Vier Minuten
Hamburg/dpa. - Eigentlich sollte in einer Länge von «Vier Minuten», wie der Titel des Dramas von Chris Kraus verrät, ein Schumann-Stück in konventioneller Form dargeboten werden. Stattdessen spielt die junge Jenny (Hannah Herzsprung) eine grandiose Variation im Stil neuer Musik, eine Mischung aus Klassik und Moderne, Romantik und Pop.
Sie sitzt, steht und tanzt am Klavierflügel und hämmert ekstatisch auf Tasten und Seiten des würdevollen Instruments ein. Das Publikum, das zum Musikwettbewerb angerückt ist, hält den Atem an. So etwas hat es nicht erwartet. Kraus hat dabei mit Hauptdarstellerin Hannah Herzsprung genau die Richtige verpflichtet.
Der deutsch-französische Kulturkanal Arte zeigt an diesem Donnerstag um 20.15 Uhr den 2007 entstandenen Spielfilm «Vier Minuten», der unter anderem noch im selben Jahr mit dem Deutschen Filmpreis, der Goldenen Lola für den besten Spielfilm, ausgezeichnet wurde.
Regisseur Kraus erzählt in seinem zweiten Film die Geschichte der wegen Mordes im Frauengefängnis sitzenden Jenny. Das Mädchen ist ablehnend, aggressiv, gewalttätig - und musikalisch unglaublich begabt. Als Kind gilt sie als Wunderkind am Piano. Bis sie von ihrem Vater missbraucht wird. Nach diesem Erlebnis rebelliert sie: Sie zieht aus, trinkt, nimmt Drogen und landet schließlich im Knast.
Ihr Talent wird von der Klavierlehrerin Traude Krüger (Monica Bleibtreu), die seit 60 Jahren Unterricht im Gefängnis gibt, wiederentdeckt und mit Disziplin gefördert. Sie nimmt sich der verschlossenen und immer kurz vor der Explosion stehenden Jenny an und bereitet sie auf einen Klavierwettbewerb vor. «Für mich war die Musik ein tragendes Element», sagt Regisseur Kraus, «als Gegenentwurf zu der grauenhaften Welt, die hinter beiden Hauptfiguren aufscheint».
Der Film lebt von der herausragenden Kunst seiner beiden Hauptdarstellerinnen: Herzsprung, die als Nachwuchsentdeckung gefeiert wird, und Altmeisterin Monica Bleibtreu. Gut, aber leider nur in einer Nebenrolle, spielt Nadja Uhl («Sommer vorm Balkon»). Dagegen bleiben die anderen Darsteller, wie zum Beispiel Jasmin Tabatabai, eher blass.
Bis zum furiosen Finale entwickelt sich die Handlung recht vorhersehbar. Kritiker wünschten dem Film zur Kinopremiere mehr Innovation in der Erzählweise, mehr Mut und weniger Klischees: Dass Klavierlehrerin Traude lesbisch ist und seit dem Krieg ihrer von den Nazis hingerichteten Geliebten nachtrauert (in Rückblenden erzählt), überfrachtet die Story um Aspekte, die für die Entwicklung des Verhältnisses zwischen den Figuren nicht notwendig gewesen wären.