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Vom Reichstag ins sibirische Straflager

Von Claus Blumstengel 20.09.2006, 15:19

Möckern/MZ. - Zwei Jahre zuvor hatte sich Hans Waldemar von Wulffen (1864 bis 1942), Marthas Ehemann, im Schlosspark erschossen. Man erzählte damals, er habe es nicht verwunden, dass er mit seiner Familie auf Druck Hitlers das in seinem Auftrag vom Architekten Hermann Muthesius erbaute Schloss Wendgräben verlassen musste. Fortan lebte Familie von Wulffen, die eine Land- und Forstwirtschaft betrieb, recht bescheiden im Jagdhaus.

Freilich ahnte Rudi Peine an jenem Abend des Jahres 1944 nicht, dass er dieses Erbe nie antreten würde; denn Jahre später zerreißt ein sowjetischer Offizier die Urkunde.

Mit dieser merkwürdigen Geschichte beginnt das soeben erschienene Büchlein "Mein unvergessener Lebensweg" des heute in Möckern lebenden Friseurmeisters in Rente Rudi Peine. Das Jagdhaus, das beinahe sein Eigentum geworden wäre, ist heute privatisiert, Schloss Wendgräben wurde Bildungszentrum der Konrad-Adenauer-Stiftung.

Zwar stand Rudi Peine Jahrzehnte als Obermeister der Friseurinnung im Landkreis Burg, später Jerichower Land, vor, doch Friseur wollte er ursprünglich überhaupt nicht werden. Auch die Ausbildung zum Briefträger sagte dem Jungen nicht zu. Vielmehr war Förster sein Traumberuf. Doch ohne Abitur war das nur über die Wehrmacht möglich. So fälschte der 16-Jährige die Unterschrift seiner Mutter und wurde in den letzten Kriegswochen noch eingezogen. Im April 1945 verteidigte er mit seiner Einheit die Reichskanzlei in Berlin. Blutjunge Soldaten mussten erleben, wie ihre Kameraden neben ihnen von Granaten zerfetzt wurden, wie sie verbluteten, weil ihnen im Kugelhagel niemand helfen konnte. Als ein Schulfreund von einer Kugel getroffen wurde, zwang Rudi Peine den Fahrer eines Krankenwagens mit vorgehaltener Pistole, den Schwerverletzten mitzunehmen. Kurz darauf flüchtete er durch unterirdische Gänge von der Reichskanzlei quer durch Berlin vor den sowjetischen Truppen.

Noch einmal wurde aus versprengten Soldaten eine kümmerliche Einheit zusammengestellt, zu der auch Rudi gehörte. Der Trupp wollte sich den Amerikanern ergeben. Doch statt sich still zu verhalten, schoss ein deutscher Posten auf rastende sowjetische Offiziere und zog so deren Aufmerksamkeit auf sich und seine Kameraden. Sie alle wurden von den Russen gefangen genommen.

Aber auch hier gelang Rudi Peine die Flucht. Nach der Ankunft im Heimatort Hohenziatz bezichtigte ihn ein Denunziant der Sabotage. Das ehemalige KZ Buchenwald und ein Straflager in Karaganda in Sibirien waren in den nächsten Jahren Rudi Peines leidvolle Stationen. Auch hier sah er Leid und Sterben und überlebte nur durch einen eisernen Willen und seine unerschütterliche Hoffnung.

Peine, Rudi: Mein unvergessener Lebensweg 1928 bis 2005, 128 Seiten, 8,50 Euro; ISBN 3-8334-5519-5; Verlag Books on Demand, Norderstedt