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USA USA: In San Antonio macht der Weihnachtsmann Ferien

Von Heike Schmidt 13.10.2004, 11:41
Hauptattraktion San Antonios - die Festung Alamo war 1836 der Schauplatz eines blutigen Kampfes zwischen Texanern und Mexikanern. (Foto: dpa)
Hauptattraktion San Antonios - die Festung Alamo war 1836 der Schauplatz eines blutigen Kampfes zwischen Texanern und Mexikanern. (Foto: dpa) Texas Tourism

San Antonio/dpa. - In San Antonio macht der WeihnachtsmannFerien. Im Herzen von Texas ist der Dezemberhimmel postkartenblau,Palmen wiegen sich in der feuchtwarmen Brise, Wüstenstaub flirrtdurch die Luft. Am Tannenbaum hängen daumengroße Cowboystiefel nebenkleinen Rinderschädeln und feuerroten Chili-Schoten. Das einzigFrostige hier ist eine «Frozen Margarita» aus Tequila, Orangenlikörund Limonensaft in zerstoßenem Eis. Die Rentiere haben hitzefrei, und«Poncho Claus» übernimmt mit seinem Maultiergespann den Job desWeihnachtsmannes. «Santa Claus ist mein Vetter», sagt der Herr mitdem pechschwarzen Rauschebart und Riesen-Sombrero: «Merry Mex-mas!»

Mehr als die Hälfte der Einwohner von San Antonio istmexikanischer Herkunft. «Tejanos» nennen sie sich, und ihr fröhlichesBrauchtum haben sie importiert. Fast jeden Monat steigt irgendwo einvergnügtes Stadtfest in dieser übersprudelnden Metropole. «Christmas»ist dabei eine wichtige Sache - schließlich wurde San Antonio vonFranziskanern gegründet. Die Spanier schickten einst Mönche ausMexiko hierher, um Klöster zu bauen, Indianer zu bekehren und Texaszu besiedeln. Gleich fünf Konvente entstanden am San Antonio River.Die 1718 gegründete Mission San Antonio de Valero war die erste.

Der Glaube hat tiefe Wurzeln. Doch in der einzigartigen Mischungaus mexikanischer Lebensfreude und amerikanischer Leichtherzigkeitist schnell Finito mit der ruhigen Besinnlichkeit des europäischenKatholizismus: In San Antonio wird Weihnachten als rauschendeGeburtstags-Fiesta für das Christkind gefeiert.

Wenn der Schalter umgelegt wird und Hunderttausende blinkendeGlühlämpchen den «Riverwalk» in ein magisches Licht tauchen, ist die«Holiday Season» offiziell eröffnet. In einer großen Schleife windensich die gepflasterten Spazierwege um die Innenstadt, immer hübsch amumgeleiteten San-Antonio-Fluss entlang. Restaurants, Hotels undGeschäfte säumen die belebten Ufer. Ponton-Boote schippern durch dieschmalen Grachten, über die sich Rundbrücken wölben.

Hier, eine Etage unter dem Straßenniveau, spielt sich das quirligeNachtleben der Stadt ab. Seine Existenz hat es einer schrecklichenÜberschwemmung im Jahr 1921 zu verdanken. Um eine Wiederholung zuverhindern, wurde der Flutkanal angelegt und später zur Attraktionausgebaut.

Rote Weihnachtsmann-Pudelmützen mit weißen Bommeln tragen diefidelen Flusskapitäne zur feierlichen «Lighting Ceremony» am letztenFreitag im November. Alle Jahre wieder strömen etwa 150 000 Menschenherbei, um die «Holiday River Parade» zu bewundern, in diesem Jahr am26. November. Pfadfinder und Trachtenvereine singen um die Wette: von«La Cucaracha» bis «Jingle Bells». Am Fluss sind mit Sand beschwertePapiertüten aufgereiht, in denen flackernde Kerzen brennen. Nachmexikanischer Tradition sollen diese «Luminarias» Maria und Josef denWeg nach Bethlehem weisen - und San Antonio geht dabei ein Stück mit.

Seit 1731 wird in San Antonio am Sonntag vor Weihnachten «La GranPosada» zelebriert, diesmal also am 19. Dezember. Die großeProzession spielt die Herbergsuche des heiligen Paares nach: «Maria»thront auf einem rollenden Pappesel, «Josef» zieht. Heerscharen von«Engeln» folgen: kleine Mädchen in weißen Gewändern mit Stoffflügelnund Sternenkränzen im Haar, an die sich ein langer Zug von Gläubigenanschließt. Viele haben Kerzen in den Händen und singen «LasMañanitas», mexikanische Geburtstagslieder für «Baby Jesus».

Vergeblich klopfen die Pilger erst am ehemaligen Palast desspanischen Gouverneurs an, am Rathaus und Gericht, bevor sie die SanFernando Kathedrale erreichen. Wie ein Klein-Notre-Dame sieht dieneugotische Kirche aus. Rundfenster, Doppeltürme und Torbögen sindvon Glühbirnen umfasst, die plötzlich so hell erstrahlen, dass selbstdie Engelchen ihre Augen mit der Hand beschatten. Hier sind dieWanderer willkommen. Nach einem kurzen Gottesdienst verwandelt sichder Vorplatz in einen turbulenten Weihnachtsmarkt. Es duftet nachsüßen Buñuelos (frittierte Weizenmehlfladen, die mit Zimt und Zuckerbestreut sind) und nach Tamales (Maismehltaschen mit Fleischfüllung).

Solche «Posadas» werden nicht nur von San Fernando, sondern auchvon anderen Kirchengemeinden und Privatleuten organisiert. Werzwischen dem 16. und 24. Dezember durch die Wohngebiete schlendert,darf sich mit etwas Glück einer der Prozessions-Partys anschließen.

Der größte Weihnachtsbaum der Stadt ist mindestens zwölf Meterhoch und steht vor dem Alamo. Nur diese im Jahr 1744 errichtete undspäter zur Festung umgebaute Kapelle ist von dem ursprünglichenMissionskomplex übrig geblieben. Am 23. Februar 1836, nachdem Texasseine Unabhängigkeit von Mexiko erklärt hatte, verschanzten sich hierinsgesamt 182 Rebellen, als General Antonio López de Santa Anna mitseiner Armee einmarschierte. Höchstpersönlich war Mexikos Präsidentnach Norden gezogen, um den Aufstand zu unterdrücken.

Doch die Texaner wollten sich der Übermacht nicht beugen. Sobefahl der General am 6. März den Angriff. 90 Minuten dauerte dasGemetzel. Überlebende wurden hingerichtet, ihre Körper verbrannt. Wieein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht von dem Blutbad. Baldvereinten sich die Aufständischen unter dem Schlachtruf «Remember theAlamo» («Vergiss das Alamo nicht»). Sieben Wochen später wurde SantaAnna geschlagen, Texas zur Republik und 1845 zu einem Teil der USA.

Hollywood hat die Geschichte mehrfach verfilmt: 1960 mit JohnWayne und 2004 mit Dennis Quaid. Das Alamo ist ein nationalesHeiligtum - jedenfalls für die Anglo-Texaner. Lange Schlangendrängeln sich vor dem «Schrein der Freiheit». Ein Adventskranz ausstacheligen Kakteenblättern hängt an der schweren Holztür. Drinnenmüssen Besucher den Cowboyhut absetzen. Waffen, Haarlocken,Gedichtbücher und Namenstafeln der Gefallen sind zu sehen. Mindestenszwei - Henry Thomas und Henry Courtman - stammten aus Deutschland.

Vom Jahr 1860 an ließen sich viele deutsche Einwanderer imviktorianischen King William District nieder, benannt nach demdamaligen Preußenkönig. Das elegante «Guenther Haus», heute einRestaurant und Museum, ist eine der schönsten erhaltenen Residenzenjener Zeit. Im Advent ist im ersten Stock ein Nachbau aus Lebkuchenausgestellt, komplett mit grünen Dachschindeln aus Zuckerguss.

Auch die Sankt-Josephs-Kirche in San Antonio wurde von Deutschenerrichtet. Der «Liederkranz»-Kirchenchor singt zur «Stillen Nacht»noch immer in der Heimatsprache, und Hausmeister Ricardo Arispeversteckt als Dankeschön für seine ehrenamtlichen Platzanweisertatsächlich einen Karton Glühwein «Original NürnbergerChristkindlmarkt» im Sockel der Pietá. Partylaune und Pietät liegendicht beisammen. Vielleicht kann sich das ernsthafte Christkind ausdiesem Grund nicht gegen den fröhlichen «Poncho Claus» durchsetzen.

Im El-Mercado-Viertel hält der umschwärmte Capeträger Audienz.«Little Mexiko» könnte dieser Marktplatz heißen. In der Bäckerei «MiTierra» gibt es rund um die Uhr das Frühstück «Huevos Rancheros», dassind Eier mit scharfer Tomatensoße. An den Verkaufsständen in denüberdachten Hallen decken sich Besucher und Einheimische mit frischimportierten Weihnachtsgeschenken ein: Schmuck, Hängematten undwinzigen Krippen zum Beispiel, die in eine Muschelschale passen.

Am zweiten Samstag im Dezember ist «Poncho Claus», der denbürgerlichen Namen Rudy Martinez trägt, hier mit Pater Herb Jones vonder San José Mission zur «Blessing of the Animals» verabredet, indiesem Jahr am 11. Dezember. In der Tradition Franz von Assisis, desSchutzpatrons der Tiere, werden Katzen, Hunde und Goldfischegesegnet, auch ein vereinzeltes Lama und natürlich die Esel. Für dieRentier-Vertretung gibt es immer einen dankbaren Extra-Applaus vonden Kindern, sagt «Poncho Claus» und zwinkert durch seine Brille.

Im Herzen von Texas: San Antonio ist die achtgrößte Stadt in den Vereinigten Staaten von Amerika. (Grafik: dpa)
Im Herzen von Texas: San Antonio ist die achtgrößte Stadt in den Vereinigten Staaten von Amerika. (Grafik: dpa)
Sven-E. Hauschildt