Sportgericht Sportgericht: «Du Blinder» gibt ein Spiel, «Idiot» zwei
Hamburg/dapd. - Am Wochenende, da könne es schon mal Streit umden Fernseher geben. Fußball, immer nur Fußball - wo doch auch der«Weltspiegel» läuft, ein Krimi oder die «Lindenstraße». Aber so istes halt in einem Haushalt, in dem ein Mitglied derSportgerichtsbarkeit des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) wohnt. «Manweiß ja, dass dies zum Job dazugehört», sagt Robert Weise, derhauptamtliche Abteilungsleiter Sportgerichtsbarkeit beim DFB, «ichschaue am Wochenende alles.»
Sie sind ja schwer in die Schlagzeilen gekommen in den letztenWochen, die DFB-Richter. «Eine exzellente Service-Einheit für dieDeutsche Fußball-Liga» sei das Sportgericht, meint BeisitzerChristian Hinzpeter. Die obersten drei Spielklassen werdenbundesweit bearbeitet. Dass die DFL sich der Gerichtsbarkeit des DFBunterwirft, ist vertraglich geregelt und wird von allen Seitenbefürwortet.
Lukas Podolski, Claudio Pizarro, Paolo Guerrero, Kassenrollenwurfbeim FC St. Pauli, Prügelfans von Dynamo Dresden - es war viel loszuletzt. Am Montag verzichtete der Kontrollausschuss auf Sanktionengegen den Leverkusener Simon Rolfes nach dessen Ellenbogen-Einsatzgegen den Schalker Julian Drexler. Am Dienstag verkündeteDFB-Vizepräsident Rainer Koch, dass man in Zukunft auf denAusschluss von Gästefans als Strafe für ein Fehlverhalten verzichtenwill.
Das jüngste Aufsehen ist jedoch nicht die Regel. «Interessantwird das Sportgericht nur, wenn Dinge schieflaufen», sagt Hinzpeter,«sonst arbeitet der Apparat völlig geräuschlos.» Weise sichtet vorund arbeitet zu, der Kontrollausschussvorsitzende - also Ankläger -Anton Nachreiner beantragt nach Eingang des Spielberichts eineStrafe, der Sportgerichts-Vorsitzende Hans E. Lorenz unterschreibtals Einzelrichter nach Zustimmung des Täters oder Vereins. Straferechtskräftig, in der Regel schon am Montag. So geht das 2001eingeführte Schnellverfahren. Reine Routine, 90 Prozent aller Fällewerden so entschieden.
Dabei hilft, dass praktisch alle denkbaren Verstöße bereitskatalogisiert sind. «Du Blinder» zum Schiedsrichter, ein SpielSperre, «Idiot» zwei, «Arschloch» drei. Tätlichkeit mindestens sechsSpiele, nach Provokation weniger, mit besonderer Rücksichtslosigkeitmehr. Rohes Spiel, Unsportlichkeit, alles erfasst. «Ich schaueFußballspiele anders als normale Fans», sagt Weise.
Schon am Wochenende stellt er auch die Spiele und wichtige Szenender Partien ins Internet, wo die Mitglieder der Sportgerichtsbarkeiteinen eigenen, gesperrten Bereich haben. Fouls aus allen denkbarenWinkeln und Perspektiven gibt es da zu sehen. Knochen knacken inSuper-Slomo, dazu Watsch´n und Ellbogen-Checks.
«Das Beweismittel Fernsehen ist für uns sehr wichtig» sagt Weise,«es dient vor allem der Entlastung der Spieler.» Lukas Podolski wärenach dem Augenschein des Schiedsrichters vor Jahren noch zu Unrechtlangfristig aus dem Verkehr gezogen worden. Andererseits greift mannatürlich ein, wenn ein Schiedsrichter eine schwere Verfehlungübersehen hat.
Die große Gerichtsklaviatur wird nur gespielt, wenn dieBeschuldigten erst dem Antrag des Kontrollausschusses und auch demanschließenden Urteil des Vorsitzenden Richters Lorenz nichtzustimmen. Dann gibt es Verhandlung in Frankfurt. Richter, zweiBeisitzer, Zeugen-Einvernahme, Anwalt, Ankläger, Schiedsrichter,Vereinsvertreter. Da kommen schnell bis zu zwölf Personen zusammen.«Es kann dabei nach den Beweisen auch eine höhere Strafeherauskommen als zunächst verhängt», sagt Weise, «wir signalisierendann schon mal: Überlegen Sie sich den Einspruch gut.»
Dass sich das Sportgericht den Ärger frustrierter Fans zuzieht,ist den Beteiligten klar. «Fußball ist Emotion», sagt Hinzpeter, derwegen seiner Hamburger Herkunft nie bei Verfahren gegen HSV- oderSt. Pauli-Spieler beisitzt. Persönliche Angriffe aber sind ihmunbekannt: «Das geht nur in Richtung ´Scheiß-DFB`», sagt der Jurist,«es ist aber ganz wichtig zu wissen, dass wir unabhängig und nichtweisungsgebunden sind.»