertag vor drei Jahren, sondern mit einem Spaten. Eine schweißtreibende Arbeit. Felix Lambeck geht es nicht schnell genug. Er übernimmt - und hackt mit dem Spaten die Flasche Klaren kaputt, die im Erdreich schlummert. Die darunterliegende Cola überlebt die Aktion. „Ich hab schon mit Bedacht die Reihenfolge so gewählt“, merkt Phillip Maaß schmunzelnd an. Das alkoholfreie Getränk hat die Zeit überlebt und wird rasch geleert.

In Handwerksbetrieb fest angestellt

Dann bleibt Zeit zum Erzählen, auch mit Simon von Petzinger, einem Freund aus der Kindergartenzeit, der extra aus der Region Kissingen angereist ist. „Ich war vor gut drei Jahren dabei, als Phillip losgegangen ist. Jetzt möchte ich erleben, wie er heimkommt“, schildert er. Und hören, wie es seinem Freund so ergangen ist.

Nun beginnt der Arbeitsalltag für den Tischlergesellen, der in der Region Fulda eine Festanstellung in einem Handwerksbetrieb angeboten bekommen hat. Dort möchte er sich mit seiner Franzi ein Nest bauen. Fachlich sei er noch nicht am Ende, möchte sich gern das Rüstzeug als Zimmerer aneignen, den Meister machen, blickt Phillip Maaß in die Zukunft. Doch nun will er erstmal Geld verdienen. „Es war eine schöne Zeit. Aber es ist auch schön, dass es jetzt normal weitergeht“, beschreibt er seine gemischten Gefühle.