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«Türkischer Nacht» in Berlin

Von Hans-Rüdiger Bein 20.06.2008, 22:15

Berlin/dpa. - Um 23.28 Uhr begann in Berlin noch einmal Silvester in einer «türkischen Nacht».

Nur Sekunden nach dem Triumph der Türken im EM-Viertelfinale von Wien gegen Kroatien durch Elfmeterschießen (3:1, 1:1 nach Verlängerung) zischten in der Nacht zum Samstag in Friedrichshain-Kreuzberg, in Neukölln und im Wedding, aber auch in anderen Stadtteilen der Hauptstadt Hunderte Raketen in die Luft, krachten unzählige Böllerschüsse und lagen sich auf den Straßen die feiernden Menschen in den Armen. Der Jubel war grenzenlos nach dem Fußball-Drama mit zwei Toren zum 1:1 in den letzten Minuten der Verlängerung und der anschließendem Entscheidung vom Elfmeterpunkt.

Ein Polizeisprecher sagte nahe der Gedächtniskirche in der West- City Berlins nur etwa 20 Minuten nach dem Ende der Partie, als sich schon Dutzende von Autos zum traditionellen Nacht-Corso dieser EM eingefunden hatten: «Wir lassen natürlich gern feiern und werden gegen den Happening-Charakter nichts unternehmen, solange alles friedlich bleibt.» Am Kurfürstendamm, am Tauentzien und vor allem in Kreuzberg, wo viele türkische Bürger leben, habe die Polizei in dieser Nacht etwa 550 Beamte im Einsatz. Nach dem Erfolg der Türken in der Vorrunde über Tschechien hatten rund 25 000 Türken fast die ganze Nacht am Kurfürstendamm durchgefeiert.

Für den Türkischen Bund in Berlin äußerte sich Sprecher Saftar Cinar überglücklich. «Wir freuen uns so sehr, das kann man kaum beschreiben, und besonders freuen sich meine Landsleute nun über das Halbfinale gegen Deutschland.» Am nächsten Mittwoch kommt es damit auf der Berliner Fanmeile, die für etwa 500 000 Fans erstmals bei dieser EM geöffnet sein wird, zum beispiellosen Jubel-Duell zwischen Deutschen und Türken, wenn sich die beiden Teams in Basel um den Platz im Endspiel streiten. In der Hauptstadt leben rund 140 000 türkische Staatsbürger und 20 000 Deutsche mit türkischem Ursprung. Im Siegesgefühl zeigte Saftar Cinar aber auch Mitleid mit den kroatischen Spielern. «Das war schon ein bitteres Drama für die Verlierer dieses unglaublichen Abends.»

Das zweite Viertelfinale der Fußball-EM in Wien zwischen Kroatien und der Türkei hatte für die Fans in Berlin am Freitag schon als der Abend der Türken begonnen. «Es ist gut voll, und 99,9 Prozent meiner Gäste sind Türken, die anderen 0,1 für Kroatien», schilderte Johanna Ismayr vom Bundespressestrand in Berlin-Mitte die Zahlenverhältnisse vor den Großbildleinwänden.

Auch Peter Gruber von der Arena in Berlin-Kreuzberg sagte, es sei «alles in Rot-Weiß getaucht, 80 Prozent Türken». An kroatischen Landsleuten gibt es in der deutschen Hauptstadt nur etwa 11 000 Bürger. Die türkischen und kroatischen Fans gestalteten den TV-Abend offenbar mehr als bisher die deutschen Fans auch als Familien-Abende. «Viele Fußballfreunde bringen ihre Frauen und Kinder mit», sagte ein Sprecher in der ebenfalls gut gefüllten Spandauer Zitadelle.

Die Polizei nannte die Lage auf den Berliner Straßen in der Innenstadt sowie den Bezirken Neukölln, Friedrichshain-Kreuzberg und Wedding, in denen viele Türken wohnen, «ganz ruhig und friedlich». «Der Kudamm wird nicht gestürmt, aber in bestimmten Situationen erlauben wir schon einmal eine Feier», sagte eine Sprecherin schon zur Halbzeit.

Bis auf den letzten Platz besetzt war nach Angaben eines Kellners «auch auf den Stehplätzen vor den Fenstern und auf der Terrasse» das Café King in Berlin-Charlottenburg. Es stand 2005 in Verbindung mit dem unrühmlichen Schiedsrichterskandal um Robert Hoyzer und den kroatischen Sapina-Brüdern. Überhaupt war Berlin gut «beteiligt» an dem EM-Viertelfinale. Die beiden für Kroatien spielenden Kovac-Brüder Nico und Robert wuchsen im Wedding auf, der Türke Hakan Balta wurde in Charlottenburg großgezogen, und der Kroate Josip Simunic spielt in der Bundesliga seit Jahren für den Hauptstadtclub Hertha BSC.