USA USA: Wo sich die Hippies heimisch fühlen

Mendocino/dpa. - DieFans des Hamburger Fußballclubs haben den Schlager zumPokalschlachtruf umgemodelt. Die Menschen in Mendocino würden sichüber die grölende Menge sehr wundern. Ihr Leben in demnordkalifornischen Örtchen läuft so beschaulich ab, dass die Zeitfast stillzustehen scheint. In den Gärten sind die Vögel noch zuhören, Hunde streunen völlig ungerührt und ungefährdet über dieStraßen, und die Leute haben Zeit für einen Plausch mit dem Nachbarnüber den Gartenzaun.
Mendocino ist ein kleiner Ort an der Westküste der VereinigtenStaaten, inmitten des Mendocino County. In dem gut 10 000Quadratkilometer großen Gebiet leben nur 86 000 Einwohner, das machtgerade einmal 9 Menschen pro Quadratkilometer. Gegründet wurde dasMendocino County um 1850. Es soll nach dem Kap Mendocino benanntworden sein, das wiederum seinen Namen von Antonio de Mendoza hat,dem ersten Vizekönig von Neuspanien. Früher lebten in der Gegendmehrere Indianerstämme, aber sie alle wurden im 19. Jahrhundert vonweißen Siedlern ausgerottet.
Bevor Mendocino erreicht wird, passiert der Urlauber zahlloseGehöfte, die alle eines eint: ein leicht morbider Charme. Auf denGrundstücken stehen oft Wohnmobile statt Häuser, im Sand scharrenHühner, auf den Wiesen zupfen angeleinte Ziegen mit spitzen LippenGras. Die oft nicht mehr ganz jungen Bewohner tragen noch Stirnbandund Zopf, egal ob Männlein oder Weiblein. Mendocino war eineHippie-Hochburg - und ist es offensichtlich immer noch. Dass hier«Jenseits von Eden» gedreht wurde, verwundert nicht: Wo sonst hättesich James Dean so cool an einen verfallenden Farmzaun lehnen können?
Mendocino selbst hat gut 800 Einwohner und ist eigentlich keinrichtiges Dorf, sondern eher ein Siedlungsgebiet mit weitauseinanderliegende Häusern. Nur direkt am Meer steht ein Grüppchenadretter Holzhäuser mit bunten Bauerngärten aus der viktorianischenZeit entlang einiger Straßen, die mit etwas gutem Willen als Örtchenbetrachtet werden können. Mendocino ist als Künstlerkolonie bekanntund zieht in den Sommermonaten zahllose Ausflügler an, die in denAndenkenlädchen kramen. Zu kaufen gibt es neben Keramik und Gemäldenzum Beispiel Wallekleidchen im Hippie-Stil, Lederbänder für dasHandgelenk und Topflappen mit Peace-Zeichen.
Was Hippies in den 60er Jahren anzog - der Frieden, die tiefenWälder, die Weinberge und die zerklüftete Küste mit ihren einsamenStränden -, lockt auch Touristen. Und so haben sich in denvergangenen Jahrzehnten in der Einsamkeit im Norden von Kalifornienauch einige schöne Hotels angesiedelt, die ruhesuchenden StädternZuflucht bieten. Zumal der Ort an dem Pacific Coast Highway liegt,der - mitunter mit dem berühmten Highway 101 vereint - entlang desPazifiks vom Süden Kaliforniens nach Norden führt.
Ein besonders hübsches Beispiel ist das «Agate Cove Inn». Acht derzehn liebevoll eingerichteten Zimmer des 25 Jahre alten Hotelsbefinden sich in Cottages in einem zwei Hektar großen Garten. Vondort aus ist fast überall das Meer zu sehen, mit etwas Glück lassensich auch Wale blicken. Aber auch einfach nur die Seevögel von derVogelschutzinsel gegenüber zu betrachten, macht schon Freude. Perfektwird es, wenn dazu auch noch hausgebackene Muffins gereicht werden.
Ebenfalls direkt am Meer liegt die Howard Creek Ranch. Diehistorische Farm im Mendocino County ist 60 Hektar groß und hatsowohl Strände als auch Berge im Hinterland zu bieten. Die Inhaberdes Inn, Charles and Sally Grigg, bewirtschaften die Farm seit mehrals 20 Jahren und haben für ihren Garten bereits Preise gewonnen. Aufihrer Website werben sie mit einer «deutschen Masseuse» - wasBesucher aus Deutschland neugierig macht - und einem umfänglichenRanchfrühstück.
Zumindest deutschstämmig ist Jeff Stanford, der das «Stanford Inn»leitet, ebenfalls eingebettet in einen wunderschönen Garten mitWildkräutern, Früchten und Gemüse. Das selbst gezogene Grün wird inder vegetarischen Küche des Hotels verarbeitet, auch Einheimischeessen in dem Gourmetrestaurant gerne Citrus Polenta und als NachtischVollkornpfannkuchen mit Beeren. Fleisch gibt es in keiner Form, beidem Gedanken alleine wird Jeff wütend. «Selbst meine Hunde bekommennur Getreide», sagt er. «Und es geht ihnen gut, oder nicht?» Diebeiden Retrievermischlinge, die ständig hinter ihm hertrotten, werfenihm einen leicht vorwurfsvollen Blick zu. Aber Wein, der wirdgereicht, wie überall im Mendocino County.
Die Region erinnert klimatisch an ein warmes Deutschland und istdaher perfekt für den Weinanbau. Das benachbarte Napa Valley ist inaller Munde, Wein aus Mendocino dagegen kennen wenige. Dabei hat dieRegion sieben Anbaugebiete, die bekannteste Winzerei ist Fetzer.Nachts können die Temperaturen im Mendocino County auch im Sommer auffrische Temperaturen im niedrigen zweistelligen Bereich fallen. Wasam Morgen oft zu dichtem Nebel an der Küste führt. Im Laufe des Tagesaber erwärmt die Sonne die Luft auf gut 30 Grad, und der Syrah, derPinot Noir, Zinfandel und selbst Riesling und Gewürztraminer gedeihenauf das Prächtigste. Die meisten Winzer - rund 85 Prozent - in denHügeln von Mendocino produzieren biodynamisch.
Die Winzerei Lolonis zum Beispiel arbeitet auf ihren 410 Hektarseit gut 50 Jahren ohne Chemie und ist damit die älteste Öko-Winzereider Vereinigten Staaten. Der Familienbetrieb setzt in den Weinbergenzur Schädlingsbekämpfung jedes Jahr fünf Millionen Marienkäfer ein,deren Leibspeise Rebläuse sind. Der älteste Sohn, Phillip Lolonis,attraktiver Nachkomme irisch-griechischer Einwanderer, ist dasGegenteil von Hippie. Er steht mit strammen Fußballerwaden in seinenWeinbergen.
Auch in Deutschland hat er schon gespielt - allerdings nicht inSt. Pauli. «In Wolfsburg! Aber ich war zu schlecht, um Profi zuwerden», sagt er, streicht sich die dunkle Mähne aus dem Gesicht undzwinkert. Mendocino und Fußball scheinen tatsächlich irgendwie etwasmiteinander zu tun zu haben.